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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0347

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Literatur

339

des Natureindrucks. Die daraus resultierende
innere Formengebundenheit des Impressionimus
bei aller äußerlichen Formlosigkeit deutet H.
nur flüchtig an: „Der Impressionismus ist nicht
formlos im Sinne des Stillosen, des Neben-
einander unpassender Eindrücke, er steht viel-
mehr jenseits von Form und Formlosigkeit, er
ist formenfrei, und aller Stil bezieht sich auf
die Eindrucksfähigkeit und Harmonie der sinn-
lichen Eindrücke." (S. 37.)
Die unmittelbare Impression als das Gesetz
künstlerischen Schaffens fordert auch den Be-
schauer zu einer einheitlichen Erfassung des
Bildganzen auf. Das Tempo künstlerischen Ge-
nießens ist infolgedessen ein anderes geworden.
Das Spazierengehen im Bild und sukzessive
Einsammeln seiner Werte, wie die alte Kunst
es bedingte, ist dem impressionistischen Kunst-
werk gegenüber unangebracht. Anderseits ist
durch die Zusammenpressung des Erlebnisses
auf den momentanen Eindruck eine Differen-
zierung der Wiedergabe notwendig geworden,
die mit den Mitteln der alten Kunst nicht mehr
erreicht werden konnte. Wie der Pleinairis-
mus sich zum Pointillismus steigerte und erst
diese letzte Verfeinerung das nervöse Reiz-
bedürfnis des modernen Auges befriedigte, das
alle Sensationen des Wahrnehmbaren auskosten
und die feinsten Lichtschwingungen miterleben
will, bildet die weitere Station des von H. sehr
anschaulich demonstrierten Prozesses. — Die-
selbe psychische Disposition, die den malerischen
Ausdrucksmitteln diese höchste Differenzierung
abrang, mußte der plastischen Stilidee natürlich
jeden Boden entziehen. Impressionismus und
Plastik sind geborene Gegensätze. Wie aber
auch hier das gigantische Äußerungsbedürfnis
des Genies alle entwicklungsgeschichtlichen
Hemmungen durchbricht und eine Synthese des
Unversöhnbaren schafft, die eben infolge dieser
Hemmungen vielleicht die stärkste innere Dy-
namik von allen Dokumenten moderner Kunst-
äußerungen enthält, darüber sagt H. mit Hin-
weis auf Rodin die feinsten und treffendsten
Worte. Nur scheint mir die Heranziehung der
Hildebrandt'schen Theorie in diesem Zusammen-
hänge nicht sehr glücklich. — Die Untersuchung
des Impressionismus in der bildenden Kunst
bildet nur einen kleinen Teil des Hamann'schen
Buches; der Inhalt der anderen Kapitel, der dem
Interessenkreis der „Monatshefte" ferner liegt,
kann nur flüchtig angedeutet werden, muß
aber um so dringender allen denen em-
pfohlen werden, die über dem Fachstudium das
interesse für die großen Zusammenhänge aller
künstlerischen Erscheinungen nicht verloren
haben. Kritiklos wird man die geschickten De-

duktionen Hamanns — denn er ist deduktiver
als er sich gebärdet — gewiß nicht hinnehmen
und oft wird man der Schärfe des Erfassens
eine Innigkeit des Erfassens beigemischtwünschen,
aber alle Einwendungen werden nicht das Er-
kenntlichkeitsgefühl zurückdrängen, das wir den
reichen Anregungen dieses beweglichen und
überlegenen Geistes schulden.
Knapp und klar ist das Kapitel über den
Impressionismus in der Musik. Der Weg von
der musikalischen Logik und „Intellektualität
der Fuge" bis zur Unmittelbarkeit der Pro-
grammusik und bis zum Wagner'schen Gesamt-
kunstwerk ist in seiner entwicklungsgeschicht-
lichen Notwendigkeit klar erfaßt. Doch darf
man auch hier wie in den meisten anderen
Kapiteln die Vorarbeit Lamprechts, die H. auch
gebührend anerkennt, nicht vergessen. „Wie
n der modernen Malerei Licht und Farbe, so
ist das letzte Ziel der impressionistischen Musik
Klang und Klangfarbe." (S. 62.) Wie dieses
Ziel unter Verzicht auf alle musikalische Logik
durch die raffinierte Ausgestaltung des unmittel-
baren Klangeffektes, wie die gewünschte sinn-
liche Sensation des Klangbildes durch die heute
so beliebten stimulierenden chromatischen Fort-
schreitungen, durch das interessante Rauhigkeits-
moment der Dissonanzen, durch nervöse Diffe-
renzierung der Instrumentation usw. gesteigert
wird, demonstriert H. in einer auch für Laien
überzeugenden Weise.
In der Literatur sind die impressionistischen
Stilphänomene naturgemäß manigfaltiger und
verwickelter. H. geht ihnen mit glücklichem
Verständnis und unter Anführung vieler Bei-
spiele nach. Wie bei den meisten Kapiteln hat
man besonders hier den Wunsch, H. hätte statt
dieser eiligen Deduktionen aus jedem Kapitel
ein ganzes Buch gestaltet. Er wäre der be-
rufene Geschichtsschreiber des Impressionismus
geworden. So ahnt man allenthalben den
schillernden Reichtum des Verfassers, kommt
aber bei dem, was er gibt, nicht über den Ein-
druck einer gewissen Magerkeit hinweg.
Am interessantesten ist vielleicht das im-
pressionistische Problem in der Philosophie
unserer Tage. Wie in unserer psychischen Dis-
position der Ankergrund fehlt für die Plastik,
die Fuge und das Drama, so fehlt er auch für
die Philosophie, der eigentlichen Wirkungsstätte
logischer Denkkraft. Der Drang nach Erfassen
einer Einheit widersteht dem impressionistischen
Geiste, der an sich unsystematisch und un-
philosophisch ist. So ist denn unsere heutige
Philosophie nur „ein resignierender Verzicht
auf Philosophie". (S. 112.) Trotzdem ist der
vorhandene Überschuß an philosophischer Kraft
 
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