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Oberrheinische Kunst — 4.1929/​1930

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Mahn, Hannshubert: Ein "Heilig Grab" von 1300
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https://doi.org/10.11588/diglit.53861#0142

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HannshubertMahn

Ein „Heilig Grab“ vor 1300
Von Hannshubert Mahn
Die in Taf. 66 vorgestellten Bildwerke finden sich in einer nur sie umschließenden Kapelle auf dem
wunderschön über dem Rhein gelegenen Kirchhof von St. Johann zu E m s in Graubünden1. Dort hält man
die Stücke für belanglos, nebenbei — falsch historisierend, jedoch richtig charakterisierend — für „barock".
M. E. lohnen die — im besten Sinn — bäuerlichen Arbeiten durchaus eine Betrachtung, die freilich mehr mit
historischer denn ästhetischer Wertung rechnet.
Die offenbar zusammengehörigen vollrund gearbeiteten Figuren sind aus einem mir unbekannten ziem-
lich hellen und sehr schweren Holz geschnitzt. Der zwischen den beiden Frauen auf einer niedrigen Bahre
mit dem Kopf nach rechts liegende Heiland ist — gemäß mittelalterlicher Bedeutungsabstufung — erheblich
größer noch (rund 1,7 5 m) als jene (rund 1,35 m) gebildet. Einige Zehen Christi sind abgebrochen. Der
linke Daumen der linken Gestalt ist irgendwann ergänzt, der linke Arm der rechten wiederangeleimt. Die
vergröbernde Überschmierung dürfte im 18. Jahrhundert verübt worden sein (Gewand links: oliv, rechts: lila).
Ob Ort und Art der heutigen Aufstellung auch die ursprünglichen, bleibt fraglich2 3. Der älteste Teil der Kirche,
ihr Turm, reicht ins 13. Jahrhundert zurück.
Ikonographisch handelt es sich um ein „Heilig Grab m i t Leichnam", um eine seltsame Fassung dieser
bekannten Zusammen-Schau von „Beweinung (Karfreitagabend)" und „Besuch des [leeren] Grabes (Oster-
morgen)". Abendländische Mystik des späteren 13. Jahrhunderts ver-dichtete — mit zuerst in Frauenklöstern
gerade des Oberrheingebiets — öfter Szenen der Evangelien — besonders aus der Passion — zu intimen
Visionen, verselbständigte und vereinheitlichte — aus Kathedral-Fassaden für Kapellen-Räume — einer
mitfühlen wollenden Andacht „Bilder", zunächst meist „lapidar"-skulpierend8. Als das älteste annähernd
vollständig erhaltene Beispiel unseres besonderen Falles gilt das zugleich bekannteste: Die reiche und schöne
Gruppe im Münster zu Freiburg (um 1340).4 und Exkurs,
Bei äußerlichstem Vergleich fällt an Ems auf, daß nicht nur Wächter und Engel „fehlen", das Grab
durch die Bahre bloß „angedeutet" ist, sondern auch die dritte der Marien „weggelassen" wurde. Zur Be-
schränkung auf zwei Frauen5 wird — außer Matth. 27, 61 (Karfreitagabend) — Matth. 28, 1, möglicher-
weise noch Matth. 28, 9, geführt haben, sämtlich Quellen für Kunst „aus" Byzanz6. Das nordwestliche
1 A. Gaudy, Die kirchlichen Baudenkmäler der Schweiz. Graubünden. (1922), S. 38 mit Grundriß und Abb. 127—129.
2 Vgl. immerhin G. Dalman, Das Grab Christi in Deutschland (1922), S. 15 f. (Beziehung zu Friedhof, Beinhaus usw.)
3 W. Pinder in seiner Arbeit über Deutsche Skulptur für das Handbuch der Kunstwissenschaft (1924), S. 92 ff. („Das
Andachtsbild", darin „Hl. Grab" S. 101 ff.) — E. Panofsky, „Imago pietatis" in Festschrift für M. J. Friedländer (1928),
S. 251 ff. (wegen S. 264 ff., wo dem „Andachtsbild" das „Historienbild" und das „Repräsentationsbild" gegenüber-
gestellt werden). Als sehr frühes, seltsames und bedeutendes Beispiel gehört in die Gesichichte des „Hl. Grabes" auch eines
der rätselvollen Reliefs in Santo Domingo de Silos (G. Weise, Spanische Plastik, II [1927], S. 9 ff. mit Taf. 5; eine freie
Wiederholung ibid. S. 22 ff. mit Taf. 13).
4 O. Schmitt, „Das Heilig Grab im Freiburger Münster", in Freiburger Münsterblätter XV (1919), S. 1 ff. Dieser Auf-
satz ist auch für die im Exkurs aufgeführten Denkmäler beizuziehen. — O. Schmitt, Gotische Skulpturen des Freiburger Münsters
(1926), S. 55 ff. und XIX f. mit Taf. 209—226. -— H. Beenken, Bildhauer des 14. Jahrhunderts am Rhein und in Schwaben
(1927), S. 172 ff. und 275 ff. — R. Hamann und K. Wilhelm-Kästner, Die Elisabethkirche zu Marburg, II (1929), S. 278 ff.
(S. 282: „vielleicht schon bald nach 1300"). H. Jantzen, Das Münster zu Freiburg (1929; Deutsche Bauten, Bd. 15), S. 36 f.
(„um 1330").
5 S. a. eine Baseler Miniatur aus 1343, abgezeichnet (S. HO) bei E. A. Stückelberg, „Die Verehrung des hl. Grabes"
in Schweizer Archiv für Volkskunde, I (1897), S. 104 ff. mit Ergänzung durch Businger, S. 242 ff.

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