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Oberrheinische Kunst — 4.1929/​1930

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Ernst-Weis, Josef: Der Meister der Rufacher Beweinung
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https://doi.org/10.11588/diglit.53861#0154

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Josef Ernst Weis/Der Meister der Rufacher Beweinung
entwächst. Um so lebendiger wirkt diesen fast an das 14. Jahrhundert gemahnenden Zügen gegenüber das
Kind. Unberührt von der pretiösen Stimmung der Mutter bewegt es die drallen Ärmchen, man weiß nicht
ob zum Segen oder zu unruhigem Spiel.
Die Fassung der Marbacher Madonna gehört dem Rokoko an, und doch läßt sich das zu voller Meister-
schaft gestiegene Können des Künstlers überzeugend vernehmen. Es gelingt ihm, selbst die Hände „richtig"
zu bilden. Nur dem, der von seinen anderen Arbeiten her um diese Schwierigkeit weiß, wird auch die szepter-
haltende Hand dieser Madonna nicht freisprechen von einer gewissen Ungelenkigkeit.
Wenn die eine oder andere Zuschreibung von Werken an den Meister der Rufacher Beweinung im
ersten Augenblick Bedenken erregen mag, so muß darauf hingewiesen werden, daß das Gesamtwerk so wie es
hier dargestellt worden ist, sich durch die Isolierung von der gesamten übrigen Plastik eng zusammenschließt.
Gerade in Kaysersberg wird diese Tatsache besonders fühlbar. Das 1514 datierte Pestkreuz, das Triumph-
kreuz, das Heilige Grab und vor allem der urkundlich für 1518 festdatierte Hochaltar der Pfarrkirche von
Hans von Colmar10 11 unterscheiden sich grundsätzlich von der Wesensart der Arbeiten des Rufacher Meisters.
Am Hochaltar der Pfarrkirche drängt eine eigene Frage zur Auseinandersetzung zwischen dem Werke des
Rufachers und der übrigen Plastik; denn einer eingehenden Betrachtung kann es nicht entgehen, daß sich
verschiedentlich Anklänge an die Eigenart unseres Meisters finden.
So zeigt die Beweinungsszene des Hochaltars eine nicht geringe Verwandtschaft mit den entsprechenden
Gruppen des Rufachers. Die seltsame Kurzbeinigkeit und die Faltung des Lendentuches teilt Christus mit
dem Toten des Ammerschweierer Vesperbildes und der Beweinung auf dem Nebenaltar der Kirche (Taf. 73,
Abb. 3). Die Ölbergszene, die in sich wiederum ein eigenes Problem bildet, bringt einen Johanneskopf, der
die Erinnerung an den Rufacher Johannes wach werden läßt. Die Faltengebung vollends ist ohne den Rufacher
Meister nicht gut denkbar. Bemerkenswerterweise finden sich diese Vergleichspunkte nur im Mittelschrein
des Altars. Das ist deswegen interessant, weil der uns erhaltene Vertrag der stiftenden „Stettmeister" mit dem
Bildhauer Hans von Colmar ausdrücklich nur darauf besteht: „ . . . nämlich daz corpus mit einem ganzen
Crucifix und virr martrien daneben des passions mit ganzen billden zum allerschicklichsten . . ." zu schnitzen.
Der stilistische Befund beweist, daß Hans von Colmar sich sehr genau daran hielt, denn die Flügel, nach seiner
Visierung zwar, scheinen von anderer Hand. Daß er aber die Ausführung der Flügel nicht ganz fremden
Händen überließ, geht aus der Wiederholung mannigfacher Landschaftsmotive in späteren, von ihm signierten
Arbeiten hervor. Wie dem auch sei, es scheint, daß Hans von Colmar bei der Arbeit am Mittelschrein be-
stimmte Anregungen verarbeitete, die er vom Meister der Rufacher Beweinung empfangen hatte. In den
Flügeln zeigt er sich frei davon; die stark auf die menschliche Gestalt konzentrierte Darstellungsweise lockert
sich und Landschaft und Raum beginnen eine bedeutendere Rolle zu spielen.
Im übrigen ist die sonstige oberelsässische Plastik frei von der dem Zeitstil entgegenkommenden Mode
der Parallelfalte, sie liebt auch in der Spätzeit noch tiefunterhöhlte, kavernenbildende Faltengebung. Sie
gruppiert die Gewandmassen gerne um eruptive Mittelpunkte. Sein sporadisches Auftreten mag daher kommen,
daß die Mode der Zeit dem Parallelfaltenstil huldigte. Die größten Meister der Zeit im südwestlichen Deutsch-
land verwandten ihn. In Grünewalds Zeichnungen etwa tritt er ergiebig auf, er erfreut sich bei dem Bild-
hauer und Graphiker H. L., dessen Laufbahn in Colmar begann10, großer Beliebtheit; — aber bei diesen
10 Clauß, Abb. 12—14, S. 10.
11 Cohn, Werner, Ein unbekanntes Frühwerk des Meisters des Breisacher Hochaltares (Oberrheinische Kunst 3. Jahrg.
Heft 1/2). Freiburg (Brsg.) 1928, S. 107, Taf. 52 f.

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