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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [7]: humoristischer Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0188

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MODERNE KUNST.

97

Leo war heute nicht sonderlich zu Liebenswürdigkeiten aufgelegt. Fräulein?" fragte der Fremde

Mit ein paar Schritten war sie bei ihm. dann, da sie Beide nach der-

„He, Sie!" schrie sie ihn an. „Wer hat Ihnen das eigentlich erlaubt?" selben Birne griffen. „Ich

Die Beine im Grase fuhren zusammen, und unter dem Filzhut tauchte finde es sehr nett. Es steht

eine blaue Brille und ein brauner Vollbart auf. Ihnen gut und für mich

„Wer es mir erlaubt hat?" wiederholte der Fremde, ruhig sitzen speciell ist's eine frische, reiz-
bleibend. „Es war Niemand da, den ich hätte fragen können. Aber trotz- volle Abwechselung nach
dem — die Birnen sind gut. Selbst in Californien habe ich nicht so dem raffinirten Flirt der
saftige gegessen. Eine gefällig?" Modedamen über dem gros-

Er suchte eine besonders reife aus und hielt sie ihr hin. sen Wasser. Ich komme näm-

Leo musste unwillkürlich lachen. lieh direct aus Amerika!"

„Danke!" entgegnete sie weniger abweisend als vorhin. „Auch für Ihre Leo hatte sich eigent-

Anerkennung. Aber haben Sie sie in Californien auch so gegessen, so .. .?" lieh fest vorgenommen, ihn

Sie ahmte die Bewegung ein-es Menschen nach, der heimlich etwas in consequent zu ignoriren.

die Tasche steckt. Der Unbekannte nickte gleichmüthig. Dennoch weckte seine Be-

„Mal so, mal so!" erwiderte er kauend. „Hatte man Geld, so bezahlte merkung ihr Interesse,
man, hatte man keins, so ..." «So?" sagte sie mög-

„So stahl man!" fiel Leo spöttisch ein. „Augenblicklich haben Sie liehst gleichgiltig. „Haben <v

wohl keins, wie?" Sie da vielleicht meinen Onkel

„Ah, Sie wollen Geld!" sagte der Fremde nachlässig. „Richtig, ich kennen gelernt? Er soll vor

bin ja auf dem Territorium des Herrn von Rocholl. Ich habe sieben ungefähr achtzehn Jahren

Stück gehabt. Kosten?" . nach Amerika ausgewandert

Seine Ironie trieb Leo das Blut in's Gesicht. sein!"

„Hier ist kein Jahrmarkt!" rief sie, zornig aufstampfend. „Und wenn „Ah! Und wie hiess er?

Sie tausendmal auf Papa's Territorium sind! Ueberhaupt, wenn man an Was war er?"
Jemandes Tische gesessen hat, — und Sie sitzen an Papa's Tische! — Leo zuckte geringschätzig

so . . ." die Achseln.

„So macht man hinterher das Essen nicht schlecht!" vollendete Jener „Ein durchgebrannter

mit unerschütterlicher Gemüthsruhe, während er langsam die Brille abnahm Lieutenant; eine Art von

und das junge Mädchen lächelnd betrachtete. „Sie haben vollkommen Taugenichts! Er hiess Fritz

Recht, mein Fräulein. Aber ich thue das ja gar nicht, was Sie mir vor- von Rocholl!"
werfen. Die Birnen sind wirklich ausgezeichnet. Würden Sie mir nicht „Keine Ahnung! Wer

noch einige schenken?" kann auch in Amerika alle

Leo starrte ihm wüthend Taugenichtse kennen! Es

in die Augen. giebt dort eine ganze Menge.

„Bitte!" sagte sie höh- Aber es ist mir trotzdem interessant, es gewährt mir einen kleinen Ein-

nisch. Wenn Sie noch Hun- blick in die Verhältnisse hier. Ich werde nämlich mit Herrn von Rocholl,

ger haben — bedienen Sie also Ihrem Papa, zu thun haben, vielleicht nur geschäftlich, vielleicht auch

sich, wie in Californien! familiär, und da ich so lange ausserhalb Deutschlands war, so würde mir

Genügt ein halbes Dutzend? eine kleine Information ganz willkommen sein. Man stösst dann nicht so

Na, dann stören Sie mich leicht an, wissen Sie, und man findet sich schneller in einander! Herr vo:i

gefälligst nicht länger. Ich Rocholl ist wohl sehr reich, wie?

habe zu thun. Mahlzeit!" In Leo dämmerte eine Ahnung auf. Der Mann da war lange ausser-

Sie machte ihm einen halb Deutschlands gewesen, er hatte in der ganzen Welt nicht so saftige

spöttischen Knicks, warf ihm Birnen gegessen, und er würde mit Papa vielleicht familiär zu thun haben!

das halbe Dutzend in den Und drinnen im Hause klebten die Tapezierer das Blumenmuster auf, und

Schooss, drehte ihm dann in der Scheune standen die prachtvollen Nussbaummöbel mit den Säulen!
ostentativ den Rücken und Ein boshaftes Lächeln flog über Leo's Gesicht, dann wurde es wieder

begann eifrig Birnen aufzu- ungeheuer ernst.

lesen. „Reich?" entgegnete sie mit einem tiefen sorgenvollen Seufzer. „Ganz

Er stand auf und holte und gar nicht. Wir sind arm, wie Kirchenmäuse. Papa nennt uns selbst

dienstbeflissen den Wasch- ,elende Hungerleider'!"

korb herbei, der am Rande „Was Sie sagen! Aber er hat doch, soviel ich gehört habe, seinen

des Rasenplatzes stand. Besitz bedeutend vergrössert, indem er Templin und Amalienruh zum

„Sie gestatten doch, dass Rochollshof hinzugekauft hat!"

ich Ihnen ein wenig hehilf- „Das ist ja gerade das Unglück! Den Rochollshof allein hätte er gut

lieh bin?" fragte er dann mit und gerne durchgebracht; aber da kam sein altadeliger Familienstolz dazu.

einer chevaleresken Verbeu- Er musste alles in seiner Hand vereinigen, was den Rocholls früher ein-

gung, die Antwort auf ihren mal gehört hat, und nun geht's bei den schlechten Zeiten natürlich nicht

Knicks. „Das Bücken wird so weiter; nun pfeifen wir auf dem letzten Loche. So!"

mir gut thun. Mein Arzt Der Fremde trat theilnchmend ein wenig von ihr zurück.

behauptet ohnehin, dass ich „Oh! Oh! Das thut mir aber sehr leid!" sagte er nach einer kleinen

zu stark werde!" Weile mit seltsam weicher Stimme. „Lässt sich denn da gar nichts thun?"

Sie sammelten eine Weile „Thun? Oh, Papa thut gerade genug! Aber es gelingt ihm nichts.

schweigend Birnen in den Erst hat er Otti — meine Schwester! — an den Amtsrichter Martius ver-

... ., _ _ , , Waschkorb. heirathet. Er hielt ihn für einen reichen Mann, war er doch der Sohn

Mnniker Lrnst Schulz.

Originalskizze von Fritz Werner. „Sind Sie immer so böse, des Geheimen Commerzienraths Martius, des Grossindustriellen. Aber

Johannes Trojan.
Originalskizze von Fritz Werner.

IX. 8. III. M.
 
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