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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Schubring, Paul: Francesco di Giorgio
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0103

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Kat. Nr. 451 und 468). Ullmann hat Francesco noch einige Zeichnungen im Louvre
zugeschrieben (Triumphzug, Jüngling usw.).1)
In jenem Aufsatz des Burlington Magazine meint Hill, ich hätte in meiner
„Plastik Sienas“ aus Francesco einen „hero“ gemacht, das sei immer verdächtig.
Das Gegenteil ist richtig: ich hatte Francesco früher noch nicht groß genug ge-
sehen. Seine Gestalt wächst bei jeder Betrachtung. Er ist derjenige Sienese,
der über sein Handwerk sich erhebt und schöpferisch Geistgefügtes bildet,
während nicht nur Neroccio, sondern auch Matteo di Giovanni im Atelierdunst
befangen blieben. Er gleicht Alberti und fast Leonardo in der Vielseitigkeit, nicht
nur der künstlerischen Arbeit, sondern jener geistigen Regsamkeit, die ihn zu den
Alten und ihrer tiefen Lebensweisheit treibt, die ihn dazu drängt, Gesetze und
Normen niederzuschreiben in systematischer Gruppierung. Er ist ein Genosse
Brunelleschis und Raffaels in seiner Verehrung der antiken Monumente, die er ver-
ehrungsvoll abzeichnet und als köstlichsten Dekor auf den Bildern wieder anbringt.
Der Malerei seiner Heimat verhilft er zu einer tieferen Prägung und Ausformung,
wobei er selbst das Opfer blühenden Scheins nicht scheut, wenn es gilt, den Vor-
trag mit neuer Überzeugungskraft zu sättigen. Vor allem aber in den plastischen
Arbeiten zeigt er Vertiefung, Steigerung, Verinnerlichung. Im Bronzeguß steht sein
Lehrer Vecchietta vielleicht höher und dessen Ciborium hat keiner nachmachen
können. Aber auch dieser bleibt im Handwerk befangen und ist, geistig betrachtet,
nüchtern und simpel. In der Architektur schließt Francesco sich nicht an die
Sieneser Bauweise an, sondern an die Formen der Marken und Umbriens. Es war
ihm versagt, in seiner Heimat einen eigenen Bau zu errichten.
Wenn die vier obengenannten Reliefs früher Verrocchio zugeschrieben wurden,
so spricht sich darin ganz richtig die enge Verbindung aus, in der beide Künstler
sachlich zusammen stehen. Von einer persönlichen Berührung erfahren wir nichts;
es wäre immerhin denkbar, daß Francesco um 1470, ebenso wie z. B. 1472 Peru-
gino, in Verrocchios Atelier gewesen ist. Auf eine Bekanntschaft mit dem Kunst-
kreise Ghirlandaios wies das Londoner Relief des Deidameia.
Ein melancholisches Anzeichen für Francescos Größe ist endlich die Tatsache,
daß Sienas Kunst nach seinem Tode die Höhe nicht halten kann. Cozzarelli hat
außer der Tongruppe der Pieta in der Osservanza nichts Bedeutendes mehr ge-
schaffen, Matteo di Giovanni ist schon 1495 gestorben und Marina ist ein wesent-
lich dekorativer Künstler. Nur in der Intarsia und im Möbel bleibt Siena auch im
16. Jahrhundert auf einer erfreulichen Höhe. Sodoma ist Oberitaliener und als er
1501 nach Siena übersiedelt, ist seine Kunst durch Leonardo (1498—1500) längst
geprägt und in eine außersienesische Richtung gedrängt worden. Peruzzi wiederum
bringt die römische Schule Raffaels in seinem Sibyllenbild in der Fontegiusta (1528)
nach Siena.
(1) Jahrb. d. preuß. Kss. XV, 246 und XVII, 141.


 
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