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Neapel war, brachte eine Beute heim, die 87 000 Pfund wog, und dachte sogar daran,
die Erztüren des Wilhelm Monako von der Neuen Burg mitzunehmen. Fast die
ganze überaus reiche Bibliotek der Könige Alfons, Ferdinand usw. wurde nach
Frankreich verschleppt, so daß wir dort das Material zu einer Untersuchung über
die Neapler Buchmalerei suchen müssen. Aber schlimmer noch als dieser einmalige
heftige Aderlaß wirkte der Jahrhunderte andauernde Raubbau der spanischen Statt-
halter Neapels: in den spanischen Königsschlössern wird man noch ungezählte Denk-
mäler der künstlerischen Tätigkeit Neapels aus dieser und späteren Epochen antreffen,
namentlich Tafelbilder der Malerei jener Tage, die ja am leichtesten zu entfernen waren.
So ist Neapel an malerischen Werken dieser sonst so reichen Zeit arm ge-
worden, und was noch vorhanden ist, befindet sich meist in einem sehr traurigen Zu-
stande. Dazu kommt die an und für sich verwickelte Frage nach dem Einflüsse der
nordischen Kunst auf die italienische im allgemeinen, die neapolitanische im be-
sonderen. Die Unsicherheit der Quellen; der Eifer aufrichtiger und unaufrichtiger
Lokalforscher; der meist unkenntlich gewordene Zustand der in Frage kommenden
Werke selbst haben dazu geführt, eine eigene flandrisch-neapolitanische Schule
anzunehmen, obgleich es noch Niemandem gelungen ist, weder die dazu gehörigen
Werke näher zu bezeichnen und ihre Eigenart genauer zu bestimmen, noch zu er-
klären, wie sich gerade auf Neapler Boden, wo doch bisher weit schmiegsamere,
verwandte Einflüsse mit den heimischen Kräften zu keiner eigenen neapolitanischen
Kunstübung hatten verschmelzen können, innerhalb kurzer Frist das Wunder einer
solchen Paarung ganz fremdartiger Stoffe, wie sie die flandrische und neapolitanische
enthalten, hätte vollziehen sollen. Es wird sich denn auch ergeben, daß von einer
solchen Schule keine Rede sein kann, und daß dieser Begriff aus der Neapler Kunst-
forschung zu streichen ist Was man bisher damit bezeichnete, ist entweder rein
flandrisch, flandrische Nachahmung oder aber, und dies ist besonders zu betonen,
der von Spanien oder Sizilien aus nach Neapel eingeführte spanisch-flandrische Stil.
Die ganze Frage ist eng mit einem Namen verknüpft, der wohl wie kein zweiter
in der Neapler Kunstgeschichte unheilvoll gewirkt hat, dem des vielgenannten Col-
antonio von Neapel1). Wir sahen, wie er aus der Bezeichnung auf dem Bilde
in S. Anton-dem-Abte entstand. Nachdem nun aber dieser Irrtum endlich erkannt
und erledigt war, ging die in bezug auf Neapler Dinge nicht mit Unrecht miß-
trauisch gewordene Kritik dazu über, den ganzen Colantonio aus seinem Dasein
hinauszubeweisen, und auch den zuverlässigen Gewährsmann Summonte zu be-
handeln, als ob seine Angaben nicht mehr Vertrauen verdienten als die des Fäl-
schers. Dadurch ist aber die Frage erst recht verwirrt geworden. Daß Nikolaus
Tomas ein Florentiner des 14. Jahrhunderts war, kann doch nicht ausschließen,
daß es einen Nikolaus Anton — denn nur daraus konnte ein Colantonio
werden — in Neapel in der Mitte des 15. Jahrhunderts gegeben habe, wie Sum-
1) Vgl. S. 67
Neapel war, brachte eine Beute heim, die 87 000 Pfund wog, und dachte sogar daran,
die Erztüren des Wilhelm Monako von der Neuen Burg mitzunehmen. Fast die
ganze überaus reiche Bibliotek der Könige Alfons, Ferdinand usw. wurde nach
Frankreich verschleppt, so daß wir dort das Material zu einer Untersuchung über
die Neapler Buchmalerei suchen müssen. Aber schlimmer noch als dieser einmalige
heftige Aderlaß wirkte der Jahrhunderte andauernde Raubbau der spanischen Statt-
halter Neapels: in den spanischen Königsschlössern wird man noch ungezählte Denk-
mäler der künstlerischen Tätigkeit Neapels aus dieser und späteren Epochen antreffen,
namentlich Tafelbilder der Malerei jener Tage, die ja am leichtesten zu entfernen waren.
So ist Neapel an malerischen Werken dieser sonst so reichen Zeit arm ge-
worden, und was noch vorhanden ist, befindet sich meist in einem sehr traurigen Zu-
stande. Dazu kommt die an und für sich verwickelte Frage nach dem Einflüsse der
nordischen Kunst auf die italienische im allgemeinen, die neapolitanische im be-
sonderen. Die Unsicherheit der Quellen; der Eifer aufrichtiger und unaufrichtiger
Lokalforscher; der meist unkenntlich gewordene Zustand der in Frage kommenden
Werke selbst haben dazu geführt, eine eigene flandrisch-neapolitanische Schule
anzunehmen, obgleich es noch Niemandem gelungen ist, weder die dazu gehörigen
Werke näher zu bezeichnen und ihre Eigenart genauer zu bestimmen, noch zu er-
klären, wie sich gerade auf Neapler Boden, wo doch bisher weit schmiegsamere,
verwandte Einflüsse mit den heimischen Kräften zu keiner eigenen neapolitanischen
Kunstübung hatten verschmelzen können, innerhalb kurzer Frist das Wunder einer
solchen Paarung ganz fremdartiger Stoffe, wie sie die flandrische und neapolitanische
enthalten, hätte vollziehen sollen. Es wird sich denn auch ergeben, daß von einer
solchen Schule keine Rede sein kann, und daß dieser Begriff aus der Neapler Kunst-
forschung zu streichen ist Was man bisher damit bezeichnete, ist entweder rein
flandrisch, flandrische Nachahmung oder aber, und dies ist besonders zu betonen,
der von Spanien oder Sizilien aus nach Neapel eingeführte spanisch-flandrische Stil.
Die ganze Frage ist eng mit einem Namen verknüpft, der wohl wie kein zweiter
in der Neapler Kunstgeschichte unheilvoll gewirkt hat, dem des vielgenannten Col-
antonio von Neapel1). Wir sahen, wie er aus der Bezeichnung auf dem Bilde
in S. Anton-dem-Abte entstand. Nachdem nun aber dieser Irrtum endlich erkannt
und erledigt war, ging die in bezug auf Neapler Dinge nicht mit Unrecht miß-
trauisch gewordene Kritik dazu über, den ganzen Colantonio aus seinem Dasein
hinauszubeweisen, und auch den zuverlässigen Gewährsmann Summonte zu be-
handeln, als ob seine Angaben nicht mehr Vertrauen verdienten als die des Fäl-
schers. Dadurch ist aber die Frage erst recht verwirrt geworden. Daß Nikolaus
Tomas ein Florentiner des 14. Jahrhunderts war, kann doch nicht ausschließen,
daß es einen Nikolaus Anton — denn nur daraus konnte ein Colantonio
werden — in Neapel in der Mitte des 15. Jahrhunderts gegeben habe, wie Sum-
1) Vgl. S. 67