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Rolfs, Wilhelm
Geschichte der Malerei Neapels: mit einem Titelbild in Heliogravüre, mit 13 Textfiguren und 138 Abbildungen auf 112 Tafeln — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.56470#0189
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und Ordnung zu halten. Ihr Blick ist nicht auf die Entwicklung der Stadt gerichtet,
sondern sucht den des fernen Kaisers, dessen Gunst vor allem bewahrt sein will.
Ein vortreffliches Mittel dazu sind die »kleinen Geschenke, die die Freundschaft er-
halten«, d. h. außer, daß er sich selber möglichst bereichert, sendet ein guter Vize-
könig nach Madrid, was er nur an Kunstwerken auftreiben kann, so daß mehr Kunst-
werke aus Neapel nach Spanien ausgeführt werden, als dort unter der Förderung der
Statthalter neu entstehen. Selbst ein Mann von mehr als gewöhnlicher Begabung wie
Peter von Toledo hat alle Hände voll zu tun, Ordnung zu schaffen und zu halten
und seine Mittel dazu zu benutzen, die aller Beschreibung spottenden Zustände der öffent-
lichen Ordnung, der Rechtspflege, der Wasserversorgung, der Straßen und Wohnungen
zu verbessern. Unglaublich aber ist, was manche Statthalter in Neapel zusammen-
gestohlen und nach Spanien verschleppt haben.
Unter diesen Umständen ist es begreiflich, daß wir in Neapel keinen umfassenden
malerischen Aufgaben begegnen, wie sie Rom stellt, und wie wir sie noch im 14.
und 15. Jahrhundert in Neapel angetroffen haben. Für die Malerei kommt noch
hinzu, daß man auf Neapler Boden von jeher eine große Vorliebe für eine möglichst
prunkhafte Plastik hatte, die auch im 16. Jahrhundert die eigentlich künstlerische Ent-
wicklung der Stadt darstellt. Dadurch geht auch noch das sehr dankbare Feld der
Altarbildmalerei zu einem beträchtlichen Teile für Neapel verloren.
Ein großer Mangel bedeutender Meister kennzeichnet daher das 16. Jahr-
hundert der neapolitanischen Malerei. Nicht nur die einheimischen Kräfte fehlen;
auch die fremden großen Meister zieht kein ehrgeiziger, kunst- und luxusbedürftiger
Hof mehr herbei. Was Talent hat, geht nach Rom oder dem Norden. Dort ent-
wickelt sich das goldene Zeitalter: Venezien und die Lombardei haben unabhängige
und reiche Gemeinwesen; Toskana vereinigt unerschöpfliche künstlerische Kraft mit
reichsten Auftraggebern an der Spitze; Rom hat die Reichtümer, die Prunkliebe und
den Kunstsinn des zur höchsten Machtentfaltung entwickelten Papsttums zur Grund-
lage seiner Kunstpflege. Nichts von alledem in Neapel. Und so kommt es, daß
der Gang der Neapler Malerei sich auf den Nebenwegen entwickelt, die abseits der
großen Prunkstraße der italienischen Malerei des 16. Jahrhunderts herlaufen. Sie ist ein
minderwertiges Spiegelbild der verschiedenen Strömungen, die in Rom, Florenz,
Venedig, Bologna usw. zur Geltung kommen. An alledem nehmen wir teil: die Raffaeli-
ten fehlen so wenig, wie die Michelangelischen; die Tizianer haben ihre Vertreter wie
die Bologneser. Diese, und alles was zur Manier wird, mit besonderer Vorliebe.
War doch Neapel der günstigste Boden für eine aus allen Blüten zusammengetragene
Mischkunst. Niemals zu eignem Stil gelangt hat Neapel zu keiner Zeit ein durch
reines Stilgefühl geläutertes künstlerisches Empfinden gehabt. Selbst nicht im 17. Jahr-
hundert, der eigentlichen Glanzzeit der Neapler Malerei. Was dort, als die Kirche
unter Führung der Jesuiten zu einer alles überstrahlenden Prachtentfaltung schreitet,
der sie die Kunst dienstbar macht, als Neapler Stil erscheinen könnte, ist doch nur
der Ansatz zu tieferem Stilgefühl; denn neapolitanisch Eigenes ist daran nur die Vor-
 
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