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Oberrheinische Kunst — 4.1929/​1930

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Reiners, Heribert: [Rezension zu: Ilse Futterer, Gotische Bildwerke der deutschen Schweiz 1220-1440]
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https://doi.org/10.11588/diglit.53861#0244

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Buchbesprechungen

Das große Material, das sie vor uns ausbreitet, hat sie
rein äußerlich nach Themen zusammengefaßt: die Madonna,
thronend oder stehend, der Gekreuzigte, die neuen Andachts-
bilder der Mystik (Heimsuchung, Maria auf der Lagerstatt,
das Jesukind, Jesus und Johannes, das Vesperbild, der Grab-
christus), Einzelplastik und Altarreste, figürliche Gestühls-
plastik, Steinplastik. In diesen zahlreichen Kapiteln bespricht
sie die meisten Werke und sucht die allgemeinen Stilwand-
lungen und Zusammenhänge darzulegen. Auch in dieser
kunsthistorischen Auswertung hat sie reiche Ergebnisse aufzu-
zeigen. Dabei hat sie besonders die große künstlerische Be-
deutung, welche die alte Bischofsstadt Konstanz für einen
weiten Teil des deutsch-schweizerischen Gebietes in der Früh-
zeit hatte, erweisen können, während später der Einfluß Ulms
sich stärker geltend macht. Andere vorübergehende Mittel-
punkte, wenn auch von geringerer Bedeutung, wie Luzern
und Zürich, hat sie daneben aufgestellt. Doch hätte man
gerne den Text straffer gesehen. In der gebotenen Form
leidet durch allzu wortreiche Formanalysen die Klarheit der
Gesamtdarstellung sowie die Darlegung der Zusammenhänge
und der großen Entwicklungslinien. Die Interpretierung ist
teilweise zu subjektiv. Man kann in einer Figur alles mög-
liche sehen und in sie hineindeuten und nur zu oft dann das
gleiche für die verschiedensten Werke sagen. „Kräftige
Räumlichkeit", „Plastizität", „Kubizität", „füllige Figuren",
„schwerelose Diagonalen", „Ausschlagsbreite in der Dar-
stellung von Gefühlen", „Zähflüssigkeit der Faltengliederung",
„der Brauch, den Außenraum mit der kubischen Form zu
verzahnen", „eine im Aufbau raumstarke Figur", das alles
sind, um nur einige Proben herauszugreifen, Deutungen und
Begriffe, die man in einer klaren Darstellung lieber missen
möchte. Mehr als einmal regt sich bei der Lektüre dieses
Buches der Wunsch nach mehr Sachlichkeit, die trotz alles
Einfühlens und Nacherlebens nicht verloren gehen darf. Es
scheint, als hätte die Verfasserin ab und zu die rechte Distanz
zu ihren Werken nicht mehr gehabt, woraus man ihre Liter-
pretierungsart entschuldigen möchte. Aber auch die Zu-
schreibungen und Datierungen sind nicht immer überzeugend.
Ablehnen aber möchte ich vor allem das Bemühen, das man
noch so vielfach, namentlich bei jüngeren Kunsthistorikern
trifft, etwa nur auf Grund der Faltengebung eine Figur auf
ein Jahrzehnt, oder noch enger umgrenzt, festlegen zu wollen,
als wenn die Stilentwickelung den Kunsthistorikern zuliebe
von Jahr zu Jahr auf der ganzen Linie in gleicher Weise
Schritt für Schritt verlaufen sei.
Besonders interessantes Material bringt Futterer in ihrer
Abhandlung über die neuen Andachtsbilder, zumal über die
Jesus- und Johannesgruppen. Diese haben ja schon mehrfach
die Forschung beschäftigt, wobei ein besonderes Verdienst
Julius Baum zukommt, der auch bereits die große Reihe dieser
eigenartigen Werke, die sich nur auf das alemannische Ge-
biet beschränken, fast vollzählig zusammenstellte. Futterer
hat die Forschung wesentlich erweitern können und ihre Er-
gebnisse bereits teilweise 1928 in der Zeitschrift „Das
schwäbische Museum", „an entlegenem Ort", wie sie es nennt,
veröffentlicht. Als Zentrum der Johannesverehrung hat sie

in Seeschwaben das Kloster Katharinenthal nachgewiesen, wo
sich eine als Gnadenbild verehrte Darstellung des genannten
Themas befand, die Futterer mit dem bekannten Werk der
Sammlung Mayer van den Bergh in Antwerpen identifizieren
konnte. Durch die Forschungen von Frei-Kundert konnte
dann der Meister dieses ganz hervorragenden Stückes fest-
gestellt werden, Meister Heinrich von Konstant. Gerade die-
ser ist in der vorliegenden Publikation klarer herausgesellt
in seiner künstlerischen Bedeutung und seinem starken Ein-
fluß. Ihm, seiner Werkstatt und seiner Wirkung, wiimet
Futterer das Schlußkapitel ihres Buches, worin sie alb ihr
bekannt gewordenen Bildwerke der Konstanzer Schul des
frühen 14. Jahrhunderts zusammenfaßt und in ihrem Vchält-
nis zueinander festzulegen sucht. Außer der Jesus und
Johannesgruppe hat sie diesem Meister Heinrich noc eine
Madonna in Katharinenthal zuschreiben können, die siointer
barocker Verkleidung erst entdeckte. Im Gegensatz zu idern
nimmt sie für die schöne Gruppe aus Sigmaringen, jtzt in
Berlin, einen andern Künstler als Meister Heinrich an, einen
beträchtlich jüngeren Nachfolger seines Stiles", dem e die
Gruppe der Heimsuchung, jetzt in New York, und ein Ma-
donna in Berlin zuschreibt. Mag man auch gerade bt der
Gruppenbildung um Meister Heinrich herum der Verfaserin
nicht überall unbedingt zustimmen, die große Bedeutung der
Konstanzer Plastik dieser früheren Zeit ist doch von ihr über-
zeugend dargelegt und dadurch die kunstgeschichtliche For-
schung um eine wichtige neue Erkenntnis bereichert worden.
Ihren Abhandlungen fügt Futterer zwei Kataloge bei: ein
Verzeichnis der in ihrem Buche abgebildeten Werke mit allen
wissenswerten Angaben über Zustand, Herkunft, Datierung,
Einordnung und Literatur, eine sorgfältige, willkommene Er-
gänzung zum Textteil, auf die man in erster Hinsicht wohl
beim Gebrauch dieses Buches zurückgreifen wird. Außerdem
gibt sie ein gesondertes Verzeichnis der „nicht abgebildeten
und zum Teil im Text nicht erwähnten deutsch-schweizeri-
schen Bildwerke aus dem Zeitraum von 1230—1430". Diese
sollen zum größten Teil so unbedeutend sein, daß das Fehlen
einer Abbildung nicht zu bedauern sei. Wenn trotzdem eine
solche Liste von Werken zweiten oder dritten Ranges hier
gegeben wird, so muß das den Eindruck machen, als solle
durch sie das übrige behandelte Material zur Vollständigkeit
erhoben werden. Aber davon ist es weit entfernt. Man er-
wartet ja auch kaum Vollständigkeit bei diesem weit gefaßten
und als Ganzes zum ersten Male behandelten Thema. Sieht
man aber das Buch einmal auf die Vollständigkeit hin an,
so macht sich vor allem für den Freiburger Bezirk die Lücken-
haftigkeit besonders fühlbar. Dieses Gebiet gehört in seinen
alten Skulpturen auch für die von Futterer behandelte Zeit
zu den reichsten in der Schweiz, was aber in diesem Buche
durchaus nicht in die Erscheinung tritt. Zudem kann man
sich des Eindrucks einer teilweise starken Willkür in der
Auswahl der Werke dieses Bezirkes nicht erwehren. Es über-
rascht vor allem, daß dem Heiligen Grab in der Freiburger
Kathedrale, 1433 datiert, einem Hauptwerk der in Frage
stehenden Periode, einzigartig in der Schweiz, nicht mehr
Raum gegeben, daß es nicht einmal abgebildet ist. Ich habe

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