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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Reimann, Georg: Unsere Rechtsanwälte, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0217

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i2ö

I]Jnsere Rechtsanv/älte.

Von Georg Reimann.

„Mü

Her!" wegen Mordes" steht auf dem Tcrminszettel an der Eingangsthür. Zahlreicher

„HerrBureauvor- noch als vorher hat sich das Publikum in den Saal gedrängt, und hinter den
Steher befehlen?" Schranken blickt eine vielköpfige Menge neugierig nach der Anklagebank hinüber.

„Wann, sagten Dort sitzt, halb verdeckt durch den breiten Rücken ihres Vertheidigers, ein
Sc, haben Sc den blasses, verhungertes Weib. Sie sieht unschön aus; das Gesicht trägt die Spuren
Steputat gesehen?" der erlittenen Untersuchungshaft — aber über den verhärmten Zügen liegt ein
„Vor 'ner halben nicht unsympathischer Ausdruck. Sie ist angeklagt, ihr achtjähriges Tüchterchen
Stunde, Herr Bu- vorsätzlich getödtet und an einem zweiten sechsjährigen einen Mordversuch be-
reauvorsteher." gangen zu haben. Die That soll durch ihr eigenes Geständniss und eine Anzahl

„Und im is all von Zeugen, welche die näheren Umstände erläutern können, bewiesen werden,
meist Viertel! Un Und die Verhandlung beginnt. Im Zuhörerraum ist nicht viel zu verstehen,

den wollen wir mal Die Angeklagte spricht mit leiser, oft unterdrückter Stimme; sie erzählt bruch-
e bischen am Schla- stückweise, mehr ausgefragt als berichtend. Ihre Vernehmung ist bald beendet,
fittchen nehmen! Dann hört man längere Zeit nur die eintönig fragende Stimme des Präsidenten
Wo war's denn?" und die kurzen Antworten der Zeugen: ein paar alte Frauen aus der Nach-
„In der Junker- barschaft der Angeklagten und zwei sachverständige Aerzte, darunter ein
Strasse, Herr Bure- blutjunger Mensch, der seine Beobachtungen, den ersten Fall seiner eben über-
auvorsteher." nommenen Armenpraxis, mittheilt. Der wissenschaftliche Befund des Physikus

Der Angeredete langweilt selbst die Geschworenen. Das Publikum fängt an unruhig zu werden:
erhob sich alle drei es scheint zu befürchten, dass es auch bei diesem Falle seine Rechnung nicht
Mal ein wenig von finden werde. Plötzlich entsteht eine allgemeine Bewegung. Der Staatsanwalt
seinem Sitze, wenn hat sich erhoben. Die Sache sei klar, er könne sich kurz fassen. „. . . wird,
er antwortete, und wenn die Tödtung mit Ueberlegung ausgeführt, wegen Mordes mit dem Tode

Der Sttiiitsiinwillt

jedesmal tauschten bestraft" lautet das Resultat seiner Ausführungen. Er setzt sich, und alle Augen
dann die anderen Schreiber einen verständnissinnigen Blick mit einander. Sie schweifen jetzt nach links, wo der Verthcidiger sein Plaj'doyer beginnt,
hielten es für servil, so zu antworten und sich so zu erheben: überhaupt galt Eine traurige Aufgabe für den Rechtsanwalt, Jemand zu vertheidigen, der

Miller unter ihnen für einen ausgemachten Streber; hatte er sich doch den Platz durch ein unumwundenes Geständniss sich selbst bereits das Urtheil gesprochen
gegenüber dem Bureauvorsteher ausgesucht, recht unter den Augen des Gestrengen, hat. Aber doch; es gilt die mannigfachen kleinen Züge, welche die Verhandlung
wo er jedesmal von einem Sprühregen überschüttet wurde, wenn der Alte nieste. ergeben hat, zu sammeln, die Aussagen der Angeklagten, Zeugen und Sachver-

„Miller", tönte es nach fünf Minuten wieder, „was machte er denn? Dusseltc ständigen richtig zu einander zu gruppiren — die That zu erklären, begreiflich
er man blos so Vum?" zu machen, vielleicht zu entschuldigen. Es ist ein dunkles Bild, das da entrollt wird!

„Verzeihen — Herr Bureauvorsteher — ich glaube nein — er — er hatte Die Angeklagte ist seit zehn Jahren verheirathet, ihre Ehe von Anfang an

nämlich sozusagen ein Bouquet in der Hand." unglücklich gewesen. Der Mann war Schneider und anfangs hatte er lohnenden

„Hm, hm!" machte der Bureauvorsteher geräuschvoll, indem er mit seinen Verdienst; aber dann begann er zu trinken und wollte nicht arbeiten, und wenn
eigenen und den Stuhlbeinen scharrte; das war das Zeichen, dass er bösester er Abends betrunken nach Hause kam, schlug er die Frau und die Kinder.
Laune war. Alle bückten sich tief auf ihre Abschriften; man hörte jede Feder Lange Zeit hat sie es geduldig ertragen — Jahre lang. Dann hat sie angefangen,
kratzen. sich zu widersetzen; das hat ihn erst recht wild gemacht: eines Tages — es

Nach einer Weile liess sich ein leichter Schritt vernehmen; der Verspätete sind jetzt etwa vier Monate her — ist er ohne Nachricht auf und davon gegangen
trat herein. Noch ehe er ein Wort über die Lippen bringen konnte, fiel der und hat sie ohne Pfennig zurückgelassen. Sie hat sich nach Arbeit umgesehen.
Alte über ihn her.

„Mensch, wo sind Sc gewesen? Wo treiben Se sich 'rum? Was verasen
Se fer Zeit? Wissen Se, was de Uhr is?"

„Herr Bureauvorstehcr — ich hatte — — ich musste — —

„Was hatten Se? Zahnschmerzen, nich wahr? Hi hi! Zahnschmerzen und
die mussten Se in der Junkerstrasse spazieren führen — mit'n Bouquetchen in
der Hand — was?"

„Das Bouquet, das war, — das hatte —

„Mannchen, nu machen Se man nich noch Fismantenten. Zeitig aufs Berro
kommen — i wo, is nich! aber mit's weibliche Geschlecht 'rumflaniren —
Bouquetchen bringen! Ich werd' müssen Ihnen de Copialien reduciren, wenn Se
so's Geld verquasen."

„Das Bouquet war garnicht von mir," stolperte der Gescholtene heraus.

„Nich von Ihnen? So? Also gar von 'nem Andern! Wissen Se, was so'n
Kerl is — so'n Bruder mit Bouquetchens? 'n Liederjan — 'n Äff, 'n Hanswurst —
nich 'n Dittchen würd' ich mer von so 'nem Kerl schenken lassen und —"

Die Thür wurde aufgerissen; der Rechtsanwalt fragte in's Zimmer hinein:
„Steputat, haben Sie mein Bouquet abgegeben? — Wem? Dem Fräulein selbst?
's ist gut!"

Die Thür war wieder geschlossen. Der Bureauvorsteher machte ein langes
Gesicht — die Schreiber schienen jetzt sämmtlich mit der Nase zu schreiben.

In dem grossen Sitzungssaal herrscht eine schwebende Hitze. Auf den
riesigen Fenstern brütet die Sonne; die zusammengezogenen gelben Vorhänge
vermögen das Licht nur um ein weniges zu dämpfen. An dem erhöhten Richter-
tisch zeichnen sich die Silhouetten der drei schwarzen Roben in scharfen Um-
rissen gegen den Hintergrund ab. Etwas bei Seite beugt sich der Staatsanwalt,
der das Barett nicht abgelegt hat, über seine Acten und ihm zunächst an der
Seitenwand des Saales sitzen auf zwei Bänken hintereinander die Herren Ge-
schworenen. Es wird bereits seit Morgens neun Uhr verhandelt. Die Meineids-
sache, welche die ersten drei Stunden in Anspruch nahm, hat nicht viel Inter- Der Rechtsa
cssantes gebracht. Jetzt erwartet man Ersatz von der zweiten; „contra Zielke Originalzeichnung von Ewald Thiel.
 
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