Oskar K a r p a
deutschen gotischen Plastik ist. Die großen Skulpturenzyklen des späteren 13. und der ersten Hälfte des
14. Jahrhunderts gehen fast ausnahmslos direkt oder indirekt auf Straßburg zurück."
Schmitt beschränkt sich bei seinen Untersuchungen auf das deutsche Gebiet südlich der Mainlinie,
und nur andeutungsweise erwähnt er Mainz, Eberbach und Oberwesel1 aus dem mittelrheinischen Gebiet.
Erst neuerdings hat Beenken die Frage nach dem Einfluß des Oberrheins auf das Gebiet nördlich
der Mainlinie genauer untersucht2, und engere Beziehungen vor allem Marburgs (Hochaltar) und Kölns
(Domchorfiguren) zum Oberrhein (Freiburg) dargelegt. Beenken konnte in dieser Arbeit zurückgreifen auf
Feststellungen, die schon Jantzen3 über die Verwandtschaft der Marburger Portalmadonna mit der des Frei-
burger Westportals gemacht hatte und auf Hinweise vor allem Otto Schmitts4, der in einem kühnen, aber
gelungenen Erkenntnissprung auf Vergleichsmöglichkeiten zwischen der Freiburger Madonna am inneren
Westportal und dem Johannes im Kölner Domchor hinwies5. Beenkens Verdienst ist es, diese vereinzelten
Feststellungen zusammengetragen und durch Aufdeckung neuer Fäden das Problem vertieft zu haben. Aber
auch Beenkens Ergebnisse bleiben auf Einzelfälle beschränkt und lassen keine größeren Aufschlüsse zu. Die
Plastik des Marburger Hochaltares ist sowohl ihrem Werte und Umfange, als auch ihrem Einflüsse nach zu
wenig bedeutungsvoll, um als entscheidender Faktor für die Entwicklung der Plastik im mittel- oder
niederrheinischen Gebiet in Rechnung gezogen werden zu können, und für die Kölner Domchorapostel, die
„das künstlerisch Bedeutendste sind, was der naturfremde Manierismus der Epoche hervorgebracht hat6", und
die, entsprechend ihrer Bedeutung für das niederrheinische Gebiet, die Frage nach ihrer künstlerischen Her-
kunft so wichtig erscheinen lassen, genügen die Einzelfeststellungen Beenkens nicht, um aus ihnen sichere
Schlüsse zu ziehen.
Die Beenkenschen Ergebnisse können dann Wert erlangen — und darum sind sie als Vorarbeiten
von großer Bedeutung —, wenn es gelingt, auch für andere wichtige und zahlreiche Skulpturen dieser Zeit
Einflüsse aus oberrheinischem Kunstgebiete zu konstatieren.
Das Problem, um das es hier geht, ist folgendes: Während man glaubt, für viele plastische Bildwerke
des Niederrheins aus der letzten Hälfte des 13. und der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts unzweifelhaft
französische Einflüsse feststellen, ja sogar beweisen zu können, konnten gerade die umfangreichsten und zum
Teil künstlerisch bedeutungsvollsten Skulpturen in bezug auf ihre Herkunft nicht gedeutet werden. Es
handelt sich vor allem um die Apostelzyklen in Köln und in Xanten. Die Hinweise auf Frankreich für
die Kölner Apostel mußten aus Mangel an Vergleichsstücken allgemeiner Natur bleiben, und für die
Xantener Apostel ist nicht einmal eine Hypothese gewagt worden. Nur Lüthgen7 verweist auf den deutschen
Charakter ihrer Kunst, wenn er auch ihr letztes Vorbild in Frankreich sieht.
Bei allen bisherigen Untersuchungen über den oberrheinischen Einfluß am Niederrhein sind die
Xantener Chorapostel außer acht gelassen worden, und doch bieten sie vielleicht, wie sich zeigen wird, den
Schlüssel für die Lösung des Problems.
1 Ebendort S. 142.
2 Hermann Beenken, Bildhauer des 14. Jahrhunderts am Rhein und in Schwaben. Leipzig 1927.
3 Hermann Beenken, a. a. O. S. 268.
4 Otto Schmitt, Gotische Skulpturen des Freiburger Münsters. Frankfurt a. M. 1927, S. 52 ff.
5 Dehio im Handbuch wies schon vorher, ohne Einzelnes zu nennen, auf Freiburg.
6 Dehio, Handbuch 5. Bd., S. 254.
7 Eugen Lüthgen, Die niederrheinische Plastik von der Gotik bis zur Renaissance, Straßburg 1917, S. 128.
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deutschen gotischen Plastik ist. Die großen Skulpturenzyklen des späteren 13. und der ersten Hälfte des
14. Jahrhunderts gehen fast ausnahmslos direkt oder indirekt auf Straßburg zurück."
Schmitt beschränkt sich bei seinen Untersuchungen auf das deutsche Gebiet südlich der Mainlinie,
und nur andeutungsweise erwähnt er Mainz, Eberbach und Oberwesel1 aus dem mittelrheinischen Gebiet.
Erst neuerdings hat Beenken die Frage nach dem Einfluß des Oberrheins auf das Gebiet nördlich
der Mainlinie genauer untersucht2, und engere Beziehungen vor allem Marburgs (Hochaltar) und Kölns
(Domchorfiguren) zum Oberrhein (Freiburg) dargelegt. Beenken konnte in dieser Arbeit zurückgreifen auf
Feststellungen, die schon Jantzen3 über die Verwandtschaft der Marburger Portalmadonna mit der des Frei-
burger Westportals gemacht hatte und auf Hinweise vor allem Otto Schmitts4, der in einem kühnen, aber
gelungenen Erkenntnissprung auf Vergleichsmöglichkeiten zwischen der Freiburger Madonna am inneren
Westportal und dem Johannes im Kölner Domchor hinwies5. Beenkens Verdienst ist es, diese vereinzelten
Feststellungen zusammengetragen und durch Aufdeckung neuer Fäden das Problem vertieft zu haben. Aber
auch Beenkens Ergebnisse bleiben auf Einzelfälle beschränkt und lassen keine größeren Aufschlüsse zu. Die
Plastik des Marburger Hochaltares ist sowohl ihrem Werte und Umfange, als auch ihrem Einflüsse nach zu
wenig bedeutungsvoll, um als entscheidender Faktor für die Entwicklung der Plastik im mittel- oder
niederrheinischen Gebiet in Rechnung gezogen werden zu können, und für die Kölner Domchorapostel, die
„das künstlerisch Bedeutendste sind, was der naturfremde Manierismus der Epoche hervorgebracht hat6", und
die, entsprechend ihrer Bedeutung für das niederrheinische Gebiet, die Frage nach ihrer künstlerischen Her-
kunft so wichtig erscheinen lassen, genügen die Einzelfeststellungen Beenkens nicht, um aus ihnen sichere
Schlüsse zu ziehen.
Die Beenkenschen Ergebnisse können dann Wert erlangen — und darum sind sie als Vorarbeiten
von großer Bedeutung —, wenn es gelingt, auch für andere wichtige und zahlreiche Skulpturen dieser Zeit
Einflüsse aus oberrheinischem Kunstgebiete zu konstatieren.
Das Problem, um das es hier geht, ist folgendes: Während man glaubt, für viele plastische Bildwerke
des Niederrheins aus der letzten Hälfte des 13. und der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts unzweifelhaft
französische Einflüsse feststellen, ja sogar beweisen zu können, konnten gerade die umfangreichsten und zum
Teil künstlerisch bedeutungsvollsten Skulpturen in bezug auf ihre Herkunft nicht gedeutet werden. Es
handelt sich vor allem um die Apostelzyklen in Köln und in Xanten. Die Hinweise auf Frankreich für
die Kölner Apostel mußten aus Mangel an Vergleichsstücken allgemeiner Natur bleiben, und für die
Xantener Apostel ist nicht einmal eine Hypothese gewagt worden. Nur Lüthgen7 verweist auf den deutschen
Charakter ihrer Kunst, wenn er auch ihr letztes Vorbild in Frankreich sieht.
Bei allen bisherigen Untersuchungen über den oberrheinischen Einfluß am Niederrhein sind die
Xantener Chorapostel außer acht gelassen worden, und doch bieten sie vielleicht, wie sich zeigen wird, den
Schlüssel für die Lösung des Problems.
1 Ebendort S. 142.
2 Hermann Beenken, Bildhauer des 14. Jahrhunderts am Rhein und in Schwaben. Leipzig 1927.
3 Hermann Beenken, a. a. O. S. 268.
4 Otto Schmitt, Gotische Skulpturen des Freiburger Münsters. Frankfurt a. M. 1927, S. 52 ff.
5 Dehio im Handbuch wies schon vorher, ohne Einzelnes zu nennen, auf Freiburg.
6 Dehio, Handbuch 5. Bd., S. 254.
7 Eugen Lüthgen, Die niederrheinische Plastik von der Gotik bis zur Renaissance, Straßburg 1917, S. 128.
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