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MODERNE KUNST.
Georg Bleibtrcu.
Leo sah ihn zuerst und noch einmal wallte der ganze oft unterdrückte
Zorn und Hass der Vergangenheit heiss in ihr auf. Mit einem Sprunge
stand sie vor ihm.
„Und sie wagen es?" rief sie. „Sie, der Sie . . ."
Sie hob die geballte Hand gegen sein falsches Gesicht, das angstvoll
zurückzuckte und dann verschwand.
„Aber Lorchen! Fräulein Leonore von Rocholl!" sagte Fritz.
Leo's Hand sank plötzlich herab und während eine glühende Rothe
ihr in die Wangen stieg, klemmte sie sich schnell ein Zopfende zwischen
die Lippen. Dann kehrte sie zu Fritz zurück.
„Verzeih'!" bat sie. „Wirklich, es war das letzte Mal!"
* *
*
Eine Stunde später sassen die Rocholl's wieder in dem grossen Tanz-
saal des Rochollshofes und speisten; die Reste der verunglückten Geburts-
tagsfeier. Beim Braten und Sect brachte Winand seinen Toast aus, den
Toast auf das Hungerloos. Und diesmal unterbrach ihn Niemand.
„Aber sag' mal, Winand," fragte Fritz dann, „das Loos ist also mit
dem zweiten Hauptgewinn herausgekommen?"
Winand nickte.
„Ja, mit 150 000 Mark. Nach Abzug der üblichen Procente blieben
da circa 120 000!"
„Und nun beläuft sich das Kapital auf. . .?"
„Auf circa 260 000 ohne die Güter!"
„Donnerwetter! Colossal!" lachte Fritz. „Musst Du da gearbeitet
haben. Das bringt man ja selbst in Amerika nicht fertig: aus 30 000 Mark
in 18 Jahren zwei Rittergüter und beinahe eine Drittel Million zu machen!"
„Aus 30 000?" corrigirte Herr von Rocholl. „Aus 120000!"
„Na, ja; 120 000 brachte das Ganze Loos; das Viertelloos also . . ."
Winand schaute erstaunt auf.
„Aber ich sagte Dir doch, dass das Ganze Loos herausgekommen ist.
Das Viertellos war eine Niete!"
Einen Augenblick war Alles still. Dann brach Fritz in ein furchtbares,
unauslöschliches Gelächter und Frau Amalie in ein convulsivisches
Weinen aus.
„Aber, was ist Euch?" fragte Winand verblüfft. „Was habt Ihr denn?"
Fritz konnte vor Lachen nicht gleich sprechen.
„Nicht wahr," brachte er endlich mühsam heraus; „Du fandest damals
in meiner Brieftasche ein Ganzes und ein Viertelloos?"
Wieder nickte Herr von Rocholl.
„Gewiss! Und das Ganze Loos hat, wie gesagt, gewonnen!"
Fritz stand auf und rannte im Saal umher.
„Hörst Du's, Malchen, was er sagt?" schrie er. „Das Ganze hat ge-
wonnen, das Ganze!"
Winand wurde ein wenig ärgerlich.
„Wenn Ihr mir nur sagen wolltet . . .?"
Nun fand auch Frau Amalie ihre Stimme wieder.
„Oh, Winand," stammelte sie, „werde nur nicht böse. Denn Alles ist
nur meine Schuld, meine Schuld ganz allein . . . Denn Du warst immer
so streng und so genau . . . und damals . . . Denn ich dachte, es könnte
doch sein, dass ich ein wenig Glück hätte . . . und da gab ich Fritz heim-
lich das Geld, hinter Deinem Rücken . . . Denn er spielte ja ein Viertel-
loos in der Lotterie, auch heimlich hinter Deinem Rücken . . . und da be-
sorgte er mir das Ganze . . . und ich dachte, er hätte es mit nach Amerika
genommen . . . und nun hat es gewonnen und wir ..."
Herr von Rocholl wusste nicht, ob er weinen oder lachen sollte.
„Und wir," vollendete er starr; „wir haben nun die ganze Zeit auf
unserem eigenen Geldsack gesessen und haben geglaubt, es wäre das . . .
zum Henker ja, das Hungerloos!"
Ende.
MODERNE KUNST.
Georg Bleibtrcu.
Leo sah ihn zuerst und noch einmal wallte der ganze oft unterdrückte
Zorn und Hass der Vergangenheit heiss in ihr auf. Mit einem Sprunge
stand sie vor ihm.
„Und sie wagen es?" rief sie. „Sie, der Sie . . ."
Sie hob die geballte Hand gegen sein falsches Gesicht, das angstvoll
zurückzuckte und dann verschwand.
„Aber Lorchen! Fräulein Leonore von Rocholl!" sagte Fritz.
Leo's Hand sank plötzlich herab und während eine glühende Rothe
ihr in die Wangen stieg, klemmte sie sich schnell ein Zopfende zwischen
die Lippen. Dann kehrte sie zu Fritz zurück.
„Verzeih'!" bat sie. „Wirklich, es war das letzte Mal!"
* *
*
Eine Stunde später sassen die Rocholl's wieder in dem grossen Tanz-
saal des Rochollshofes und speisten; die Reste der verunglückten Geburts-
tagsfeier. Beim Braten und Sect brachte Winand seinen Toast aus, den
Toast auf das Hungerloos. Und diesmal unterbrach ihn Niemand.
„Aber sag' mal, Winand," fragte Fritz dann, „das Loos ist also mit
dem zweiten Hauptgewinn herausgekommen?"
Winand nickte.
„Ja, mit 150 000 Mark. Nach Abzug der üblichen Procente blieben
da circa 120 000!"
„Und nun beläuft sich das Kapital auf. . .?"
„Auf circa 260 000 ohne die Güter!"
„Donnerwetter! Colossal!" lachte Fritz. „Musst Du da gearbeitet
haben. Das bringt man ja selbst in Amerika nicht fertig: aus 30 000 Mark
in 18 Jahren zwei Rittergüter und beinahe eine Drittel Million zu machen!"
„Aus 30 000?" corrigirte Herr von Rocholl. „Aus 120000!"
„Na, ja; 120 000 brachte das Ganze Loos; das Viertelloos also . . ."
Winand schaute erstaunt auf.
„Aber ich sagte Dir doch, dass das Ganze Loos herausgekommen ist.
Das Viertellos war eine Niete!"
Einen Augenblick war Alles still. Dann brach Fritz in ein furchtbares,
unauslöschliches Gelächter und Frau Amalie in ein convulsivisches
Weinen aus.
„Aber, was ist Euch?" fragte Winand verblüfft. „Was habt Ihr denn?"
Fritz konnte vor Lachen nicht gleich sprechen.
„Nicht wahr," brachte er endlich mühsam heraus; „Du fandest damals
in meiner Brieftasche ein Ganzes und ein Viertelloos?"
Wieder nickte Herr von Rocholl.
„Gewiss! Und das Ganze Loos hat, wie gesagt, gewonnen!"
Fritz stand auf und rannte im Saal umher.
„Hörst Du's, Malchen, was er sagt?" schrie er. „Das Ganze hat ge-
wonnen, das Ganze!"
Winand wurde ein wenig ärgerlich.
„Wenn Ihr mir nur sagen wolltet . . .?"
Nun fand auch Frau Amalie ihre Stimme wieder.
„Oh, Winand," stammelte sie, „werde nur nicht böse. Denn Alles ist
nur meine Schuld, meine Schuld ganz allein . . . Denn Du warst immer
so streng und so genau . . . und damals . . . Denn ich dachte, es könnte
doch sein, dass ich ein wenig Glück hätte . . . und da gab ich Fritz heim-
lich das Geld, hinter Deinem Rücken . . . Denn er spielte ja ein Viertel-
loos in der Lotterie, auch heimlich hinter Deinem Rücken . . . und da be-
sorgte er mir das Ganze . . . und ich dachte, er hätte es mit nach Amerika
genommen . . . und nun hat es gewonnen und wir ..."
Herr von Rocholl wusste nicht, ob er weinen oder lachen sollte.
„Und wir," vollendete er starr; „wir haben nun die ganze Zeit auf
unserem eigenen Geldsack gesessen und haben geglaubt, es wäre das . . .
zum Henker ja, das Hungerloos!"
Ende.