MODERNE KUNST.
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Maler in Nizza.
Fieberbaum aus Australien, bepflanzt ist, nicht gut auf-
kommen. Sie verstehen nichts von Politik, die guten
Nizzarden. Als Italien sie an Frankreich abtrat, wurde
ihr Haar keineswegs über Nacht weiss, und die Triko-
lore der Schönen von Nizza ist die nämliche geblieben;
weder italienisches Grün-Weiss-Roth, noch französisches
Blau-Weiss-Roth, sondern nizzardisches Blau-Schwarz-
Weiss. Nämlich blaue Augen, schwarzes Haar und
weisser Teint, was anerkanntermaassen unter die schön-
sten Nationalfarben gehört.
Der einzige Krieg, der hier allerdings jedes Jahr
ausbricht, heisst Carneval und fällt in den eingangs er-
wähnten Hochfrühling. Da werden regelmässig drei
Schlachten geschlagen: die Confettischlacht, die Blumen-
schlacht und die Moccolischlacht. In jeder der drei kann
sich der Tapfere nach Herzenslust auszeichnen. Wer
am Confetti-Tage in Cylinderhut und schwarzem Paletot
durch die Strasse des heiligen Franziskus von Paula,
über den Corso und an der Präfcctur vorbeigegangen
ist, der hat mehr gewagt, als Bonaparte auf der Brücke
von Arcole. Dieser wurde nicht mit Confetti, sondern
nur mit Kartätschen angehagelt und kam nicht vom
Kopf bis zu den Füssen angegypst, als sein eigener
Gypsabguss heim. „Einmal und nicht wieder," sagte ich
mir, obgleich ich damals noch verhältnissmässig jung war, .' !
im Jahre 1875. Unsere ganze Pension war in corpore
ausgerückt, im Zuge selbst, weil das nichts kostete. Wir
waren als „englische Faune" gekleidet, mit hohen grauen
Cylinderhüten, rothen Backenbärten, blauen Brillen, gel-
ben Nankingfräcken und struppigen Bocksfüssen dazu.
Es schneite an jenem Tage und wir kamen mit weissen
Epauletten aus Schnee und einem gemeinsamen Pensions-
schnupfen heim. Das Confettiwerfen war den Leutchen
damals verleidet, aber ich entging ihm doch nicht. In
der Altstadt, jenseits des Paillon, wo jedes Gässchen
ein Treppchen ist und in einen finsteren Sack mündet,
fand es statt. Ich ging nach der „tollen Woche" hinaut,
um mich auf der kleinen Levkojcnterrasse der sogenann-
ten „Mausefalle" — sie ist halb Capelle, halb Osteria — .^v^--^ es»«**
r ' ftaa^^L^y Onginalzeicnnung von
zu sonnen. Man trank dort einen rothen Bellat, den die E Rosenstand
Ortskundigen selbst dem noch rötheren Falicon vorzogen
und den die Frühlingssonne köstlich durchwärmte. Dazu I a: 11 einzelne gerade ein pralinirtcs
kochte einem die alte Maus — die Wirthin hiess näm- '»mL*- -1221! Bonbon von Rümpel, dem Welt-
lich Madame Souris— ein „Ravioli", für das man in der laH berühmten, im Munde. Oben
russischen Taverne des Casino neun Francs bezahlt. Ihre K', fe> , warfen sich die Leutchen mit
Hühner hatten die Eier dazu eigenhändig gelegt, sagte Kj Mc« Rüben und Zwiebeln, unten mit
sie, und den Käse dazu bezog sie aus St. Martin de fe^-M-L 5 Doppelveilchen und Camclien.
Lantosquc, hochoben in der „maritimen Schweiz", wo '' 1 j£Sr Ein Faschingmontag bringt eine
ihr Sohn eine Almerei hatte. Und das Gemüse dazu ZSZ*"^^' halbe Million Francs in Göttin
kaufte sie von ihrer neunzigjährigen Mutter, unten am —. -C Flora's Sparbüchse. Man hat
gelbsprudelnden Var, deren Gemüse wie lauter Blumen ^Wj^ttM0-1" Nizza schon als alles Mögliche
aussah. Und so wie Madame Souris wusste Niemand P"**«» bezeichnet: als „mittelländi-
diese Dinge feinzuhacken, zu mengen, zu buttern sches Babel", als „Stadt der
(beurrer ä l'huile, sagte sie) und über einem liebevollen Väter" (wegen der Väter Gari-
Feuer (feu amoureux, sagte sie) zu bräunen. Der Ravioli, das war der Speck baldi's, Gambetta's und Sardou's), als „Avenue de l'Opera am Südmeer", als
in der Mausefalle. Und man hatte dabei die Aussicht, in sieben verschiedene „Residenz des Frühlings" und „Mylordopolis"; eigentlich aber und vor allem
Gossen (mit o) hinab, die nicht gerade parlümirt waren, und über ungezählte ist es doch die Blumenstadt. Es ist unbegreiflich, warum man noch heute
ziegelbraune Dächer, auf denen mit Flobertgewehren Katzen geschossen wurden, „violettes de Panne" (und Parmesankäse) sagt. Selbst aus Florenz werden keine
miauende Kaninchen für die Gibclotten in so mancher Casserole der Altstadt. 100 000 Schachteln Blumen in einem Winter versandt. Nizza ist die Stadt Al-
Ringsum aber starrten Hunderte, nein, viele Tausende von umgestürzten irdenen phonse Karr's, des Verse- und Blumenzüchters, der einst von sich sagte: „Ich
Blumentüplen, die lauter Schornsteine waren und deren hellblaue Athemzüge habe Nizza in das Knopfloch von Paris gesteckt." Er hat Nizza zu einer Blumen-
sich als Rauchwölkchen vom tiefblauen Himmel abhoben. Und die Eleganten grosse gemacht, und dann wurde ihm selber vor dieser Herrlichkeit bange und
mit vergoldeten französischen Schuhabsätzen Hessen sich auf Tragstühlen hinauf- er entfloh in die Stille von Saint-Raphael. Noch jetzt heisst ein Blumenladen
bringen, während ihre Begleiter in genagelten, juchtenen Schnürschuhen über die am Jardin Public, „Zum Alphonse Karr". Darum war Karr auch der Vater
vielen glitschigen Pflasterstufen nachstolperten. Und siehe da, am Sonntag nach Solignac's, des grossen, unerreichten Solignae.s, des Königs der Bouquetieren.
der tollen Woche machte sich die Jugend von Alt-Nizza da oben ihre eigene Der kleine, grauköpfige Gärtner, der als anerkannte Weltberühmtheit noch in
Confettischlacht mit den in Rue St. Vincent de Paula zusammengekehrten Gc- 1 Icmdärmeln Rosen zuschnitt und Veilchen begoss. war zugleich das bahnbrechende
schössen. Das war ein noch ganz anderes Kreuzfeuer als unter den Augen Genie für Blumenarrangements. In London und St. Petersburg prangten Ball-
Monsieur le Prefets. Die hohe Gaminerie von Nizza macht nämlich da oben der königinnen mit Solignac'schen Blumensträussen zu 1000 Francs. Seine Knopf-
eleganten Welt all das parodistisch nach. Auch die Balgerei mit den Lichtlein, lochabonnenten allein, denen er jeden Tag eine gefüllte Nelke zu liefern hatte,
die ausgeblasen und wieder angesteckt werden. Sie sammeln auf dem Corso machten ihn reich. Solignac war ein Dichter und Maler in Blumen; ein Bouquet-
die weggeworfenen Stümpfchen und was unten noch Moccoli war, wird oben gelehrter. Er skizzirte Kränze in Aquarell und ersann dabei förmliche Symphonien.
Moccolatti. Nur ihr Feuerwerk ist weniger glänzend, als unter dem zweiten Ein von ihm geschmückter Fächer, eine von ihm umrahmte Photographie waren
Kaiserreich, wo Mr. Gavini, der unsterbliche Präfect von Nizza, der Altstadt, jeden Musealstücke. Eine Petroleumkönigin erschien einst auf dem Blumencorso in
pyrotechnischen Unfug gestattete, allerdings auch die Pompiers fortwährend einem Schlitten, der eine Eisgrotte darstellte und dicht mit Eiszapfenbeilängen
bereit hielt. aus Silber und echten Maiglöckchen drapirt war. Man rieth hin und her, wie
Der Blumencorso der Altstadt blieb freilich hinter dem der englischen Stadt viel Petroleum Solignac wohl dafür erhalten haben mochte. Bei Solignac hing
zurück. Dazu bedarl es nun einmal einer Promenade des Anglais und zweier als weltgeschichtliches Andenken unter manchen anderen die Photographie der
Equipagenreihen voll nobler Leute mit einem Gesichtsausdruck, als hätte jeder chapelle ardente des Thronfolgers Nikolaus Alexandrowitsch, die er ausgerüstet
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Maler in Nizza.
Fieberbaum aus Australien, bepflanzt ist, nicht gut auf-
kommen. Sie verstehen nichts von Politik, die guten
Nizzarden. Als Italien sie an Frankreich abtrat, wurde
ihr Haar keineswegs über Nacht weiss, und die Triko-
lore der Schönen von Nizza ist die nämliche geblieben;
weder italienisches Grün-Weiss-Roth, noch französisches
Blau-Weiss-Roth, sondern nizzardisches Blau-Schwarz-
Weiss. Nämlich blaue Augen, schwarzes Haar und
weisser Teint, was anerkanntermaassen unter die schön-
sten Nationalfarben gehört.
Der einzige Krieg, der hier allerdings jedes Jahr
ausbricht, heisst Carneval und fällt in den eingangs er-
wähnten Hochfrühling. Da werden regelmässig drei
Schlachten geschlagen: die Confettischlacht, die Blumen-
schlacht und die Moccolischlacht. In jeder der drei kann
sich der Tapfere nach Herzenslust auszeichnen. Wer
am Confetti-Tage in Cylinderhut und schwarzem Paletot
durch die Strasse des heiligen Franziskus von Paula,
über den Corso und an der Präfcctur vorbeigegangen
ist, der hat mehr gewagt, als Bonaparte auf der Brücke
von Arcole. Dieser wurde nicht mit Confetti, sondern
nur mit Kartätschen angehagelt und kam nicht vom
Kopf bis zu den Füssen angegypst, als sein eigener
Gypsabguss heim. „Einmal und nicht wieder," sagte ich
mir, obgleich ich damals noch verhältnissmässig jung war, .' !
im Jahre 1875. Unsere ganze Pension war in corpore
ausgerückt, im Zuge selbst, weil das nichts kostete. Wir
waren als „englische Faune" gekleidet, mit hohen grauen
Cylinderhüten, rothen Backenbärten, blauen Brillen, gel-
ben Nankingfräcken und struppigen Bocksfüssen dazu.
Es schneite an jenem Tage und wir kamen mit weissen
Epauletten aus Schnee und einem gemeinsamen Pensions-
schnupfen heim. Das Confettiwerfen war den Leutchen
damals verleidet, aber ich entging ihm doch nicht. In
der Altstadt, jenseits des Paillon, wo jedes Gässchen
ein Treppchen ist und in einen finsteren Sack mündet,
fand es statt. Ich ging nach der „tollen Woche" hinaut,
um mich auf der kleinen Levkojcnterrasse der sogenann-
ten „Mausefalle" — sie ist halb Capelle, halb Osteria — .^v^--^ es»«**
r ' ftaa^^L^y Onginalzeicnnung von
zu sonnen. Man trank dort einen rothen Bellat, den die E Rosenstand
Ortskundigen selbst dem noch rötheren Falicon vorzogen
und den die Frühlingssonne köstlich durchwärmte. Dazu I a: 11 einzelne gerade ein pralinirtcs
kochte einem die alte Maus — die Wirthin hiess näm- '»mL*- -1221! Bonbon von Rümpel, dem Welt-
lich Madame Souris— ein „Ravioli", für das man in der laH berühmten, im Munde. Oben
russischen Taverne des Casino neun Francs bezahlt. Ihre K', fe> , warfen sich die Leutchen mit
Hühner hatten die Eier dazu eigenhändig gelegt, sagte Kj Mc« Rüben und Zwiebeln, unten mit
sie, und den Käse dazu bezog sie aus St. Martin de fe^-M-L 5 Doppelveilchen und Camclien.
Lantosquc, hochoben in der „maritimen Schweiz", wo '' 1 j£Sr Ein Faschingmontag bringt eine
ihr Sohn eine Almerei hatte. Und das Gemüse dazu ZSZ*"^^' halbe Million Francs in Göttin
kaufte sie von ihrer neunzigjährigen Mutter, unten am —. -C Flora's Sparbüchse. Man hat
gelbsprudelnden Var, deren Gemüse wie lauter Blumen ^Wj^ttM0-1" Nizza schon als alles Mögliche
aussah. Und so wie Madame Souris wusste Niemand P"**«» bezeichnet: als „mittelländi-
diese Dinge feinzuhacken, zu mengen, zu buttern sches Babel", als „Stadt der
(beurrer ä l'huile, sagte sie) und über einem liebevollen Väter" (wegen der Väter Gari-
Feuer (feu amoureux, sagte sie) zu bräunen. Der Ravioli, das war der Speck baldi's, Gambetta's und Sardou's), als „Avenue de l'Opera am Südmeer", als
in der Mausefalle. Und man hatte dabei die Aussicht, in sieben verschiedene „Residenz des Frühlings" und „Mylordopolis"; eigentlich aber und vor allem
Gossen (mit o) hinab, die nicht gerade parlümirt waren, und über ungezählte ist es doch die Blumenstadt. Es ist unbegreiflich, warum man noch heute
ziegelbraune Dächer, auf denen mit Flobertgewehren Katzen geschossen wurden, „violettes de Panne" (und Parmesankäse) sagt. Selbst aus Florenz werden keine
miauende Kaninchen für die Gibclotten in so mancher Casserole der Altstadt. 100 000 Schachteln Blumen in einem Winter versandt. Nizza ist die Stadt Al-
Ringsum aber starrten Hunderte, nein, viele Tausende von umgestürzten irdenen phonse Karr's, des Verse- und Blumenzüchters, der einst von sich sagte: „Ich
Blumentüplen, die lauter Schornsteine waren und deren hellblaue Athemzüge habe Nizza in das Knopfloch von Paris gesteckt." Er hat Nizza zu einer Blumen-
sich als Rauchwölkchen vom tiefblauen Himmel abhoben. Und die Eleganten grosse gemacht, und dann wurde ihm selber vor dieser Herrlichkeit bange und
mit vergoldeten französischen Schuhabsätzen Hessen sich auf Tragstühlen hinauf- er entfloh in die Stille von Saint-Raphael. Noch jetzt heisst ein Blumenladen
bringen, während ihre Begleiter in genagelten, juchtenen Schnürschuhen über die am Jardin Public, „Zum Alphonse Karr". Darum war Karr auch der Vater
vielen glitschigen Pflasterstufen nachstolperten. Und siehe da, am Sonntag nach Solignac's, des grossen, unerreichten Solignae.s, des Königs der Bouquetieren.
der tollen Woche machte sich die Jugend von Alt-Nizza da oben ihre eigene Der kleine, grauköpfige Gärtner, der als anerkannte Weltberühmtheit noch in
Confettischlacht mit den in Rue St. Vincent de Paula zusammengekehrten Gc- 1 Icmdärmeln Rosen zuschnitt und Veilchen begoss. war zugleich das bahnbrechende
schössen. Das war ein noch ganz anderes Kreuzfeuer als unter den Augen Genie für Blumenarrangements. In London und St. Petersburg prangten Ball-
Monsieur le Prefets. Die hohe Gaminerie von Nizza macht nämlich da oben der königinnen mit Solignac'schen Blumensträussen zu 1000 Francs. Seine Knopf-
eleganten Welt all das parodistisch nach. Auch die Balgerei mit den Lichtlein, lochabonnenten allein, denen er jeden Tag eine gefüllte Nelke zu liefern hatte,
die ausgeblasen und wieder angesteckt werden. Sie sammeln auf dem Corso machten ihn reich. Solignac war ein Dichter und Maler in Blumen; ein Bouquet-
die weggeworfenen Stümpfchen und was unten noch Moccoli war, wird oben gelehrter. Er skizzirte Kränze in Aquarell und ersann dabei förmliche Symphonien.
Moccolatti. Nur ihr Feuerwerk ist weniger glänzend, als unter dem zweiten Ein von ihm geschmückter Fächer, eine von ihm umrahmte Photographie waren
Kaiserreich, wo Mr. Gavini, der unsterbliche Präfect von Nizza, der Altstadt, jeden Musealstücke. Eine Petroleumkönigin erschien einst auf dem Blumencorso in
pyrotechnischen Unfug gestattete, allerdings auch die Pompiers fortwährend einem Schlitten, der eine Eisgrotte darstellte und dicht mit Eiszapfenbeilängen
bereit hielt. aus Silber und echten Maiglöckchen drapirt war. Man rieth hin und her, wie
Der Blumencorso der Altstadt blieb freilich hinter dem der englischen Stadt viel Petroleum Solignac wohl dafür erhalten haben mochte. Bei Solignac hing
zurück. Dazu bedarl es nun einmal einer Promenade des Anglais und zweier als weltgeschichtliches Andenken unter manchen anderen die Photographie der
Equipagenreihen voll nobler Leute mit einem Gesichtsausdruck, als hätte jeder chapelle ardente des Thronfolgers Nikolaus Alexandrowitsch, die er ausgerüstet