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Österreichisches Archäologisches Institut [Hrsg.]
Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen Institutes in Wien — 12.1909

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Loewy, Emanuel: Typenwanderung, I
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https://doi.org/10.11588/diglit.45357#0268

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E. Löwy

von Furchen und selbst ihrer Kreuzung an der Salkante bekundet. Aber damit
wird ihr Verhalten zu dem auch ihr zugrunde liegenden Typus um so lehrreicher:
trotz der durch Vorgänger eingeleiteten größeren Rundung und körperlichen
Lösung wagt sie es nicht, die überkommene plastische Grundform wesentlich
umzugestalten. Der Mantel, dessen kompliziertem Gange sie mit sichtlicher Mühe
nachstrebt, bildet, auch wo er doppelt liegt, keinen Körper, ist mit dem Schul-
mittel der eingravierten Zeichnung, und selbstverständlich der Farbe, in diese
Grundform eingeschrieben. Sauers von der Qualität des Marmors ausgehende
Verknüpfung mit der Nikandrereihe39) besteht zu Recht; ob von samischen,
naxischen oder sonst welchen Händen gearbeitet, sind auch die „samischen Xoana“
eine Ableitung, wir dürfen wohl sagen: eine Entwicklungsphase jener kretischen
Typen.

II.

4. Machen wir einen Sprung nach Olympia zu dem nächst dem Heraion ge-
fundenen weiblichen Kolossalkopf40). Seit Brunn gilt er als einer der hervor-
ragendsten Vertreter jenes Kunstprinzipes, welches Brunn als das mathematisch-
architektonische bezeichnet und für die peloponnesische Kunst in Anspruch
nimmt41). Diese Aufstellung hat fast allgemein Nachfolge gefunden. In der Tat
kommt sie dem nächstliegenden und für viele erschöpfenden Bedürfnis nach
kunstgeschichtlicher Erkenntnis, der Scheidung ven Schulen, durch leicht faß-
liche Kennzeichen entgegen und sie gewinnt uns unmittelbar durch eine Art von
Argument ad hominem: die überraschende Entsprechung der Kunst mit dem
Stammescharakter, wobei freilich Peloponnesisch stillschweigend mit Dorisch
gleichgesetzt wird42).
Man könnte indessen die Frage aufwerfen, ob jene beiden Teile von Brunns
Definition eine wirkliche Einheit bilden, ob nämlich das Mathematische, das
heißt die Darstellung der Formen in einfachen geometrischen Flächen, auch
immer mit dem Architektonischen, der Erfassung der Form von innen heraus,
Hand in Hand geht. Mir will es scheinen, daß die naturwidrig stereometrische
Bildung in den meisten von Brunns Beispielen einer konstruktiven Vorstellung
des menschlichen Körpers überhaupt entbehrt und die Darstellung hier völlig

39) Athen. Mitt. XVII (1892) S. 48 ff. 69.
40) Olympia III Taf. I S. 1 ff. (Treu); Collignon I
p.239f. Fig. 115; Perrot VIII p. 436 f. Fig.212; Brunn,
Kl. Sehr. II S. 131 ff. (Tekt. Stil II); 156 ff. (Athen.
Mitt. VII 1882).

41) Kl. Sehr. II S. 152 ff.; 157.
42) Die von Brunn selbst vorgenommene Ein-
schränkung (Kl. Sehr. II S. 138!.; vgl. 155) beseitigt
die Zweideutigkeit nicht ganz.
 
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