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Oberrheinische Kunst — 4.1929/​1930

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Fritz, Herbert: Die Grundrisse des Freiburger Münsterturmes
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https://doi.org/10.11588/diglit.53861#0024

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Herbert Fritz

der ganzen Planung entsprochen hätte, und wie es konstruktiv zulässig gewesen wäre. Das Fehlen der
zwischen den Strebepfeilern einspringenden Mauerecken bei P und Q war, wie gesagt, ohne Belang, was die
in die linke Hälfte der Abb. 4 vorgenommene Einzeichnung des Regelachtecks dartut.
Am äußeren Turmbild bricht in dieser Höhe des Baues das unten angeschlagene Strebesystem fast
ohne jede Vermittlung schroff ab. Seine Stelle nimmt ein völlig anderes ein, bei dem sich dreiseitige
Strebepfeiler diagonal in die Grundrißfigur stellen und bis in die äußersten Ecken dieser Figur hineinreichen.
Infolge dieses Wechsels im konstruktiven Turmaufbau, der bedingt war durch eine im Grundplan nicht vor-
gesehene, neue formale Gestaltung der Achtecklösung, erhalten die Quadratecken bei N, O, P und Q
plötzlich eine wichtige Bedeutung, die ihnen vorher nicht zukam. Auf der Ostseite fehlten aber diese Ecken
und waren nicht mehr zu ersetzen. Der entwerfende Meister mußte darum, gezwungen durch den Wechsel
im Strebesystem, wohl oder übel auf das Beibehalten der quadratischen Turmform verzichten und sich mit
einem allein noch möglichen rechteckigen Grundriß für die oberen Turmpartien behelfen. Dabei hat er
dann das größtmögliche Rechteck N O P Q ausgewählt, das um das Maß der einspringenden Ecken — rund
80 cm — gegen das Quadrat verkürzt war und dem achteckigen Aufbau und Helm die Verkürzung der
Seiten Nord und Süd brachte. Ein Vergleich der beiden Aufbausysteme des Achtecks — sie sind in Abb. 4
eingetragen, und zwar links der erste Plan, rechts die zweite Ausführung — mit ihren Beziehungen zum
Unterbau läßt sich in der zeichnerischen Darstellung übersichtlich verfolgen. Dem Meister kam dabei zu
statten, daß der tiefe Michaelbogen ein Hereinrücken der Turmostwand bis zur erforderlichen Mauerstärke
überhaupt zuließ, sonst hätte sich der neue Achteckplan auf dem vorhandenen Unterbau niemals ver-
wirklichen lassen.
Auf Grund der äußeren Erscheinung des Turmes hat man bisher allgemein den Beginn der
neuen Achtecklösung in der Mitte des Uhrgeschosses angenommen. Diese übliche Auffassung ist jedoch
zu korrigieren; der zweite Bauabschnitt setzt weiter unten ein. Gewiß ordnet sich die formale Ausbildung der
unteren Hälfte des Uhrgeschosses noch ganz dem ersten Bauvorhaben ein; wir haben aber zu bedenken, daß
das konstruktive System des Unterbaues einen Abschluß verlangte, der vor allem auch einen einigermaßen
harmonischen Übergang zu den oberen Turmpartien zuließ, bevor das neue konstruktive System zur vollen
Entfaltung kommen konnte. Zur Lösung dieser doppelt schwierigen Aufgabe, die mit Recht als Meisterwerk
für alle Zeiten gelten wird, bedurfte es der Höhenentwicklung wenigstens eines ganzen Geschosses. Dies
bestätigt die Behandlung aller Einzelheiten in diesem Geschoß, z. B. das ungewohnt schroffe Heranführen der
noch weit ausladenden Strebepfeiler an die Turmwand, das nur notdürftig durch die Figurenbaldachine am
Kopfe dieser Pfeiler verdeckt ist, oder die im Gegensatz zu unten zeitlich jüngere Gesamthaltung und ent-
wickeltere Dekorationsweise dieser Baldachine.
Andere rein technische Gebiete berührende Beobachtungen geben unserer Auffassung die wünschens-
werte Gewißheit. Die Ausbildung der Turmostwand im Dachraum des Mittelschiffes zeigt über dem Bogen g
rohes Bruchsteinmauerwerk, das bis etwa 2 m unter den Beginn des Uhrgeschosses reicht, und erst über einem
mit kleinen flachen Steinstücken zur Horizontalen abgeglichenen Lager die sonst übliche Quaderverblen-
dung (Abb. 5). Offenbar haben wir dies Meisterwerk als Füllmauer anzusprechen, vor welche später eine
Quaderverblendung gesetzt werden sollte. Letztere konnte auf dem Bogen g ein Auflager finden und hätte
dann dem Turm auch in den Mauerwänden die quadratische Form verliehen, die er in der Strebepfeiler-
anlage an dieser Stelle noch besitzt. In der zweiten Bauperiode unterblieb aber die nun überflüssige Ver-

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