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Oberrheinische Kunst — 4.1929/​1930

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Feurstein, Heinrich: [Rezension zu: Karl Künstle, Ikonographie der christlichen Kunst, I. Band: Prinzipienlehre, Hilfsmotive, Offenbarungstatsachen]
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https://doi.org/10.11588/diglit.53861#0217

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Karl Künstle: IKONOGRAPHIE DER CHRISTLICHEN
KUNST. — I. Band: Prinzipienlehre, Hilfsmotive,
Offenbarungstatsachen. Freiburg i. Br., Herder, 1928.
Der 2. Band dieses Monumentalwerkes des Freiburger
Gelehrten, Die Ikonographie der Heiligen, ist bekanntlich
schon 1927 erschienen. Man kann sich schwer eine Vor-
stellung machen von dem weitversprengten Bildmaterial und
dem ungeheuren Schrifttum, das hier naturgemäß verarbeitet
werden mußte. Die jahrzehntelange Befassung des Autors mit
ikonographischen Fragen kommt in diesem ersten Bande in
hervorragender Weise zum Ausdruck. Er behandelt die ikono-
graphische Prinzipienlehre, also die Symbolik der christlichen
Kunst, und die Quellen der christlichen Kunstvorstellungen.
Sodann die didaktischen Hilfsmotive (Tiersymbolik, Tugen-
den und Laster, die 7 freien Künste, Mythologisches, Toten-
tänze) und die Darstellung der großen Offenbarungstatsachen
des Alten und Neuen Testamentes.
Innerhalb dieses großen Rahmens sind Sondergebiete,
auf denen der Verfasser seit Jahren als geschätzter Kenner
zu Hause ist, wie die Ikonographie der Reichenauer Maler-
schule, die Gerichtsdarstellungen, das Motiv der Maiestas
Domini, die Kreuzesbilder und die marianische Ikonographie
mit besonderer Liebe und überzeugender Schärfe abgewandelt.
Der Verfasser setzt sich in der ihm eigenen temperament-
vollen Art dauernd mit abweichenden Auffassungen aus-
einander und gewinnt so i m dialektischen Verfahren eine
äußerst klare, oft zugespitzte Form seiner Leitsätze.
Im Einzelnen: Für die Katakombenkunst wird der Ein-
fluß der Arkandisziplin u. E. zu ausschließlich, für das frühe
Mittelalter die einseitige Orienthypothese Strzygowskis und
die Folgerungen von E. Male mit Recht scharf zurück-
gewiesen. Nach den überzeugenden Darlegungen Künstles
wachsen alle symbolischen und typologischen Bilderkreise
des hohen Mittelalters aus der altchristlichen concordia novi
et veteris testamenti heraus. Aus dieser monumentalen En-
zyklopädie der Offenbarung Gottes erklärt sich auch das
gesamte Beiwerk (Tierkreis, Monatsarbeiten, die 7 freien
Künste u. ä.), nämlich als ergänzende Summe des gesamten
weltlichen Wissens der Zeit.
Die Idee der Biblia pauperum wird unzweifelhaft richtig
in ihrer letzten Wurzel auf die Urheimat der Typologie,
die Frühscholastik des nördlichen Frankreich zurückgeführt.
Aus der neuesten Publikation des Handschriftenbestandes
durch den Schweden Henrik Cornell, der hier Schreiber ab-
gelöst hat, ergibt sich jedoch eine so eindeutige örtliche Lage
der ersten Handschriften, daß Tegernsee (daneben St. Peter
in Salzburg und St. Emmeram in Regensburg) als Urheimat

der bebilderten Biblia pauperum auf deutschem Boden be-
trachtet werden muß. Das verwandte vierteilige Speculum
humanae salvationis (3 Vorbilder und die Erfüllung) ist als
Weiterbildung in den Kreisen der Dominikaner entstanden
(vermutlicher Verfasser Ludolf von Sachsen, erst Domini-
kaner, dann Kartäuser) und folgt, wie wir anderwärts fest-
stellen konnten, der großen Rheinlinie, begreiflicherweise vor
allem gepflegt in den Dominikaner- und Kartäuserklöstern,
während die Biblia pauperum lange genug auf benedik-
tinische Einflußbezirke beschränkt bleibt.
Die barocke Symbolik bietet gewiß viel Abgeschmacktes,
ist aber bei dem häufigen Vorkommen großer Zyklen, na-
mentlich in süddeutschen Klosterkirchen so wichtig, daß ein
ausführlicheres Eingehen erwünscht gewesen wäre. Ein viel
gebrauchtes Handbuch aus der Zeit selbst war übrigens auch
der Mundus symbolicus von Picinelli, und man müßte, nach-
dem seit den lichtgebenden Arbeiten von Giehlow, Panofsky-
Saxl und Hartlaub die humanistische Symbolik ziemlich
klar zu Tage liegt, den Zusammenhang mit diesen, meist
aus der Antike geschöpften, aber doch stark eigenständigen
Vorstellungen näherhin untersuchen.
Künstle sieht vollkommen richtig, wenn er in einem
eigenen Kapitel über die Quellen der christlichen Kunstvor-
stellungen die Ansichten von E. Male und Paul Weber, die
die christliche Kunst vom theologischen Schrifttum der Zeit
und dem geistlichen Schauspiel befruchtet sehen, zurückweist
und die Abhängigkeit des künstlerischen Bildgedankens von
der Praxis des religiösen Lebens, also vor allem von der Li-
turgie, scharf herausarbeitet. Auch mehrfach behauptete my-
thologische Verknüpfungen, die viel Unheil angerichtet haben,
werden mit Recht abgewiesen.
Die Herkunft der Ars moriendi, textlich aus dem Gerson-
kreis, bildlich vom Meister E. S., ist wohl das einzig mög-
liche Ergebnis einer Vergleichung der ältesten Quellen. Und
wenn der Verfasser die Totentanzdarstellungen auf die Le-
gende der drei Lebenden und drei Toten zurückführt und
das Tanzmotiv auf eine verbreitete gemein-indogermanische
Vorstellung, so wird dem gewiegten Forscher, der sich hier
auf ureigenstem Gebiet bewegt, niemand ernstlich mehr
widersprechen.
Der Bildgedanke des Gnadenstuhls, der in Deutschland
häufig, zumal im Kreise der Nürnberger Schule, gepflegt
wurde, scheint auch mit dem Hinweis auf das Glasgemälde
von St. Denis, Gottvater im Wagen Aminadabs, das Kreuz
Christi vor sich haltend, nicht völlig geklärt. Wir denken an
eine Beeinflussung durch die alte Gebetsformel: „Stelle dein
Leiden, Kreuz und Tod zwischen dein Gericht und meine

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