Repertorium für Kunstwissenschaft (5.1882)

Romanische Wandmalereien in Tirol.
Il. Aus der Katharinenkapelle zu Hocheppan.

Wenn Malerei und Plastik im Mittelalter die grossartigen Leistungen
der Architektur nicht erreichten, so haben jene Künste, unabhängiger
von localen Eigenthümlichkeiten und zufälligen Bedingungen, den all-
gemeinen Geist der Zeit doch in charakteristischen Zügen abgespiegelt
und durch mannigfaltige, nicht immer rohe Formen die vielseitigen
Bestrebungen der alten Meister in der Verbindung antiker Elemente
mit eigenartigen Entwürfen bezeugt. Wie die Offenbarungen der heiligen
Schrift den Inhalt des Glaubens bildeten, so galten die Ueberlieferungen
der altchristlichen Kunst als Richtschnur für die Schöpfungen der
Malerei und Bildnerei, bis sich dem Künstlerauge im Spähen nach
höheren Zielen und in dem Studium der Natur ein neues Stilgesetz
erschloss. Von diesem Entwickelungsgange geben indess nur die Minia-
turen zuverlässige Kunde: so häufig Wandgemälde zum Schmucke der -
Gotteshäuser dienen mochten, so selten finden sich Reste derselben in
ursprünglicher Beschaffenheit, indem die meisten Kirchen romanischer
: Bauart verfallen oder umgestaltet, in den erhaltenen die alten Bilder
durch Uebermalung, Tünche, Wind und Wetter verdorben, ausgelöscht,
zum '"Cheil der Anschauung entzogen sind.

Auch in Tirol erreichen die Bildverzierungen der Wände aus jener
Zeit nur eine geringe Zahl, deren genaue Kenntniss die Schwierigkeit
der Untersuchung bisher verhindert hat. Wer aber die Mühe wieder-
holter Besichtigung nicht scheut, der wird von diesen alterthümlichen
Fragmenten, ob auch verblasst, verwischt, beschädigt, in lichtlosem
Raum, hier durch die Eigenheiten der Figurenbildung, dort durch den
Formenschatz der Ornamente zur Vertiefung in die Ideale wie in das
technische Verfahren der Künstler angeregt. So möge der Versuch,

den Fachgelehrten Skizzen und Umrisse einiger Wandgemälde aus dem
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