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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Höcker, Paul Oskar: Frühlingsstimmungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0203

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MODERNE KUNST.

der Alpen wird jenseits des Mittelmeeres in den heissen Sandgebieten des sich für die Beizjagd abrichten zu lassen. Armer zappelnder kleiner Räubert

Acgypterlandes der Frühling herbeigesehnt, der Frühling, der dem durstigen Doch gedulde dich: wenn du das Glück hast, Ritter und Edelfrauen noch zu

Nilthal die „Nacht des Tropfens" bringen soll und damit Gedeihen und Frucht- deinen Zeitgenossen zuzählen, so wirst du Zeuge sein blumiger, verliebter Reden,

barkeit. Die Thränen der Isis, die sie um den todten Gatten weint, sie seien heisser Werbungen und loser Schelmerei — auf dieser Jagd der Minne, auf der

es, die den Nil schwellen machen — so wissen die der uralten Sage kundigen nicht nur dem Wilde Gefahr droht, sondern auch dem Jäger.

Aegypter zu berichten, so oft die Frühjahrsregengüsse sich mit den Schnee- Ä ,,.
wassermasseii vereinigen, die von dem abessinischen Hochgebirge brausend und

donnernd herabstürzen. Allein die Sage irrt. Thränen des Mitleids sind es: Durch dunkelnde Wälder rast die Jagd — der Fuss des Rosses sinkt in tiefe

Die heilige Blume des Nils ist todt und muss zu neuem Leben erweckt werden Gruben — unheimliche Nachtvögel umkreisen den Jäger — der Zelter scheut

— das Kind des feieilichen alten Wunderlandes - die Lotosblume! Wenn vor den höhnenden Irrlichtern der Wildniss — und Ross und Reiterin, denen

der Nil im Frühling zu schwellen beginnt, dann erwacht auch die Lotosblume der stürmische Ritter mit kühnem Liebcsfordern folgte, sie wandeln sich in ge-

im tiefen Grunde des Stromes wieder zum Leben, dehnt und streckt sich, bis spenstische Gestalten. Ein leuchtendes Gewand umfliesst den wonnigen jungen

ihr himmelblaues oder saphirgrünes Köpfchen über die Wasserfläche reicht. Leib — goldschimmerndes Haar umrauscht das herrliche Antlitz. Es ist die

wenn der Strom seinen reichen Segen spendet, dann entfaltet sie auf den grünen Hexe Lorelei, die dem Jäger im nachtdunkeln Wald Verderben bringt — wie

schimmernden Fluthen ihre feinadrigen Blättertellcr und zarten tulpenartigen dem Schiffer, den ihr vom hohen Felsen herabklingendes Zauberlied berückt

Blüthen. und wenn der Strom allmählich zu sinken beginnt, dann stirbt sie . hat! . . .
langsam ab — die keusche Nymphäe, die nur des Nachts dem milden Glanz des

Mondlichts ihre Blüthe öffnet, sie aber schämig schliesst vor den sengenden Da ertönen weihevolle Chorgesänge — feierlich schallt Orgel- und Glocken-
Strahlen der Sonne. — Den unbewölkten Himmel, der klang zur sündigen Menschheit. Der Zauberspuk ver-
brennende Gluth verbreitet, hasst der Lotos nicht allein. iM i ^ : n _,__._ _ _ ........... ■ fliegt. Ernst und ergreifend erklingt der Chor der Engel:

Gleich ihm und seinem gebräunten Landsmann, dem £E # ~-~~ "' „Christ ist or-tanden'." Lud das ('.übet wird brünstiger

Aegypter. ersehnt der Fellah Arabiens den regenspenden- K °°*~^ "~ ■ ". -——- —" Gennss. Dies Lied der himmlischen Wunderbotschaft

den Frühling, der den wasserlosen, einförmigen und jJB ^_ - ■ "■ 7 ~-f^ „„",7 tröstet den Verzweifelnden und Elenden, faustisches

afrikanisch dürren Boden endlich zur grünen Flur machen 22 # —^~t-—- . . — . - ~- Ringen löst sich in süss erquickende Zähren auf. Der

wird. Beim Untergang der Sonne sitzt der Fellah hinter == _, " — i - ; . — Frühlingsfcicr frohes Glück geniesst Jung und Alt.
dem arabischen Dörfchen, der freundlicheren Nacht —^—^r__^ " —:d „Jeder sonnt sich heute so gern: sie feiern die Auf-
mit ihren flammenden Sternen und ihrem kühlenden '•J-r^4g'*~' ^fc""*^^--- erstehung des Herrn: denn sie sind selber auferstanden,
Niederschlag, dem einzigen Labsal der schmachtenden r" .;ä«»'^PP^ € fjj aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern, aus Hand-
verkümmerten Natur, harrend. Sein Auge erquickt sich —---— -- / , El^rsi werks- und Gewerbesbanden, aus dem Druck von Giebeln

nicht an dem wonnigen, berauschenden Farbenspiel des ' ~~ J i £__-J, und Dächern, aus der Strassen quetschender Enge, aus

gluthgebadcten Westens: es ist müde und heiss von der -'">, jj I Wgßr==E=, der Kirchen ehrwiird'ger Nacht sind sie alle ans Licht

Qual des dürren Tages. Lud wenn er schlaftrunken in —-*rlrV % 3 / Wt ~ ' gebracht." — Auf der Landstrasse ziehen sie dahin,

sein armseliges Zelt kriecht, so kennt seine Seele nur """^---: ^slm^ gf" j die Schaarcn gläubiger Christen. Das Wort des Priesters

den einen Wunsch: dass Allah Fruchtbarkeit gehe dem _ :J^%r^^|L | ..'Tg. war in der heiligen Ostermesse tröstlicher, erhebender

durstigen Lande. Nach Mekka gewandt betet er's zum =^ ~" h^ j^PS^x. K=—~~ und freudiger als während der langen Charzeit; neu er-

fünften Mal am Tage, und so täglich, täglich auch ■ . jL' ■■ ^^Bjj^bblp1 ~ _ frischt ziehen Bauer und Bäuerin, die in ihren schmucken

wenn Allah jahrelang das Frühlingsgi ; des armen _ -g:. ~ ^|P^W Z bunten Trachten von des Berges lernen Pfaden herab-

Fcllah nicht hört. Doch der ist zäh und gottergeben ~ y- - Jft_ . - —i wallfahrteten. heim zum Osterschmauss.
und verzagt nicht: gleich Hiob,.dcm grossen Philosophen,
der vor Jahrtausenden an gleicher Stelle seine Heerden
trieb und seine demüthigen Gebete sprach.

Vorsichtig wagt sich Gevatter Schneider und Hand-
schuhmacher vor das Stadtthor, wo die Bürgerstöchter

Im. Mittelalter schaarten sich die Glaubensritter in ~~^ff==I^Sf?ir —--X "—~ T ~***~ - heute die ersten sommerlichen Toiletten bewundern

demüthiger Verehrung um die geweihte Reliquie, die an jAa?jp^jLS^ -."l^^j ^ , , lassen. Die Wirthsgärten mit den blankgescheuerten
diesem Tag Zeuge der Leiden Christi gewesen — um =—_jH&r^jNf-~~ — - /~ -5 Tischen und Bänken füllen sich, die schlanken knospen-
den heiligen Gral, das smaragdene Gefäss, das des : . ~^S^t^^:-^/^^^- den Birken, die stämmigen Eichen vernehmen funkel-

Gekreuzigten Blut aufgefangen. In süssem Dämmer ver- ____"^j&M^'r —=—=---- .' nagelneue, zärtliche Geheimnisse verstohlen flüsternder

mischen sich poetische heidnische Vorstellungen mit der !■ . ^H&B,t^£-^—---- - — ^s^-1 Liebespaare, und sie nicken behäbig und überlegen

rührenden christlichen Legende. Auf dem Boden der c. Fröschl. Der neugierige Amor. wie Ben Akiba. Unter die festliche Menge auf der

Provence entsteht die Sage vom Chevalier des fleurs, Landstrasse drängen sich fliegende Händler und

Wolfram von Eschenbach verflicht sie mit der Parsifals und des Grals, und der Musikanten, die ihre schlechte Waare um gutes Geld loswerden: denn heut

Bayreuther Meister knüpft daran an, wenn er den von seiner Mutter Herzcleidc ist alles in Gebelaune. Nur der kleine schmutzige Böhm', der auch an

fortziehenden reinen Thoren durch seinen ritterlich gläubigen Sinn die lockenden solchem Tag seinem Gewerbe nachgeht, macht keine glänzenden Geschäfte.

Verführungen liebcheischender holdduftendcr Mädchengestalten siegreich über- Wo er Menschen sieht, tritt er mit demüthiger Miene näher, und radebrecht eine

winden lässt. Das war noch nicht das galante Ritterthum der späteren Zeit. Aufzählung seines Musterlagers, denn er ist sein eigener Reisender. So kommt

* s er auch zu dem holden Mädchentrio, das in duftigen Frühlingsgewändern eng

aneinander geschmiegt auf der Bank in der Stadtanlage sitzt: es ist in die
Ein Widerspiel der Minne ist dem ritterlichen Recken die Jagd! Nicht Lecture eines Büchleins vertieft, das — die elegante Lederfassung und der blitz-
anbetend staunen will er mehr — in wilder Lust erjagen, bei schmetterndem saubere Goldschnitt sind Verräther — ohne Zweifel gereimten Inhalt hat. -Ein
Hörnerklang das kostbare Wild erbeuten! Des Ritters Schildzeichen ist der kühne sonderbares Angebot bringst du da an, armer, kleiner Böhm'! Du verstehst
listige Falke. Und dieser schlanke Räuber ist auch der Liebling der minnigen - nicht die Komik der Situation, denn du hältst die verlockend dargebotene
Frau, die ihn auf ihrem zierlichen Daumen trägt, wenn sie hoch zu Ross den Mausfalle für ein durchaus ernst zu nehmendes und der angehenden Hausfrau
Stöberhunden folgt auf der lustigen Reiherjagd. In verschwiegenem Horst Aerger und Leid ersparendes Ausrüstungsstück. Die Vorleserin sieht dich
hoch oben im Gezweig liegt das Falkennest, das der kühne Wandervogel aber strafend an. Hättest du nicht so rührend hübsche Augen, armer, kleiner,
im Frühling bei seiner Rückkehr aus dem fernsten Süden sich ei beutet schmutziger Böhm' —--

hat. Trotz seiner räuberischen Natur, die unter anderem gefiederten Volk, Versuch's lieber bei den Mädchen am Brunnen! Da plaudert sich's gut

den Tauben. Rebhühnern und Kiebitzen, die ärgsten Verheerungen anrichtet, an lauschiger Stelle, denn das Laub schützt vor scharfen Augen und Ohren, für

beweist er dem Weibchen, das im Nest bei den piepsenden und die Hälse die Herzensgeheimnisse nicht geschaffen sind. Und wenn man von Liebesglück

aufsperrenden Jungen zurückbleibt, eine ritterliche Zärtlichkeit. Er wagt erzählt, geht das Herz auf und man kann eine Bitte nicht abschlagen, selbst

sich für das hungernde Völkchen weit, weit fort über Wald und Felsgebirge. wenn sich's nur um Mausefallen handelt. Den gefährlichster. Lauscher sehen

ja, bis in die Städte und zu den Burgen. Im Flug erhascht er die Nahrung, die Mädchen ja doch nicht: den neugierigen Amor, der „hinter dem Zaune"

indem er von oben her auf sein Opfer stösst: an abgelegener Stelle rupft lauseht und sich lachend auf Blüthcnzweigen wiegt. Lr war von jeher ein ge-

und enthäutet er das zuckende, noch warme Thier — dann bringt er die fährlicher Bursche, besonders wenn im Lenz alles grünt und blüht, und neues

Beute zum Neste heim, wo er das Weibchen mit zärtlicher Sorgfalt füttert. Der Leben sich regt all überall. Da kommt jenes Sehnen nach süssem Nichtsthun

Falke ist der Raubritter unter den Vögeln. Allein, auch er ist räuberischen über Einen, das die Glieder löst und ein F rühhngsidyll aufkeimen lässt, wie

Ueberfällen ausgesetzt. Bald naht der Falkenier seinem Horst, um die flügge draussen in der Natur, so drinnen im Menschenherzen. Ruhig weiden die Schafe,

gewordenen Jungen einzufangen, ihre Füsse mit schlanken Lederriemen zu fesseln vom treuen Hunde bewacht, denn der Schäfer ruht im Grase und sieht in die

und ihnen die Kappe über die Augen zu ziehen, die sie hilflos und willig macht, Augen der Schäferin, in denen ein anderer, ebenso sonniger Lenz aufleuchtet.
 
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