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Repertorium für Kunstwissenschaft — 5.1882

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Dahlke, Gotthilf: Die Pietà zu Tesselberg und in Bruneck
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https://doi.org/10.11588/diglit.62026#0432

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Die Pietä zu Tesselberg und in Bruneck.

Von G. Dahlke.

Minder häufig als Darstellungen der Jungfrau mit dem Jesuskinde,
welche bis in die ersten Jahrhunderte des Christenthums zurückreichen
und im Abendlande durch Vielseitigkeit der Auffassung und Behand-
lung immer grössere Bedeutung für die Kunstentfaltung gewannen, sind
Bilder der Gottesmutter mit dem Leichnam Christi aus mittelalterlicher
Zeit. Erst als Cimabue dem Madonnenideal im Gegensatz zu dem byzan-
tinischen Typus freiere Züge gegeben, Niccolö Pisano aus der Antike
den Ausdruck ethischer Motive in seine Compositionen aufgenommen
hatte, Naturgefühl der folgenden Maler und Bildner die Gestalten mehr
und mehr belebte, gelang es der Kunst, auch in der Mater dolorosa den
Ausdruck schmerzlicher Empfindung in menschlich wahrer Weise abzu-
spiegeln. Weil die Legende jedoch keinen Fingerzeig, das Leben kein Vorbild ı
bot, die Beziehungen der Gottesmutter zu dem Gekreuzigten in der Ein-
fachheit und Einheit der Madonnenbilder zu versinnlichen, so blieb Maria
in den Scenen der Kreuzigung und Grablegung bald dem Lieblings-
jünger, bald leidtragenden Frauen gesellt, bis die Phantasie der Künstler
mit Entwürfen der trauernden Mutter über dem Leichnam den Kreis der
Scenen aus dem Leben und Leiden des Heilandes erweiterte. Madonna
und Pieta in diesem engeren Sinne entbehren bei aller Verschiedenheit
des Inhalts nicht verwandter Beziehungen; hier wie dort bleibt Mutter-
liebe das verbindende Element der Gruppe, die aber als Pietä gedacht,
der ersten Ausgestaltung nicht geringe Schwierigkeiten bereiten mochte.
Das starre Gebilde des todten Körpers widerstrebt der Verbindung mit
lebensvollen Formen, der Durchdringung mit Regungen des Gefühls,
wie sie Blick und Geberde des Kindes offenbaren, das sich so liebevoll
in die Arme der Mutter schmiegt. Während dem Madonnenmaler überall
Modelle das Studium erleichterten, blieb der Künstler für die Zeichnung
der Pieta auf die Kraft seiner Erfindungsgabe beschränkt und bedurfte
 
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