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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Frey, Dagobert: Renaissance-Einflüsse bei Giorgio da Sebenico
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0054

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naiven Identifizierung von Antike und Natur lag auch die subjektive künstlerische
Freiheit dem Vorbilde gegenüber begründet. Donatello benützte die Antike als
Modell und nicht als Typus. Beim „Modernen“ dagegen ist das Vorbild mit
allem Typischen tale quäle übernommen; kaum ein Versuch wird gemacht, aus
dem schmerzlich verzerrten, veristischen Greisenkopf einen idealen, religiös
empfundenen Christus zu gestalten. Welcher Unterschied in dieser Prätension
eines antiquarisch-literarischen Interesses, mit der das antike Vorbild unterstrichen
wird, und das sich ebenso bezeichnend in der Signatur ausspricht, mit dem sub-
jektiven Naturalismus Donatellos! Die Umgestaltung des klassischen Reliefstiles
im malerisch perspektivischen Sinne, die Durchtränkung der Darstellung mit einem
ganz anderen religiösen Sentiment lassen uns bei der Stäupung Donatellos das
antike Vorbild vollkommen vergessen.
Wir haben gesehen, daß das Kompositionsmotiv der Geißelung ohne antiken
Einfluß undenkbar wäre. Aber ebenso undenkbar ist es, daß der venezianische
Steinmetz der ersten Hälfte des Quattrocento imstande gewesen wäre, aus der
Gebundenheit seines traditionellen Formenempfindens heraus selbständig der Antike
diese kompositionellen Anregungen und Einzelbeobachtungen für seine eigene
Komposition abzugewinnen. Erst in der ikonographischen und malerischen Um-
gestaltung, in der christlich-religiösen Durchgeistigung, wie sie ihm das Relief
Donatellos bot, konnte sie zu ihm sprechen; erst so vermochte er, sie in die ex-
pressiven Linien seines gotischen Empfindens umzusetzen: die Christusgestalt biegt
sich aus wie ein gespannter Bogen, der rechte Scherge strafft sich gerade wie
die Sehne dazu, während der linke zusammengepreßt ist wie eine gespannte, auf-
schnellende Feder. Nicht das Heroische der Gestalten, nicht das Dramatische der
Komposition mit seiner klaren Rollenverteilung, sondern das Pathos der Gebärde,
die Lösung der Gliedmaßen, die Bewegtheit der sich kreuzenden und überschneiden-
den Linien reizten ihn zur Nachahmung: hier trafen sich ähnliche Temperamente.
Der Entwicklungsschritt von den Massegne zu den Buon ist ohne florentinischen
Einfluß nicht zu erklären. Jener barocken Bewegung, welche die venezianische
Gotik in ihrer letzten Blüte erfaßte, boten erst die künstlerischen Errungenschaften
von Florenz im Aufbau und in der Rhythmisierung des menschlichen Körpers, in
der freien Lösung der Glieder und der Durchbildung der Gelenke die Mittel zur
vollen Entfaltung.
* *
*

Der florentinische Einfluß bei Giorgio zeigt sich nicht nur in der Plastik. Obwohl
Folnesics scharf gegen die Behauptung eines Renaissance-Einschlages in der Archi-
tektur Giorgios polemisiert, so gibt er doch beiläufig zu, daß zumindest das untere
Geschoß der Apsiden des Domes von Sebenico ausschließlich des Gesimses sicher
nach Giorgios Plan und unter seiner Leitung ausgeführt wurde (S. 149,168 u. Abb. 39).
Nun zeigt dieses im Innern eine konsequent durchgeführte Pilasterstellung mit
korinthisierenden Kapitalen und dazwischen rundbogige kanellierte Flachnischen
mit Muscheln in der Wölbung, die in perspektivischer Zeichnung die seichte Aus-
nehmung optisch vertiefen. Das war zu einer Zeit, in der wir in Venedig höchstens
einzelne antikisierende Details unorganisch verwendet finden, etwas unerhört Neues,
und es würde genügen, Giorgio als einen Vorboten der Renaissance im veneziani-
schen Kunstgebiete zu bezeichnen. Die Trennungslinie zwischen dem Werke
Giorgios und dem seines Nachfolgers Niccolö ist aber bei Folnesics (Abb. 39) jeden-
falls zu tief gezogen. Gegen seine Behauptungen muß ich auch hier den Beweis

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