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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Schubring, Paul: Francesco di Giorgio
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0100

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dem Jahre 1485 oder ein Jahr später, also nicht unter Savonarolas Einfluss ent-
standen, aut den als Anreger Bode für die Florentiner Gruppen hingewiesen hat.
Der Sieg der Passionsstoffe über die der Jugendgeschichte Jesu setzt schon vor
Savonarola ein.1)
Noch eine andere Tongruppe der Pieta steht vielleicht mit Francesco in idealer
Verbindung, die herrliche Pieta in San Satiro in Mailand, die von mir in diesen
Blättern (Bd.V, 1912, S. 249fr.) als eine Arbeit des Agostino de’ Fonduti aus Padua zu-
erst veröffentlicht worden ist.2) Ist es nun Zufall oder Einfluss, daß diese Gruppe
gerade in dem Jahre entstanden ist, in dem Francesco in Mailand war (1490)?
Auch diese Pieta ist ein Unikum in Oberitalien und nur die viel früher (1453)
entstandene Gruppe der Pieta von Niccolo da Bari in Sa. Maria della Vita in
Bologna läßt sich neben ihr anführen. Agostinos Autorschaft steht urkundlich
fest; aber auch hier könnte an eine geistige Patenschaft Francescos gedacht
werden.
Bereits 1487 ist der Vielbegehrte wieder in Urbino; L. Venturi (Arte 1914,
S. 450 ff.) nimmt an, daß die Intarsien des Studiolo des Herzogs und die schönen
Türen mit den Kardinaltugenden von ihm und Pontelli gearbeitet worden seien.3)
Auch die zahlreichen Bailistenreliefs, die, heute im oberen Korridor des Haupt-
hofes eingemauert, ursprünglich die Fassaden des Palastes schmücken sollten oder
geschmückt haben, sind wohl damals entstanden. Sie sind von Th. Hoffmann
veröffentlicht und reproduziert worden.4)
1491 ist Francesco in Neapel5); auf der Fahrt dorthin wird er die 1489 ent-
standenen Fresken Filippinos in Sa. Maria della Minerva in Rom gesehen haben.
Der Einfluß dieses Florentiners macht sich deutlich bemerkbar in dem undatierten
Tafelbild Francescos in San Domenico in Siena, das um 1493 angesetzt werden
muß (Abb. 2). Wieder ist die Anbetung des Kindes dargestellt, aber in ganz anderer
Weise als auf der Tafel von 1475. Ein großer, halb eingestürzter Triumphbogen
(symbolisch für den Verfall des Heidentums), beherrscht die Szene; er erinnert
mit seiner breiten, feingegliederter Front an das Tribunal auf dem Bronze-
relief der Geißelung in Perugia, Zwei Bronzereliefs, mit Mucius Scaevola und
Horatius Codes schmücken die unversehrten Seitenwände; die geborstene Tonne
des mittleren Bogens sendet den Blick weit in die Ferne zu Wasser, Berg und
Felsen. Links erscheint in der Tiefe ein antiker Rundbau, ein Sechseck oder Acht-
eck mit Kuppel und Umgang — zweifellos einer der Tempel des antiken Roms
(ein Janustempel?); Francesco hat viele antike Gebäude in seinem Traktat ab-
gezeichnet und Chr. Hülsen hat, wie schon oben erwähnt wurde, auf Grund solcher
Zeichnungen den Janustempel bei S. Adriano am Forum rekonstruiert. Die sechs
Figuren des Vordergrundes (Maria und Joseph, zwei Engel und zwei Hirten) be-
weisen in ihrer stark rhythmisierten Bewegung und der zackigen Silhouette ihrer
(1) Im Museo d’arte ed industria in Rom befindet sich eine kleine Tonskizze, die als Modell für die
Tongruppe des Osservanza angesprochen wurde; G. de Nicola hat richtig erkannt, daß sie vielmehr
das Modell für die Pieta in Quercegrossa bei Siena ist (Rassegna d’arte senese VI, 59 ff.).
(2) Venturi (1. c. VI, 916) hält dies Werk für eine Arbeit Amadeos! Da war der alte Name Caradosso
doch noch besser.
(3) An der Orgelintarsia findet sich die Künstlerinschrift Zuhani Castellano.
(4) Die Bauten des Herzogs Federigo da Montefeltre, die Erstlingsbauten der Hochrenaissance. 1905.
(5) VgL C. v. Fabriczy, Repert. f. KunstXI, 202; XX, 100; A.Colombo in Napoli nobil. 1,118 undG.Bacile
ib XIV, iff. Über den Mailänder Aufenthalt Müller-Walde im Jahrb. der preuß. Kst. XVIII, 124 und
XX, 107, W. v. Seidlitz, ib. VIII, 199 und Beltrami, Arte VII, 327.

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