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nach der Hochzeit machte der Herr Geheimrath Pleite und mit dem vielen
erhofften Gelde war's nichts. Und nun — nun hat der aristokratische
Freiherr von Rocholl auf Rochollshof, Templin und Amalienruh heute
Tapezierer und Möbel geschickt, um möglichst wohlhabend zu erscheinen.
Denn er hat ja noch eine Tochter; jawohl, mein Herr, eine Tochter Leo!
Das bin ich!"
Sie machte ihm abermals einen wüthenden Knicks. Er zog höflich
den Hut.
„Sehr angenehm! Und eine reizende Tochter! Hauptsächlich, wenn
sie zornig ist!"
Sie hörte nicht auf ihn.
„Und da ist nun in der Stadt solch' ein reicher Parvenü, der gern in
die vornehme Gesellschaft kommen möchte. Und er hat einen Sohn, der
ihn einmal beerben wird. Der Sohn hat eine sogenannte feine Erziehung
erhalten und ist wie ein Zigeuner durch die ganze Welt vagabundirt —
wie Sie, mein Herr! Und nun kommt der Herr Sohn zurück und will hei-
rathen. Natürlich ein recht adeliges Fräulein — wie mich. Er beredet
sich also mit den Alten und da er gehört hat, dass das Fräulein ihren Kopf
für sich hat und überhaupt nicht heirathen will, so denkt er sich ganz
fein einen Roman aus und arrangirt ein ganz zufälliges, höchst roman-
tisches Zusammentreffen mit ihr, wissen Sie, im Freien, beim Obst-
pflücken, unter'm Birnbaum — auch wie Sie, mein Herr! Aber das Mädel
ist nicht ganz so dumm, wie er es sich wahrscheinlich vorgestellt hat.
Sie riecht Lunte und da sie absolut keine Anlage zur Romantik hat,
so . . wissen Sie, was sie thut?"
Sie ballte die Hände und lachte ihm höhnisch ins Gesicht.
„Nun?"
„Sie theilt ihm höflichst mit, dass sie kein Sack Roggen ist, den man
beliebig verschachern kann; dass sie für jetzt und immer darauf ver-
zichtet, seine innigst geliebte, angebetete Frau Gemahlin zu werden, und
dass sie ..." Sie erstickte das übrige durch eines ihrer Zopfenden; dann
fuhr sie ungeheuer ruhig fort: „Na, und nun steht er da, der romantische
Herr Weltumscgler und Ritter vom Geldschrank! Wissen Sie, wie er da-
steht? Wie Sie, mein Herr . . . mein Herr Anton Wichers in Firma
Wichers & Sohn, Bankhaus und Getreidehandlung! — So! Und nun lassen
Sie sich diese saftigen und süssen Rochollshofer Birnen weiter gut-
schmecken! Mahlzeit!"
Sie liess ihre Augen mit spöttischem Triumph über ihn hinblitzen,
machte ihm abermals einen tiefen Knicks, — den dritten — drehte sich
schroff auf dem Absatz herum, dass ihre Zopfenden ihm um's Gesicht
flogen, hob den Waschkorb mit beiden Händen auf und ging langsam,
Schritt vor Schritt mit hocherhobenem Haupte in's Haus.
Fünf Minuten später sass sie in der Obstkammer auf einem umge-
stülpten Apfelkasten und lachte . . lachte . . Und dennoch — seltsam!
Es war ihr nun doch nicht mehr so triumphirend zu Muthe.
* *
*
„Leo! Leo! Aber eben warst Du doch noch hier, und nun ..."
Frau Amalie ging rufend und suchend durch den Garten. Aus der
versteckten Gaisblattlaube an der Rückwand des Hauses trat ein Mann.
„Leo ist vor ungefähr fünf Minuten mit dem Waschkorb in's Haus
gegangen!" beschied er. „Sie wird wohl in der Obstkammer sein!"
Frau Amalie wandte sich mechanisch zu ihm und ihre Augen streiften
wie traumverloren sein Gesicht, auf dem die blaue Brille thronte.
„Ja, das wird sie wohl!" erwiderte Frau von Rocholl ohne eine Spur
von Verwunderung über die Anwesenheit eines Fremden. „Oh, es ist
schrecklich! — Hm, dann werde ich sie wohl in der Obstkammer suchen
müssen!"
Sie strich sich zerstreut über die Stirn und wandte sich dem Hause
wieder zu. Der Fremde sah ihr einen Augenblick nach, dann nahm er
die Brille ab.
„Malchen! Malchen Lehnhardt!"
Frau Amalie zuckte zusammen. Und fuhr zu ihm herum. Und starrte
ihn an.
„Fritz!" schrie sie plötzlich auf. „Fritz, Du?!"
Sie stürzte in seine Arme. Und Fritz von Rocholl hielt sie fest an
seine Brust gedrückt und führte sie schnell und ein wenig scheu in die
Laube auf eine Bank und setzte sich neben sie.
Frau Amalie brach in Weinen aus.
„Oh, Fritz! Denke Dir, er hat Tapezierer herausgeschickt, sie
reissen die Tapeten ab. Und prachtvolle Möbel mit Nussbaumsäulen,
sie stehen in der Scheune. Und eben ist auch noch Frau Müller,
die Damenschneiderin, mit zwei Nähmädchen gekommen, um uns allen
Kleider anzumessen. Winand hat die Stoffe selbst ausgesucht, —
oh Gott, die theuersten, die es giebt! Wo soll ich sie nur alle unter-
bringen?" [Fortsetzung folgt.]
er tolle ßlolf in Solen
Fieberphantasien eines Genesenden.
Von E. Lenbach.
[Nachdruck verboten.]
ie merkwürdig diese Geschichte ist, mögen die Leser Maler vorlängst die Münchener Goldene Medaille errungen. Eine Winter-
beurtheilen. Ich schicke aber voraus, dass sie nur nacht, unten weissgraue Unendlichkeit des Schnee's, oben das unendliche
von Solchen gelesen sein will, die selber schon einmal Graublau des Himmels, besät mit flackernden Sternpunkten. Im Hinter-
krank waren und insbesondere jenen Uebergangs- gründe tief unten ein Wolhynisches Dorf, halbvergraben unter dem Schnee;
zustand zwischen Krankheit und Genesung kennen, in dem der Mensch wie darüber vorn auf . der Höhe die einzige lebende Gestalt des Bildes, ein
ein Schiffbrüchiger an den Dünen der Gesundheit liegt und sich einst- riesiger Wolf, mit gierigen Nüstern in die Ferne spürend, die Ohren
weilen darauf beschränken muss, da zu sein. Schlafen ist in diesem Zu- gespitzt, die Ruthe eingeklemmt, ein vierbeiniger Genius des Hungers und
stand das Heilsamste und Bequemste; es kommen aber Stunden und Tage, des Frostes.
wo Leib und Seele ihr letztes Schlafvermögen ausgegeben haben, ohne Es war nur ein Holzschnitt, aber in seiner Art so vorzüglich wie das
vorläufig zu etwas Anderem Kraft und Lust zu besitzen. Der Geist, durch Urbild, dessen Farbenwirkung er zur Genüge ahnen liess. Es stand mir
die Arbeitseinstellung seiner beiden irdischen Gehülfen ausser Stande ge- vor der Seele, als ich das Blatt längst wieder weggelegt hatte. Ich schloss
setzt, einen nutzbringenden Betrieb zu eröffnen, beschäftigt sich damit, die Augen, um einen neuen Schlafversuch zu machen. Aber nun begann
wie ein gelangweilter junger Arzt ohne Patienten in seinem Photographie- der müssige Geist seine Spielerei. Dieser Wolf, stand er nicht da wie
Album zu blättern. Gedanken und Bilder jagen sich, sie werfen einander ein König inmitten seines furchtbaren, todesstummen Reiches? Und wie
ordentlich über den Haufen und verwirren sich zu wildverknäulten Gruppen, ein recht böser, blutdürstiger König; sagen wir wie Richard der Dritte, mit
die einem oberbayerischen Kirmessbild von Oberländer Ehre machen dem er auch den krummen Buckel gemeinsam hatte. „Ein Königreich für'n
würden. Pferd!" Was? Für ein Pferd?! Für ein mageres Ferkel würde dieser
In einer solchen gesegneten Stunde gerieth mir eine Holzschnitt-Copie zottige Räuberkönig der Steppe jetzt sein ganzes Reich geben; oder was
jenes wundervollen Gemäldes in die Hände, mit dem sich ein polnischer ihm sonst der Zufall an Essbarem in den Weg führte, und wäre es selbst
nach der Hochzeit machte der Herr Geheimrath Pleite und mit dem vielen
erhofften Gelde war's nichts. Und nun — nun hat der aristokratische
Freiherr von Rocholl auf Rochollshof, Templin und Amalienruh heute
Tapezierer und Möbel geschickt, um möglichst wohlhabend zu erscheinen.
Denn er hat ja noch eine Tochter; jawohl, mein Herr, eine Tochter Leo!
Das bin ich!"
Sie machte ihm abermals einen wüthenden Knicks. Er zog höflich
den Hut.
„Sehr angenehm! Und eine reizende Tochter! Hauptsächlich, wenn
sie zornig ist!"
Sie hörte nicht auf ihn.
„Und da ist nun in der Stadt solch' ein reicher Parvenü, der gern in
die vornehme Gesellschaft kommen möchte. Und er hat einen Sohn, der
ihn einmal beerben wird. Der Sohn hat eine sogenannte feine Erziehung
erhalten und ist wie ein Zigeuner durch die ganze Welt vagabundirt —
wie Sie, mein Herr! Und nun kommt der Herr Sohn zurück und will hei-
rathen. Natürlich ein recht adeliges Fräulein — wie mich. Er beredet
sich also mit den Alten und da er gehört hat, dass das Fräulein ihren Kopf
für sich hat und überhaupt nicht heirathen will, so denkt er sich ganz
fein einen Roman aus und arrangirt ein ganz zufälliges, höchst roman-
tisches Zusammentreffen mit ihr, wissen Sie, im Freien, beim Obst-
pflücken, unter'm Birnbaum — auch wie Sie, mein Herr! Aber das Mädel
ist nicht ganz so dumm, wie er es sich wahrscheinlich vorgestellt hat.
Sie riecht Lunte und da sie absolut keine Anlage zur Romantik hat,
so . . wissen Sie, was sie thut?"
Sie ballte die Hände und lachte ihm höhnisch ins Gesicht.
„Nun?"
„Sie theilt ihm höflichst mit, dass sie kein Sack Roggen ist, den man
beliebig verschachern kann; dass sie für jetzt und immer darauf ver-
zichtet, seine innigst geliebte, angebetete Frau Gemahlin zu werden, und
dass sie ..." Sie erstickte das übrige durch eines ihrer Zopfenden; dann
fuhr sie ungeheuer ruhig fort: „Na, und nun steht er da, der romantische
Herr Weltumscgler und Ritter vom Geldschrank! Wissen Sie, wie er da-
steht? Wie Sie, mein Herr . . . mein Herr Anton Wichers in Firma
Wichers & Sohn, Bankhaus und Getreidehandlung! — So! Und nun lassen
Sie sich diese saftigen und süssen Rochollshofer Birnen weiter gut-
schmecken! Mahlzeit!"
Sie liess ihre Augen mit spöttischem Triumph über ihn hinblitzen,
machte ihm abermals einen tiefen Knicks, — den dritten — drehte sich
schroff auf dem Absatz herum, dass ihre Zopfenden ihm um's Gesicht
flogen, hob den Waschkorb mit beiden Händen auf und ging langsam,
Schritt vor Schritt mit hocherhobenem Haupte in's Haus.
Fünf Minuten später sass sie in der Obstkammer auf einem umge-
stülpten Apfelkasten und lachte . . lachte . . Und dennoch — seltsam!
Es war ihr nun doch nicht mehr so triumphirend zu Muthe.
* *
*
„Leo! Leo! Aber eben warst Du doch noch hier, und nun ..."
Frau Amalie ging rufend und suchend durch den Garten. Aus der
versteckten Gaisblattlaube an der Rückwand des Hauses trat ein Mann.
„Leo ist vor ungefähr fünf Minuten mit dem Waschkorb in's Haus
gegangen!" beschied er. „Sie wird wohl in der Obstkammer sein!"
Frau Amalie wandte sich mechanisch zu ihm und ihre Augen streiften
wie traumverloren sein Gesicht, auf dem die blaue Brille thronte.
„Ja, das wird sie wohl!" erwiderte Frau von Rocholl ohne eine Spur
von Verwunderung über die Anwesenheit eines Fremden. „Oh, es ist
schrecklich! — Hm, dann werde ich sie wohl in der Obstkammer suchen
müssen!"
Sie strich sich zerstreut über die Stirn und wandte sich dem Hause
wieder zu. Der Fremde sah ihr einen Augenblick nach, dann nahm er
die Brille ab.
„Malchen! Malchen Lehnhardt!"
Frau Amalie zuckte zusammen. Und fuhr zu ihm herum. Und starrte
ihn an.
„Fritz!" schrie sie plötzlich auf. „Fritz, Du?!"
Sie stürzte in seine Arme. Und Fritz von Rocholl hielt sie fest an
seine Brust gedrückt und führte sie schnell und ein wenig scheu in die
Laube auf eine Bank und setzte sich neben sie.
Frau Amalie brach in Weinen aus.
„Oh, Fritz! Denke Dir, er hat Tapezierer herausgeschickt, sie
reissen die Tapeten ab. Und prachtvolle Möbel mit Nussbaumsäulen,
sie stehen in der Scheune. Und eben ist auch noch Frau Müller,
die Damenschneiderin, mit zwei Nähmädchen gekommen, um uns allen
Kleider anzumessen. Winand hat die Stoffe selbst ausgesucht, —
oh Gott, die theuersten, die es giebt! Wo soll ich sie nur alle unter-
bringen?" [Fortsetzung folgt.]
er tolle ßlolf in Solen
Fieberphantasien eines Genesenden.
Von E. Lenbach.
[Nachdruck verboten.]
ie merkwürdig diese Geschichte ist, mögen die Leser Maler vorlängst die Münchener Goldene Medaille errungen. Eine Winter-
beurtheilen. Ich schicke aber voraus, dass sie nur nacht, unten weissgraue Unendlichkeit des Schnee's, oben das unendliche
von Solchen gelesen sein will, die selber schon einmal Graublau des Himmels, besät mit flackernden Sternpunkten. Im Hinter-
krank waren und insbesondere jenen Uebergangs- gründe tief unten ein Wolhynisches Dorf, halbvergraben unter dem Schnee;
zustand zwischen Krankheit und Genesung kennen, in dem der Mensch wie darüber vorn auf . der Höhe die einzige lebende Gestalt des Bildes, ein
ein Schiffbrüchiger an den Dünen der Gesundheit liegt und sich einst- riesiger Wolf, mit gierigen Nüstern in die Ferne spürend, die Ohren
weilen darauf beschränken muss, da zu sein. Schlafen ist in diesem Zu- gespitzt, die Ruthe eingeklemmt, ein vierbeiniger Genius des Hungers und
stand das Heilsamste und Bequemste; es kommen aber Stunden und Tage, des Frostes.
wo Leib und Seele ihr letztes Schlafvermögen ausgegeben haben, ohne Es war nur ein Holzschnitt, aber in seiner Art so vorzüglich wie das
vorläufig zu etwas Anderem Kraft und Lust zu besitzen. Der Geist, durch Urbild, dessen Farbenwirkung er zur Genüge ahnen liess. Es stand mir
die Arbeitseinstellung seiner beiden irdischen Gehülfen ausser Stande ge- vor der Seele, als ich das Blatt längst wieder weggelegt hatte. Ich schloss
setzt, einen nutzbringenden Betrieb zu eröffnen, beschäftigt sich damit, die Augen, um einen neuen Schlafversuch zu machen. Aber nun begann
wie ein gelangweilter junger Arzt ohne Patienten in seinem Photographie- der müssige Geist seine Spielerei. Dieser Wolf, stand er nicht da wie
Album zu blättern. Gedanken und Bilder jagen sich, sie werfen einander ein König inmitten seines furchtbaren, todesstummen Reiches? Und wie
ordentlich über den Haufen und verwirren sich zu wildverknäulten Gruppen, ein recht böser, blutdürstiger König; sagen wir wie Richard der Dritte, mit
die einem oberbayerischen Kirmessbild von Oberländer Ehre machen dem er auch den krummen Buckel gemeinsam hatte. „Ein Königreich für'n
würden. Pferd!" Was? Für ein Pferd?! Für ein mageres Ferkel würde dieser
In einer solchen gesegneten Stunde gerieth mir eine Holzschnitt-Copie zottige Räuberkönig der Steppe jetzt sein ganzes Reich geben; oder was
jenes wundervollen Gemäldes in die Hände, mit dem sich ein polnischer ihm sonst der Zufall an Essbarem in den Weg führte, und wäre es selbst