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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Habicht, Victor Curt: Die Herkunft der Kenntnisse Baltasar Neumanns auf dem Gebiet der "Civilbaukunst"
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0060

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allenfals mann zu gallerien vnd Colonaden wirdt benöthiget finden . . .“
Eine ganze Reihe von Bemerkungen läßt dann ferner gar keinen Zweifel darüber,
daß er der Ornamentik ganz unselbständig gegenüberstand. Er läßt sich von allem,
selbst von Stühlen und Betten Modelle machen und teilt ganz treuherzig mit, daß
er sich den „Perain“J) und „Marot“1 2) gekauft habe. Nirgends findet sich eine
Stelle, aus der hervorgeht, daß er ihm zusagende Ornamente, Details usw. ab-
gezeichnet habe.
Diese Tatsache, daß wir in Neumann keinesfalls einen geschickten, mit der
üppigen Ornamentik der Zeit frei schaltenden Künstler erblicken dürfen, hat auch
Hirsch3) in einwandfreier Weise festgestellt. Durch seine Untersuchung ist der
Nachweis erbracht, daß das sogenannte Skizzenbuch nicht von Neumann stammen
kann und daß wir in dem Künstler vor allem den raumschöpfenden, von der Tech-
nik ausgehenden Architekten zu erblicken haben.
In glücklichster Weise bestätigt A. Feulners4) Untersuchung dieses Forschungs-
ergebnis Hirschs. Feulner hat an den Beispielen der Kirchen von Holzkirchen
(c. 1730), Gaibach (c. 1742) und Etwashausen (c. 1745) nachgewiesen, daß wir in
den Grund- und Aufrissen Neumanns für diese Kirchengebäude durchaus kon-
struierte Risse, d. h. aus technisch-mathematischen Überlegungen entstandene zu
suchen haben.
Zieht man das Fazit dieser neueren Untersuchungen, so kommt man zu einem Er-
gebnis, das von der seitherigen Bewertung Neumanns nicht unerheblich abweicht.
Der Künstler wird uns als eine Persönlichkeit faßbar, die in ihrer Frühperiode
eigentlich nur im Festungsbauwesen heimisch gewesen ist, die den mathematisch
geschulten Techniker auch später nie verleugnet und die der Veranlagung ent-
sprechend ihr Bestes und Eigenstes nur in Raumschöpfungen gegeben hat.
An dieser Feststellung kann der Versuch Fuchs’,5) ein Mittelding zwischen dem
von Keller geschilderten und dem von Hirsch erkannten Architekten zu konstruieren,
nichts ändern. Als ebenso verfehlt muß man den Versuch ansehen, die Kunst
Neumanns aus der Petrinis, Greisings und der Dientzenhofer herzuleiten.
Durch die Forschungen Hirschs und Feulners sind wir aber in der Erkenntnis
der wahren Künsterpersönlichkeit Neumanns einen großen Schritt weiter gekommen.
Allerdings wird durch sie die Tatsache, daß der 32jährige Architekt im Jahre 1720
zu dem damals größten Bauprojekt als leitender Architekt berufen wurde, eigent-
lich noch unerklärlicher wie vorher. Es drängt sich da in natürlicher Weise die
Frage, welche Verdienste Neumanns dieses Vertrauen erklären können, und die,
woher er die Kenntnisse zur Bewältigung dieser Aufgabe hergenommen haben
könnte, mit besonderer Gewalt auf. Ich möchte hier gleich noch einmal auf den
angeblichen Einfluß der Wiener Bauten überhaupt eingehen. Wir sahen, daß die
Teilnahme an den österreichischen Feldzügen Hypothese ist. Gesichert ist der
Aufenthalt Neumanns in Wien erst 1730, also in einer Zeit, zu der die Entwürfe
für seine Jugendarbeiten längst erledigt waren. Wir müssen aber dennoch die
(1) Vgl. Berain, Diverses Inventions nouvelles, Paris o. J. u. a.
(2) Vgl. Jean Marot, Frises, Mascarons, Ornements pour Moulures u. a.
(3) Vgl. Fritz Hirsch, Das sogenannte Skizzenbuch Balthasar Neumanns. Zeitschr. f. Gesch. d. Archi-
tektur, Beiheft 8, Heidelberg 1912.
(4) Vgl. A. Feulner, Balthasar Neumanns Rotunde in Holzkirchen. Konstruierte Risse in der Barock-
architektur, Zeitschr. f. Gesch. d. Architektur, Jahrg. VI, S. 155ff. Heidelberg 1913.
(5) Vgl. Willy P. Fuchs, Die Abteikirche zu Neresheim und die Kunst Balthasar Neumanns
(Stuttgarter Dissertation), Stuttgart 1914.
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