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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Schubring, Paul: Francesco di Giorgio
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0099

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Heros links (in der Stellung von Michelangelos David) ist Theseus oder Kaineus
(vgl. Ovid. Met. 12, 2ioff; Homer, Od. 21, 295).
Eine Besonderheit Francescos ist sein Bestreben, die Ecken der Bühne mit Sitz-
figuren zu besetzen (vgl. die Fax in Venedig). Rechts und links auf unserer Vorder-
bühne kauern zwei nackte Überwundene. Aus dem Rundbau links drängen die
im ersten Überfall zurückgeschlagenen Lapithen hervor; jenseits der den Hof
durchquerenden Mauer sieht man Flüchtlinge.
Das vierte Relief stellt die Geißelung Christi dar, in der Sammlung der Universi-
tät in Perugia (Abb 8). Hier kommen dieselben Kulissenbauten an den Seiten vor,
wie bei der Halle des Peirithoos und ein mächtiges Tribunal auf hohem Podest
nimmt die Mitte ein. Wieder thront eine echt Sienesische Sitzfigur auf der hohen
Steinbank rechts. Der Leib Christi ist dem auf der Carmine-Tafel sehr verwandt.
Auffallend viele Anklänge an die Antike bieten die Vorderfiguren, namentlich der
stehende nackte Krieger mit der Lanze (Hartlaub hat an Wulffs: Alexander mit
der Lanze erinnert) und der kauernde Faustkämpfer links von ihm. Der linke
Scherge erinnert in seiner weit ausgreifenden Bewegung an die Figuren des
Peirithoosreliefs.
Wie gesagt, über die Zusammengehörigkeit dieser vier Reliefs, zu denen noch
die Medaille kommt, herrscht keine Meinungsverschiedenheit; ihr sienesischer
Charakter dürfte jetzt fest stehen und dann kommt aus all den angeführten Grün-
den eben nur Francesco di Giorgio in Betracht.
Wir können aber den Faden noch weiter spinnen. 1485 wird Francesco in
Gubbio von Signorelli besucht, der ihn dringend bittet, den Bau einer Kirche in
Cortona schleunigst zu übernehmen, da ein frisches Wunder die Leute eben jetzt
stark beschäftige und gebefreudig mache. So unterbricht Francesco seine Arbeiten
für den Herzog und auch Cozzarelli kehrt nach Siena zurück. Hier leitet der
Schüler, sicher vom Meister beraten, den Umbau der Osservanza bei Siena. Die
mächtigen 14 Tondi am Gewölbe des Hauptschiffes (leider noch immer nicht photo-
graphiert!), schreibt Venturi (1. c. VI, 750) Francesco zu. Dagegen ist, wie schon
der Quattrocentist Tizio bekundet hat, die berühmte Tongruppe der Pieta in der
dortigen Krypta Cozzarellis Werk (Abb. 10). Ich glaubte sie früher (Plastik Sienas im
Quattrocento, S. 179 ff.), Francesco zuweisen zu sollen und Hartlaub ist mir darin
gefolgt; die Sieneser Lokalforscher und auch G. de Nicola1) haben nicht genug
Spott aufbringen können, um diesen Irrtum zu brandmarken. Gemach, ihr Herren.
Der Irrtum enthält mehr Wahrheit als euer Tizio und euer Spott. Denn diese
Gruppe ruht ganz und gar auf dem Vorbild der Paxtafel aus Urbino, sie ist
eine Umformung von Francescos Bronzegedanken in Tonfiguren, selbst das leere
Kreuz findet sich hier wie dort und der zugehörige kniende Johannes (heute in
der Domopera) ist fast eine Kopie des rechts vorn sitzenden Johannes auf dem
Carmine-Relief.2) Cozzarelli hat sich später nie wieder zu der Höhe der Leiden-
schaft, der Bewegung in der Komposition, dem Pathos des Schmerzes aufge-
schwungen wie hier. Diese Pieta der Osservanza überragt auch alle Gruppen
der Pieta in Florenz aus den neunziger Jahren. Übrigens ist unsere Gruppe aus
(1) Rassagna d’arte senese VI, 6 ff.
(2) Die Magdalena aus So Spirito, die ich früher für die rechte Schlußfigur des Osservanza hielt, ist
nicht von Cozzarelli, sondern von Ambrogio della Robbia aus dem Jahre 1504, wie der Cicerone in
älterer Auflage schon angegeben hat; das Dokument ist veröffentlicht von G. de Nicola, Arte inedita
in Siena e nel suo antico Territorio S. 24 fr. Natürlich gehört dann auch der S. Girolamo in So Spirito
Ambrogio.

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