Rundschau
553
Die Inventaraufnahmen, die die Regierung im
vorigen Jahre unternahm, schienen besonders
bei dem niederen Klerus der erste Schritt zur
Besitzergreifung. Andrerseits bot der Erlös für
die verkauften Werke eine willkommene Ver-
Stärkung der vielfach recht unsicheren Finanz-
lage. Nachdem so die natürlichen Hüter der
Kirchenschätze selber ihres Amtes nicht mehr
wie früher walten, ist eine Periode der Unruhe
und Unsicherheit eingetreten, die allerhand
lichtscheue Elemente sich zunutze gemacht
haben. Die organisierten Kirchenplünderungen
der Räuberbande Thomas u. Cie. von Limoges
sind noch in frischer Erinnerung. Am 25. Alai
hat schon wieder in Limoges ein Einbruch in
die Kathedrale stattgefunden, bei dem Gold-
und Emailarbeiten im Wert von ein- bis zwei-
hunderttausend Franken den Dieben zum Opfer
gefallen sind. Es handelt sich hauptsächlich um
eine Anzahl kostbarer Emailplatten aus dem
XV. und XVII. Jahrhundert: fünf Platten mit
Darstellungen aus der biblischen Geschichte auf
blauem und schwarzem Grund, vier ovale Platten
mit Darstellungen der Apostel, zwei sogenannte
„Friedensküsse" aus dem XV. Jahrhundert mit
Szenen der Leidensgeschichte, vier Ciborien und
fünf Kelche, silbervergoldet, mit Edelsteinen
besetzt, und noch einige Kleinigkeiten. Von
den Tätern fehlt jede Spur. Einige Tage vor-
her wurde in die Kathedrale von Chartres ein-
gebrochen, wo die Banditen nur geringe Beute
vorfanden, doch haben sie, um in das Innere
der Kathedrale zu dringen, ein Glasfenster aus
dem XIII. Jahrhundert zertrümmert. Von den
Tätern keine Spur. Ein kleiner Einbruch in
das Museum von Troyes, bei dem ein mit
Brillanten besetztes Ordenskreuz gestohlen
wurde, ist daneben kaum erwähnenswert.
Diese eifrige Tätigkeit der „Kunstsammler"
scheint eine Antwort auf das am 11. April er-
lassene und im Journal Officiel veröffentlichte
Dekret der Regierung zu sein, das eine Reihe
Vorschriften zur Erhaltung und Sicherung der
Kunstschätze gibt, in besonderer Berücksich-
tigung des Trennungsgesetzes. Wir können
uns eine Mitteilung der Einzelheiten um so
mehr ersparen, als sie, wie man sieht, bisher
ohne große praktische Wirkung gewesen sind.
In der vorigen Korrespondenz wurde von
der erfreulichen Tätigkeit der Regierung im
Interesse der Altertümer in Avignon ge-
sprochen. Herr Nodet, dem die Überwachung
des Papstschlosses anvertraut ist, hat auf Grund
umfassender Forschungen in den Archiven der
Militärverwaltung in der zwei Meter dicken
Mauer der Kapelle Clemens VL, über der so-
genannten salle du Consistoire, Sondierungen
anstellen lassen und ein sehr reich mit treff-
lichen Skulpturen geschmücktes gotisches Por-
tal aufgedeckt, das ungefähr acht Meter breit,
zwölf Meter hoch ist und den Eingang in die
Kapelle bildete. Auch sonst sind interessante
Entdeckungen zu verzeichnen:
In der alten Römerstadt Frejus, die im
Jahre 49 v. Chr. durch Cäsar als Forum Julii
gegründet worden war, ist an einem Orte, wo
schon im Jahre 1887 wichtige Funde gemacht
worden waren, ein prächtiges gallo-römisches
Mosaik entdeckt worden. Dasselbe zeigt im
Mittelfelde zwei kämpfende Hähne. Oberhalb
dieser Gruppe befindet sich eine Palme, die ebenso
wie gewisse Teile im Gefieder des Hahnes aus
sonst sehr selten vorkommenden grünen Steinen
gebildet ist. Unterhalb der Hähne ist eine Urne
angebracht. In den vier Eckfeldern sind ein
Löwe, eine Hündin, ein Panther und ein Stier
dargestellt. Alles ist vortrefflich ausgeführt,
die dekorative Umrahmung ist aus weißen,
braunen und schwarzen Steinen zusammen-
gesetzt.
Seit einigen Jahren zieht sich die Pariser
Saison immer weiter in den Sommer hinein, so
sind denn auch die Monate Mai und Juni mit
Ausstellungen aller Art voll besetzt. Zunächst
die beiden großen Salons. Die Artistes fran^ais
haben in diesem Jahre, dem Beispiele des Salon
d'automne folgend, zwei retrospektive Ausstel-
lungen gebracht: Barrias und Cabanel. Während
dieser Salon in der Mittelmäßigkeit ertrinkt, ist
auf dem der Societe Nationale viel gutes zu
sehen, obwohl auch hier die Mittelmäßigkeit
einen arg breiten Raum einnimmt. Die Societe
Nationale ist der Ausdruck einer Kunstrich-
tung, die mit viel Geschmack und großem tech-
nischen Können, in dekorativen Kompositionen
oder in scharf beobachteten Impressionen zu
Wirkungen gelangt, die eben doch nicht die
tiefsten sind, da dieser so sichern und fertigen
Kunst diese Kraft fehlt, die sich nur im Kampf um
die höchsten Probleme zu entwickeln vermag. Auf
Einzelheiten einzugehen ist unmöglich. Es seien
nur kurz erwähnt L'hermittes Sdinitterfamilie
im Korn, Cottets deuil marin, eine von Courbet
ausgehende sonore und schlichte Komposition,
eine Serie von Wanddekorationen Maurice
Denis', die allzusehr die Motive früherer Ar-
beiten wieder aufnimmt und im Salon wenig-
stens etwas kreidig wirkt, die Porträts von
Madame Boznanska mit ihrer diskreten Melan-
cholie und Zuloagas kühne dekorative Bilder,
spanisch in Technik, Aufbau und Motiven.
Wie früher, so hat auch heuer die Societe
Nationale in dem Schlößchen Bagatelle eine Aus-
553
Die Inventaraufnahmen, die die Regierung im
vorigen Jahre unternahm, schienen besonders
bei dem niederen Klerus der erste Schritt zur
Besitzergreifung. Andrerseits bot der Erlös für
die verkauften Werke eine willkommene Ver-
Stärkung der vielfach recht unsicheren Finanz-
lage. Nachdem so die natürlichen Hüter der
Kirchenschätze selber ihres Amtes nicht mehr
wie früher walten, ist eine Periode der Unruhe
und Unsicherheit eingetreten, die allerhand
lichtscheue Elemente sich zunutze gemacht
haben. Die organisierten Kirchenplünderungen
der Räuberbande Thomas u. Cie. von Limoges
sind noch in frischer Erinnerung. Am 25. Alai
hat schon wieder in Limoges ein Einbruch in
die Kathedrale stattgefunden, bei dem Gold-
und Emailarbeiten im Wert von ein- bis zwei-
hunderttausend Franken den Dieben zum Opfer
gefallen sind. Es handelt sich hauptsächlich um
eine Anzahl kostbarer Emailplatten aus dem
XV. und XVII. Jahrhundert: fünf Platten mit
Darstellungen aus der biblischen Geschichte auf
blauem und schwarzem Grund, vier ovale Platten
mit Darstellungen der Apostel, zwei sogenannte
„Friedensküsse" aus dem XV. Jahrhundert mit
Szenen der Leidensgeschichte, vier Ciborien und
fünf Kelche, silbervergoldet, mit Edelsteinen
besetzt, und noch einige Kleinigkeiten. Von
den Tätern fehlt jede Spur. Einige Tage vor-
her wurde in die Kathedrale von Chartres ein-
gebrochen, wo die Banditen nur geringe Beute
vorfanden, doch haben sie, um in das Innere
der Kathedrale zu dringen, ein Glasfenster aus
dem XIII. Jahrhundert zertrümmert. Von den
Tätern keine Spur. Ein kleiner Einbruch in
das Museum von Troyes, bei dem ein mit
Brillanten besetztes Ordenskreuz gestohlen
wurde, ist daneben kaum erwähnenswert.
Diese eifrige Tätigkeit der „Kunstsammler"
scheint eine Antwort auf das am 11. April er-
lassene und im Journal Officiel veröffentlichte
Dekret der Regierung zu sein, das eine Reihe
Vorschriften zur Erhaltung und Sicherung der
Kunstschätze gibt, in besonderer Berücksich-
tigung des Trennungsgesetzes. Wir können
uns eine Mitteilung der Einzelheiten um so
mehr ersparen, als sie, wie man sieht, bisher
ohne große praktische Wirkung gewesen sind.
In der vorigen Korrespondenz wurde von
der erfreulichen Tätigkeit der Regierung im
Interesse der Altertümer in Avignon ge-
sprochen. Herr Nodet, dem die Überwachung
des Papstschlosses anvertraut ist, hat auf Grund
umfassender Forschungen in den Archiven der
Militärverwaltung in der zwei Meter dicken
Mauer der Kapelle Clemens VL, über der so-
genannten salle du Consistoire, Sondierungen
anstellen lassen und ein sehr reich mit treff-
lichen Skulpturen geschmücktes gotisches Por-
tal aufgedeckt, das ungefähr acht Meter breit,
zwölf Meter hoch ist und den Eingang in die
Kapelle bildete. Auch sonst sind interessante
Entdeckungen zu verzeichnen:
In der alten Römerstadt Frejus, die im
Jahre 49 v. Chr. durch Cäsar als Forum Julii
gegründet worden war, ist an einem Orte, wo
schon im Jahre 1887 wichtige Funde gemacht
worden waren, ein prächtiges gallo-römisches
Mosaik entdeckt worden. Dasselbe zeigt im
Mittelfelde zwei kämpfende Hähne. Oberhalb
dieser Gruppe befindet sich eine Palme, die ebenso
wie gewisse Teile im Gefieder des Hahnes aus
sonst sehr selten vorkommenden grünen Steinen
gebildet ist. Unterhalb der Hähne ist eine Urne
angebracht. In den vier Eckfeldern sind ein
Löwe, eine Hündin, ein Panther und ein Stier
dargestellt. Alles ist vortrefflich ausgeführt,
die dekorative Umrahmung ist aus weißen,
braunen und schwarzen Steinen zusammen-
gesetzt.
Seit einigen Jahren zieht sich die Pariser
Saison immer weiter in den Sommer hinein, so
sind denn auch die Monate Mai und Juni mit
Ausstellungen aller Art voll besetzt. Zunächst
die beiden großen Salons. Die Artistes fran^ais
haben in diesem Jahre, dem Beispiele des Salon
d'automne folgend, zwei retrospektive Ausstel-
lungen gebracht: Barrias und Cabanel. Während
dieser Salon in der Mittelmäßigkeit ertrinkt, ist
auf dem der Societe Nationale viel gutes zu
sehen, obwohl auch hier die Mittelmäßigkeit
einen arg breiten Raum einnimmt. Die Societe
Nationale ist der Ausdruck einer Kunstrich-
tung, die mit viel Geschmack und großem tech-
nischen Können, in dekorativen Kompositionen
oder in scharf beobachteten Impressionen zu
Wirkungen gelangt, die eben doch nicht die
tiefsten sind, da dieser so sichern und fertigen
Kunst diese Kraft fehlt, die sich nur im Kampf um
die höchsten Probleme zu entwickeln vermag. Auf
Einzelheiten einzugehen ist unmöglich. Es seien
nur kurz erwähnt L'hermittes Sdinitterfamilie
im Korn, Cottets deuil marin, eine von Courbet
ausgehende sonore und schlichte Komposition,
eine Serie von Wanddekorationen Maurice
Denis', die allzusehr die Motive früherer Ar-
beiten wieder aufnimmt und im Salon wenig-
stens etwas kreidig wirkt, die Porträts von
Madame Boznanska mit ihrer diskreten Melan-
cholie und Zuloagas kühne dekorative Bilder,
spanisch in Technik, Aufbau und Motiven.
Wie früher, so hat auch heuer die Societe
Nationale in dem Schlößchen Bagatelle eine Aus-