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Rolfs, Wilhelm
Geschichte der Malerei Neapels: mit einem Titelbild in Heliogravüre, mit 13 Textfiguren und 138 Abbildungen auf 112 Tafeln — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.56470#0043
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endlich, der heute nicht mehr sichtbar ist, bildet eine mächtige Gruppe über der
Rose. Im Mittelpunkt steht dort eine stattliche Frauengestalt in der Haltung einer
altkristlichen Orantin. Es ist nicht etwa die Mutter Gottes, obgleich sich der Ge-
danke daran hineinmischt; denn im Schoße trägt sie den strahlenumgebenen Kopf
des Kristkindes, die Füße ruhen auf dem Monde, das Haupt auf der Sonnenscheibe.
Das ist das Weib der Offenbarung (XII 1, 2), »mit der Sonne bekleidet und der
Mond zu ihren Füßen, und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen. Und
sie war schwanger, und schrie in Kindesnöten, und hatte große Qual zur Geburt.«
Rechts und links befinden sich zwei Engel, die nach bizantinischer Formel ein Krist-
kind über Maria hätten tragen sollen. So sehen wir auch hier die Mischung der
Offenbarung mit der Überlieferung, wie bei den 24 Kindchen am Altar, der Rolle
mit dem Himmelsgewölbe und anderem mehr. In der Geschichte der Darstellungen
des Jüngsten Gerichtes spielt unser Werk eine ebenso wichtige Rolle wie die um
die gleiche Zeit entstandene Jottos in der Skrovegnikapelle zu Padua.
Die bisherigen Anschauungen über die Urheberschaft dieser bedeutenden Bilder
beruhten auf der eingehenden Untersuchung des Franzosen Bertaux. Nach ihm
schließen sie sich inhaltlich nicht an Jotto, sondern an die Sienesen, in erster
Linie an die Lorenzetti, dann an Duccio oder allgemein an toskanisch-bizan-
tinische Vorbilder an. Die Geschichten werden erzählt, nicht dramatisiert wie
bei Jotto. Auch darin sollen die Künstler von Donna Regina den Schülern Duccios
und Simon Martinis folgen, daß sie mehr auf ruhige und liebliche Innigkeit als
auf Kraft, inneres Leben und Großartigkeit gehen. Werkmännisch unterscheide man
drei Gruppen. Es gehören zusammen: 1. die Offenbarung, die Paare biblischer
Gestalten, das Leiden Kristi und das Jüngste Gericht; 2. die drei ungarischen Heiligen
und das Leben der hl. Elisabet; 3. das Leben der hl. Agnes und der hl. Katarina.
Gruppe 1 stehe ausschließlich unter dem Einflüsse Duccios; sie sei ausgezeichnet
durch gute Modellierung, wenig ausgeprägte Umrisse und die Eigentümlichkeit, daß
die rundlichen Nasenspitzen durch weiße Lichter erhöht sind. Gruppe 2 habe in
manchem männlichen Kopfe etwas Jotteskes, der weibliche Tip dagegen sei gleichweit
von Duccio wie von Jotto entfernt. Die Frauenköpfe der hl. Elisabet erinnern
an die aus dem Leben des hl. Martin von Simon Martini in Assisi. Umrisse
wie Modellierung seien unbestimmter als bei der ersten Gruppe. Die dritte Gruppe
endlich mit ihren klar angeordneten und wenig zahlreichen Figuren nähere sich Jotto
am meisten, von dem sich der sienesische Kopf mit seinem ausgesprochenen Eirund
wieder unterscheide: es erinnere deutlich an Peter Lorenzetti. Diesen Meister er-
klärt denn auch Bertaux zögernd für den, der mit seinen Schülern die Wandbilder
von Donna Regina ausgeführt haben könnte.
Man erkennt leicht, wie dieser unsicher tastende Versuch zu keinem befriedigenden
Ergebnisse kommt. Bertaux ging nicht, wie es immer geschehen sollte, von den
Werken selbst, sondern von der Tatsache aus, daß in Neapel die Sienesen in be-
trächtlicher Zahl vertreten, und daß auch Jotto dort beschäftigt war: unter dem Drucke
 
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