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Monatshefte für Kunstwissenschaft
verdanken wir die Erhaltung chinesischer Malereien zumeist nur den Japanern, und
ihre Maler, die vom XIV. Jahrhundert an wieder nach China gingen, um dort die neue
impressionistische Landschaftskunst kennen zu lernen, brachten begreiflicherweise eben
die Werke ihrer Lehrmeister heim, konnten kein Interesse haben für eine etwa noch
bestehende Richtung, die der Kunst ihres eigenen Landes im wesentlichen entsprach.
Was wir von den früheren Erzeugnissen chinesischer Malerei kennen, steht nicht auf
gleicher Entwicklungsstufe mit der ja auch zeitlich bedeutend späteren, ausgebildeten
japanischen Tosa-Kunst, wohl aber deutet es ebenfalls auf die noch durchaus objektive
Gesinnung des Künstlers.1) Und noch in der neuen Landschaftsmalerei selbst kann der
bewußte Gegensatz, die Umkehr aus einer in der Richtung diametral entgegenstehenden,
früheren Kunstübung empfunden werden. Ist es doch ein Charakteristikum chinesischer
Landschaftsmalerei, daß vorn der Mensch steht, der in die Tiefe schaut und die neue
Blickrichtung gleichsam selbst verbildlicht. An solchem deutlichen Hinweis, der das un-
erwartete gleichsam unterstreicht, um einen handgreiflichen Hinweis zu geben, erkennt man
zuweilen einen einschneidenden Wandel in der Entwicklung der Kunst. Jetzt dürfen die
Menschen vom Rücken gesehen werden, denn der Blick in die Tiefe ist das wesentliche,
und wieder repräsentiert im Bilde selbst ein Mensch den Beschauer und den Stand-
punkt, der ihm zugedacht ist, gleichwie in der Frühzeit die Hauptperson in der Tiefe
des Bildes es wohl tat. Die neue chinesische Landschaftskunst hat rasch eine erstaun-
liche Höhe erstiegen. Ihre Gemälde sind vielleicht die reinsten und tiefsten Hymnen
an die Natur, die je von Menschen gedichtet wurden, lyrische Stimmungen, denen die
Ehrfurcht vor der Erhabenheit des unendlichen Raumes der Grundakkord ist. Die chi-
nesische Wiedergabe eines Raumeindrucks unterscheidet sich jetzt prinzipiell nicht mehr
von der uns gewohnten, sie ist die impressionistische, vom unteren Bildrand her blickt
der Beschauer nach aufwärts und in die Tiefe.
Die Japaner sind bei den Chinesen in die Schule gegangen und haben es ge-
lernt, Landschaften zu sehen wie diese, Linien- und Luftperspektive zu handhaben,
wie eine subjektive, impressionistische Kunstrichtung es verlangte.2) Eine ganze Schule
schloß sich der neuen chinesischen Kunst an. Aber schon innerhalb dieser Schule
von Landschaftsmalern selbst erhob sich eine Reaktion. War die „umgekehrte Per-
spektive" zu tief eingewurzelt im japanischen Denken, war sie die ihm gegebene
Anschauungsform, von der man nicht so schnell lassen konnte? Überall, woder national-
japanische Geist sich fremden Einflüssen entgegenstellt, scheint eine Hinneigung zur
umgekehrten Perspektive im Spiele zu sein. Die ersten national-japanischen Land-
schaftsmeister in diesem Sinne sind die drei Ami. Es gibt Landschaftsbilder dieser
Meister, auf denen die Menschen, Bäume, Häuser, die in weiter Ferne oder hoch oben
auf einem Berge, der in der Tiefe erscheint, sichtbar werden, nicht kleiner, ja größer
gegeben sind als im Vordergründe. Als eines der merkwürdigsten Beispiele sei hier eine
Landschaft des Noami") (Abb. 0 mitgeteilt. Eine Meeresbucht, und die Bäume jenseits
, Vgl. oben das über Ku k'ai-chih gesagte.
, Abb. 7 Gyokuwan (Chines. Schule. XIV. Jahrh.) Landsdiaft.
") Selected relics VII, 28.
Monatshefte für Kunstwissenschaft
verdanken wir die Erhaltung chinesischer Malereien zumeist nur den Japanern, und
ihre Maler, die vom XIV. Jahrhundert an wieder nach China gingen, um dort die neue
impressionistische Landschaftskunst kennen zu lernen, brachten begreiflicherweise eben
die Werke ihrer Lehrmeister heim, konnten kein Interesse haben für eine etwa noch
bestehende Richtung, die der Kunst ihres eigenen Landes im wesentlichen entsprach.
Was wir von den früheren Erzeugnissen chinesischer Malerei kennen, steht nicht auf
gleicher Entwicklungsstufe mit der ja auch zeitlich bedeutend späteren, ausgebildeten
japanischen Tosa-Kunst, wohl aber deutet es ebenfalls auf die noch durchaus objektive
Gesinnung des Künstlers.1) Und noch in der neuen Landschaftsmalerei selbst kann der
bewußte Gegensatz, die Umkehr aus einer in der Richtung diametral entgegenstehenden,
früheren Kunstübung empfunden werden. Ist es doch ein Charakteristikum chinesischer
Landschaftsmalerei, daß vorn der Mensch steht, der in die Tiefe schaut und die neue
Blickrichtung gleichsam selbst verbildlicht. An solchem deutlichen Hinweis, der das un-
erwartete gleichsam unterstreicht, um einen handgreiflichen Hinweis zu geben, erkennt man
zuweilen einen einschneidenden Wandel in der Entwicklung der Kunst. Jetzt dürfen die
Menschen vom Rücken gesehen werden, denn der Blick in die Tiefe ist das wesentliche,
und wieder repräsentiert im Bilde selbst ein Mensch den Beschauer und den Stand-
punkt, der ihm zugedacht ist, gleichwie in der Frühzeit die Hauptperson in der Tiefe
des Bildes es wohl tat. Die neue chinesische Landschaftskunst hat rasch eine erstaun-
liche Höhe erstiegen. Ihre Gemälde sind vielleicht die reinsten und tiefsten Hymnen
an die Natur, die je von Menschen gedichtet wurden, lyrische Stimmungen, denen die
Ehrfurcht vor der Erhabenheit des unendlichen Raumes der Grundakkord ist. Die chi-
nesische Wiedergabe eines Raumeindrucks unterscheidet sich jetzt prinzipiell nicht mehr
von der uns gewohnten, sie ist die impressionistische, vom unteren Bildrand her blickt
der Beschauer nach aufwärts und in die Tiefe.
Die Japaner sind bei den Chinesen in die Schule gegangen und haben es ge-
lernt, Landschaften zu sehen wie diese, Linien- und Luftperspektive zu handhaben,
wie eine subjektive, impressionistische Kunstrichtung es verlangte.2) Eine ganze Schule
schloß sich der neuen chinesischen Kunst an. Aber schon innerhalb dieser Schule
von Landschaftsmalern selbst erhob sich eine Reaktion. War die „umgekehrte Per-
spektive" zu tief eingewurzelt im japanischen Denken, war sie die ihm gegebene
Anschauungsform, von der man nicht so schnell lassen konnte? Überall, woder national-
japanische Geist sich fremden Einflüssen entgegenstellt, scheint eine Hinneigung zur
umgekehrten Perspektive im Spiele zu sein. Die ersten national-japanischen Land-
schaftsmeister in diesem Sinne sind die drei Ami. Es gibt Landschaftsbilder dieser
Meister, auf denen die Menschen, Bäume, Häuser, die in weiter Ferne oder hoch oben
auf einem Berge, der in der Tiefe erscheint, sichtbar werden, nicht kleiner, ja größer
gegeben sind als im Vordergründe. Als eines der merkwürdigsten Beispiele sei hier eine
Landschaft des Noami") (Abb. 0 mitgeteilt. Eine Meeresbucht, und die Bäume jenseits
, Vgl. oben das über Ku k'ai-chih gesagte.
, Abb. 7 Gyokuwan (Chines. Schule. XIV. Jahrh.) Landsdiaft.
") Selected relics VII, 28.