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höchstgradigen Kurzsichtigkeit ist doch wohl auch kein eigentlicher Fort-
schritt, ebensowenig das Bestreben, die Eindrücke des lichtgeblendeten
Auges mit allerlei Nachbildern auf der Fläche festzuhalten, und in Beziehung
auf vorzügliche Modellierung der Formen ist die graue Photographie schon
seit langem der Malerei überlegen.
Wie immer man die jüngste Malerei auffassen will, eines steht fest,
daß von einem stetigen Fortschritt im Sehen und im Wiedergeben des
Geschauten durch die bildenden Künste keine Rede ist. Am allerwenigsten
in den neuesten Erscheinungen der Kubisten und Futuristen [und
Expressionisten]. Die Künstler dieser Richtung schauen nicht nach außen,
sondern versuchen es, nach innen zu schauen. Was dabei herauskommt,
haben Sie auf verschiedenen Ausstellungen oder in Abbildungen gesehen.
Man nähert sich einer Art phantastischer Traummalerei und läßt die Wieder-
gabe der Außenwelt fallen. Nun, es muß auch derlei Phantasten geben.
[Abbildungen wurden vorgewiesen.]
Die Werke der Kubisten und Futuristen machen es uns klar, wie
grundverschieden das Sehen in der schaffenden Kunst vom
Sehen in der Wissenschaft ist. Die Kunst sucht geradewegs immer
nach Neuem, braucht aber dabei keinen eigentlichen Fortschritt zu machen,
am allerwenigsten in den Werkzeugen und in der Technik. Hie und da
eine Brille oder eine Camera lucida. Die Pinsel, mit denen ältere Maler
gearbeitet haben, die Farben, die Malgründe waren im Gegenteil alle sorg-
fältiger bereitet als die heutigen.
In der Wissenschaft gibt es aber gar keinen Zweifel darüber, daß
unsere Fernrohre und Mikroskope besser sind als die alten Vorrich-
tungen, daß uns eine Unzahl von Instrumenten zur Verfügung steht, um
genauer und immer genauer dürchs Auge zu beobachten, Instrumente, von
denen die alten Physiker keine Ahnung hatten. Im Sehen, wie es der
Wissenschaft zukommt, ist im Gegensatz zum Sehen in der Kunst
ein stetiger Fortschritt unverkennbar.
Wenn ich nun zusammenfasse, so ergeben sich hauptsächlich folgende
zwei verschiedene Arten des bewußten Sehens, die ja gewiß abwechselnd
auch von einem allein geübt werden können, die aber gewöhnlich recht
scharf getrennt werden müssen.
Ob es sich um Natur oder Kunst handelt, der Unterschied zwischen
subjektivistischem und objektivistischem Sehen wird jederzeit klar.
Den subjektivistischen Blick haben wir uns von der Kindheit her
gerettet in unsere verschiedene Lebensberufe. Wir üben das subjektivistische
Sehen aus, wenn wir etwas zu unserer Unterhaltung anschauen. Beim
schaffenden Menschen, beim bildenden Künstler, den ich hervorhebe, wird
dieses Sehen geleitet, gelenkt von Vorstellungen aus der gewohnten Aus-
übung des Berufes. Motorische Vorstellungen aus dem Kunstschaffen
spielen mit.
Das objektivistische Sehen und nüchterne Untersuchen mit dem
Auge kommt der forschenden Wissenschaft zu. Es ist das eigentliche Sehen
in der Wissenschaft, dient auf allen möglichen Gebieten dem genauen Er-
kennen der Objekte, ob diese nun Naturprodukte oder Kunstwerke sind
höchstgradigen Kurzsichtigkeit ist doch wohl auch kein eigentlicher Fort-
schritt, ebensowenig das Bestreben, die Eindrücke des lichtgeblendeten
Auges mit allerlei Nachbildern auf der Fläche festzuhalten, und in Beziehung
auf vorzügliche Modellierung der Formen ist die graue Photographie schon
seit langem der Malerei überlegen.
Wie immer man die jüngste Malerei auffassen will, eines steht fest,
daß von einem stetigen Fortschritt im Sehen und im Wiedergeben des
Geschauten durch die bildenden Künste keine Rede ist. Am allerwenigsten
in den neuesten Erscheinungen der Kubisten und Futuristen [und
Expressionisten]. Die Künstler dieser Richtung schauen nicht nach außen,
sondern versuchen es, nach innen zu schauen. Was dabei herauskommt,
haben Sie auf verschiedenen Ausstellungen oder in Abbildungen gesehen.
Man nähert sich einer Art phantastischer Traummalerei und läßt die Wieder-
gabe der Außenwelt fallen. Nun, es muß auch derlei Phantasten geben.
[Abbildungen wurden vorgewiesen.]
Die Werke der Kubisten und Futuristen machen es uns klar, wie
grundverschieden das Sehen in der schaffenden Kunst vom
Sehen in der Wissenschaft ist. Die Kunst sucht geradewegs immer
nach Neuem, braucht aber dabei keinen eigentlichen Fortschritt zu machen,
am allerwenigsten in den Werkzeugen und in der Technik. Hie und da
eine Brille oder eine Camera lucida. Die Pinsel, mit denen ältere Maler
gearbeitet haben, die Farben, die Malgründe waren im Gegenteil alle sorg-
fältiger bereitet als die heutigen.
In der Wissenschaft gibt es aber gar keinen Zweifel darüber, daß
unsere Fernrohre und Mikroskope besser sind als die alten Vorrich-
tungen, daß uns eine Unzahl von Instrumenten zur Verfügung steht, um
genauer und immer genauer dürchs Auge zu beobachten, Instrumente, von
denen die alten Physiker keine Ahnung hatten. Im Sehen, wie es der
Wissenschaft zukommt, ist im Gegensatz zum Sehen in der Kunst
ein stetiger Fortschritt unverkennbar.
Wenn ich nun zusammenfasse, so ergeben sich hauptsächlich folgende
zwei verschiedene Arten des bewußten Sehens, die ja gewiß abwechselnd
auch von einem allein geübt werden können, die aber gewöhnlich recht
scharf getrennt werden müssen.
Ob es sich um Natur oder Kunst handelt, der Unterschied zwischen
subjektivistischem und objektivistischem Sehen wird jederzeit klar.
Den subjektivistischen Blick haben wir uns von der Kindheit her
gerettet in unsere verschiedene Lebensberufe. Wir üben das subjektivistische
Sehen aus, wenn wir etwas zu unserer Unterhaltung anschauen. Beim
schaffenden Menschen, beim bildenden Künstler, den ich hervorhebe, wird
dieses Sehen geleitet, gelenkt von Vorstellungen aus der gewohnten Aus-
übung des Berufes. Motorische Vorstellungen aus dem Kunstschaffen
spielen mit.
Das objektivistische Sehen und nüchterne Untersuchen mit dem
Auge kommt der forschenden Wissenschaft zu. Es ist das eigentliche Sehen
in der Wissenschaft, dient auf allen möglichen Gebieten dem genauen Er-
kennen der Objekte, ob diese nun Naturprodukte oder Kunstwerke sind