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Rolfs, Wilhelm
Geschichte der Malerei Neapels: mit einem Titelbild in Heliogravüre, mit 13 Textfiguren und 138 Abbildungen auf 112 Tafeln — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.56470#0320
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hier ausgereifte Meisterschaft, und im Leben des Künstlers war ihm eine schöne Tochter
zur Schande verführt, aus dem Herzen gerissen worden. Treffliche Worte hat dazu
Dalbono, der das Bild in der Kunstausstellung Neapel 1877 sah. »Die Frau, die
man zunächst für eine gemeine Frau halten sollte, ist eine hl. Margarete, könnte
aber auch eine Magdalene oder eine ägiptische Maria sein. In der Malerei jener Zeit
hielt man es für eine Pflicht, mit schönen Heiligen und mehr noch mit schönen
Magdalenen zu paradieren. Auch die Priester, die Eminenzen wollten sie reumütig,
aber schön1). Allein Ribera meinte, die Margareten, Magdalenen, Marien aus Ägipten
hätten nach all den Tränen, der Reue, dem härenen Hemde, dem trockenen Brote
keinen schöngeformten vollen Busen, keine glatten Haare, keine weichen Hände,
kein weißes wie Alabaster schimmerndes Fleisch mehr haben können, wie Reni sie
malte. Ribera war Künstler. Seht euch diese ineinandergepreßten Hände an, diese
feine, gerissene, aber nicht mit Salben gepflegte Haut: da ist keine herrlich gewölbte
Brust; die Augen sind schön, aber sie haben nicht mehr den Glanz der Verführerin.
Der Zauber ist für immer vorbei. Auch der Mund ist nervös erregt. Und in dieser
Halbfigur sieht man die Reumütige, die Frau, die sich in Tränen verzehrt hat, nicht
mehr, sozusagen, die gnädigste Frau Magdalena, oder das edle Fräulein Magarete, die
die anderen malten. Das ist die Wirkung einer nackten Wahrheitsmalerei: sie gefällt
nicht allen; aber sie gefällt dem Gewissen des Künstlers.«
Außer diesem reichen Schatze meist vorzüglicher Werke des spanischen Meisters
bewahrt Neapel nun noch eine große Anzahl von Werken, die ihm mit mehr oder
minder Berechtigung zugeschrieben werden.
Der hl. Andreas in der Sammlung der Jerolimini (N. 43) ist kein übles
Bild, stellt aber nur eine Wiederholung des Dresdener Bildes dar, und ermangelt wie
alle unechten Riberas des feinen Pinselstriches des Meisters. Auch der Krist an der
Säule (ebendort N. 35) zeigt einen guten Akt des Oberkörpers, nicht aber die Größe
Riberas. Der hl. Pilger Jakob (N. 2) gehört wohl einem Jordanoschüler. Einen
echten Ribera möchten wir dagegen in dem an schwer sichtbarer Stelle untergebrachten,
stark nachgedunkelten hl. Sebastian von SS. Severin und Sosio (6. Kap. 1.) er-
blicken. Beide Arme des ganz von vom gesehenen Heiligen sind am Handgelenk
oben an einem Baumstamm befestigt. Der edle Kopf mit den grünlichen Todes-
schatten ist nach hinten gesunken. Eine Frau zieht ihm links mit unsagbar schonender
Gebärde den tötlichen Pfeil aus der rechten Achselhöhle. Hinter ihr eine zweite
Frauengestalt. Die geringe Zahl der Beteiligten, der eine Pfeil, das helle Bernstein
des leuchtenden Leibes, die Kunst, mit der der vollständige Zusammenbruch dar-
gestellt ist — noch ist das linke Bein aufgestützt, aber schon schiebt sich fast ganz
kraftlos der Fuß unter das rechte, — alles das ist so riberisch wie möglich, und die
1) Als Musterbeispiel s. Guercinos Magdalena im NM. 83981. Von ihm auch die
Dreifaltigkeit der Neuen Jesuitenkirche (1. Kap. r. vom Hochaltar), der hl. Hie-
ronimus im Schloß (VII. Saal, 1. Wand), Kopf des Täufers NM. 84150 (in Nachahmung
Korreggios mit Einfluß Karavaggios), der reuige hl. Peter NM. 84133, ohne Interesse.
 
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