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Oberrheinische Kunst — 4.1929/​1930

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Panofsky, Erwin: Zur künstlerischen Abkunft des Straßburger "Ecclesiameisters"
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https://doi.org/10.11588/diglit.53861#0140

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Erwin Panofsky

Heilands entgegennehmen oder verzehren läßt14. Dabei kommt es schon früh zu einer Absonderung des Judas
von den übrigen Aposteln, indem er entweder aufsteht, um an der Vorderseite des Tisches dem Heiland ent-
gegenzueilen15 16, oder auf einem abgesonderten Sessel die fürchterliche Speise hinuntrschlingt18, oder sogar
vor Christus niederkniet, um sie nach Kommunionsritus mit dem Mund in Empfang zu nehmen (so schon im
Evangeliar des Hl. Bernward von Hildesheim). Der Meister des Psautier de la Reine Ingeburge nun will alle
diese Motive zusammenfassen : er läßt den Verräter mit der Hand in die Schüssel tauchen, indes er
zugleich die vom Heiland empfangene Hostie (!) zum Munde führt17, und rückt ihn überdies so nahe an
Christus heran, daß fast das Schema jener „Kommuniongruppen" gewahrt wird; allein nun soll der Gegen-
satz zu der wahrhaftigen Kommunion, die Christus gerade hier an Petrus und den guten Jüngern vollzieht,
nur um so drastischer zum Ausdruck kommen, nun soll die ganze Einsamkeit und Niedrigkeit des Verräters
nur um so intensiver veranschaulicht werden; darum darf Judas weder knien noch sitzen (bei der Vermeidung
des Sitzmotivs mag auch die Scheu vor einer Überschneidung des nicht mehr halbkreisförmig aufgebogenen
Tischrandes mitgesprochen haben), und so greift denn der Meister in den gewaltigen Typenvorrat von
Kauerfiguren, wie sie ihm aus den byzantinischen und byzantinisierenden Gethsemanebildern
geläufig waren und wie er sie in seiner eigenen Darstellung der Ölbergszene versammelt hatte (vgl. Taf. 63, Abb. 3
Mitte oben und Taf. 63, Abb. 2 Mitte unten, besonders beachtlich der untergeschlagene, hier jedoch seine nackte
Sohle zeigende Fuß18), — nur daß er die zum Kubus zusammengeduckte und teilweise verkürzte Gestalt in
14 Vgl. E. Dobbert, Repert. XV, 1895, S. 357 ff. Wie alle wesentlichen Züge der abendländischen Abendmahls-
ikonographie, vor allem auch die Isolation des Judas, sich gerade im ferneren Orient vorbereiten, zeigt mit gewohnter
Meisterschaft G. Millet, Recherches sur l’Iconographie de l’Evangile (Bibi, des Ecoles fran^aises d’Athenes et de Rome, 109),
1916, S. 286 ff.
15 Frühe Beispiele bei Millet, S. 292. Wie sich dies Laufmotiv (durch dessen Aufnahme sich beispielsweise das
Tympanon von Charlieu zu der proven<;alisch-oberitalienischen Fassung des Abendmahlsthemas in Gegensatz stellt, und das
sogar in eine im übrigen so „byzantinische" Darstellung wie die von Monreale eingedrungen ist, vgl. Taf. 63, Abb. 1) zu einem
förmlichen Fliegen übersteigern kann, zeigt die erst von hier aus verständliche Miniatur des Bruchsaler Psalters, über die
Homburgers Ausführungen zu vergleichen sind (Oberrheinische Kunst I, 1925, S. 9, Abb. 8). Wie stark das Abendland von
der Tendenz zur Absonderung des Judas beherrscht wird, erhellt aus der Darstellung im Perikopenbuch Heinrichs II, die
gleichsam die Umkehrung des Falles Monreale bedeutet: trotz Beibehaltung des byzantinischen Eintauchmotivs wird Judas
auf einem vor dem Tische aufgestellten Faltstuhl isoliert.
16 Millet, Abb. 276.
17 In noch viel kühnerer Weise hat ja auch der Naumburger Me i s t e r die Motive des Eintauchens und Bissen-
Reichens zu verbinden gewußt.
18 Ist es ein Zufall, wenn gerade in Straßburg, im Tympanon des mittleren Westportals, später noch einmal das
Motiv des am Boden kauernden Judas begegnet? Sehr aufschlußreich ist ein Vergleich der Jüngergruppe im Gethsemanebild
des „Psautier de la Reine Ingeburge" mit der entsprechenden Darstellung im „H ortus Deliciarum" und mit der
beiden Kompositionen letztlich zugrundeliegenden byzantinischen Vorlage, von der weniger das von Goldschmidt
herangezogene Mosaik in San Marco (Vorträge der Bibi. Warburg, 1923/24, S. 224, Abb. 17/18), als das in Monreale einen
Begriff zu geben vermag (unsere Taf. 65, Abb. 1 u.2). Man sieht, daß der Miniator des „Hortus" fast alle Einzelfiguren wortgetreu
nachbildet — nur daß er die Eckfigur links oben hinter den Petrus setzt und die beiden andern Apostel der oberen Reihe dem
sinnwidrigerweise von links herantretenden Christus zukehrt —, während der Psautier-Meister sowohl die einzelnen Motive
freier modifiziert, als auch die Gesamtkonfiguration zugleich im Sinne strengerer Statik und innigerer Verflechtung (also
echt „gotisch") umzugestalten versucht; gemeinsam ist aber den beiden nordischen Umprägungen, daß sie den in antiker
Hirten- oder Philosophenpose in der Mitte sitzenden Apostel in jene zusammengeduckte Kauerfigur verwandeln, von der im
Texte die Rede war, — wobei sich das überaus interessante Problem ergibt, ob — und gegebenenfalls durch welche Zwi-
schenglieder — der „Psautier de la Reine Ingeburge" vom „Hortus Deliciarum“ abhängt, oder ob beide auf eine gemeinsame
Quelle zurückgehen. In einer von der byzantinischen Fassung ganz abweichenden, ja vielleicht völlig singulären Weise hat
dagegen der französische Miniator das eigentliche Gebet des Heilands darzustellen gewagt: er richtet die Gestalt des
Erlösers aus der Proskynese zu einer leidenschaftlich aufstrebenden Kniestellung auf, und stellt ihr — unter kühner Aus-

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