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Repertorium für Kunstwissenschaft — 5.1882

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Literaturbericht
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https://doi.org/10.11588/diglit.62026#0514

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446 : Litteraturbericht.

es erben sich leider Irrthümer so gerne — auch wenn sie die Urkunden-
forschung bereits aufgedeckt — immer wieder weiter fort.

Vittoria Golonna. Leben, Dichten, Glauben im XVI. Jahrhundert. Von
Alfred von Reumont. Freiburg i. B., Herder’sche Verlagshandlung, 1881.
83°, SS. XVI. 253.

Reumont, der bereits im ersten Bande der Beiträge zur Italienischen
Geschichte S. 271—303 eine Lebensskizze der Vittoria Colonna entwarf, gibt
nun in dem vorliegenden Buche die erste Biographie dieser Frau, welche der
Bedeutung derselben würdig ist. Nur Reumont, mit seinem staunenswerthen
Reichthum stets präsenten historischen Wissens, vermochte in so engen Rah-
men das Charakterbild der Vittoria in lebendigster Wechselwirkung mit ihrer
Zeit zu schildern. Nichts Unwesentliches, aber auch kein Mangel — in klaren
festen Zügen erscheint vor uns gezeichnet die Physiognomie jener interessanten
Epoche, welche den Uebergang der Renaissancecultur in die Gegenreformation
bildet. Im Urtheil über die gebildetsten Persönlichkeiten kann man vielleicht,
von einem anderen Standpunkt aus, mit dem Verfasser differiren — sicher
aber muss man zugeben, dass die historische Objectivität in Vorführung der
Thatsachen strenge gewahrt bleibt. Am instructivsten in dieser Beziehung ist
das über Bernardo Occhino und den Cardinal Reginald Pole Gesagte. Ebenso
ist die Darstellung der Tendenzen der italienischen Reformrichtung dem histo-
rischen Sachverhalt völlig entsprechend. .

Das Capitel, welches uns an dieser Stelle besonders interessirt, ist das
vierte im zweiten Buche: Vittoria und Michelangelo. — Hier bedauert man
die Knappheit, die Kürze des Verfassers. Es wäre interessant gewesen, aus
seiner intimen Kenntniss der Dinge und Persönlichkeiten jener Zeit heraus eine
detaillirtere Widerlegung der Annahme, die leidenschaftlichen Briefe Michel-
angelo’s an Tommaso Cavalieri hätten eigentlich Vittoria Colonna gegolten
(von Milanesi als Conjectur ausgesprochen, von Gotti und Boito als sicher hin-
gestellt; von mir wurde gleich anfangs diese Deutung abgewiesen in Unsere
Zeit, 1875, 1. Dec.) zu finden. Reumont enthält sich detaillirten Eingehens
auf diese Frage, er betont nur »Aber die Deutung hat etwas so Gezwungenes
und Unwahrscheinliches, dass es beim Mangel aller sonstigen Nachrichten
gestattet wäre, sie zurückzuweisen, bildeten selbst nicht Ton und Haltung,
gedachter nicht minder räthselhafter als von grosser Aufregung zeugender
Schriftstücke den auffallendsten Contrast mit den wirklich an Vittoria ge-
richteten Dichtungen und Briefen späterer Zeit.«* So bleibt das Datum des
Beginns der Bekanntschaft Michelangelo’s mit Vittoria auf das Jahr 1534 fixirt.
Die Jahre häufigsten Zusammentreffens der Beiden waren vom Frühling 1538 bis
in das Jahr 1540 hinein — also die Zeit der Entstehung des jüngsten Gerichts
(1535—1541 Weihnachten). Reumont wird nicht Unrecht haben, dass jene
Seelenstimmung aus der heraus dies Werk geschaffen wurde, noch durch den
Umgang mit einer Frau gesteigert wurde, »deren Geist die Höhen und Tiefen
ermass, deren Gedanken gerade damals den Betrachtungen über Glauben,
Empfinden, Wissen und über das Verhältniss zwischen dem Göttlichen und
Irdischen mit voller Intensivität und zugleich mit lebendigem schöpferischen
 
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