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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Erstes Heft
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Walden, Herwarth: Grosses Theater: In vielen Kritikern
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0026

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auch der Epressionismus seinen Kotzebue
haben?“ Jedenfalls hat er nun seinen
Hoffmann. „Wenn sich die Tugend er-
bricht, hopst das Laster vergnügt über
frische Gräber.“ Dieses Zitat stammt nicht
von Walden oder Schiller, es ist Drang des
Bruders Hoffmann, seine Kritik, seine Dich-
tung, seine Weltweisheit. Sein Ernst. Man
soll diesen Ernst besser nicht komisch
nehmen, denn die Tugend, die sich er-
bricht, ist eine ernste Sache. Da muss
selbst das Laster darüber stolpern.
*
Bei diesem sittlichen Ernst geht der hier
nachgedruckte Stern des Bruders Hoffmann
auf und also spricht der Prophet in meiner
Wüste: „Triebe sind dazu da, sie zu be-
jahen, predigt Herwarth Walden. Und dazu,
dass man sie möglichst an der Oberfläche
verpuffen lasse; dass man Lebenskonjunktur
immer greife, wo sie sich am bequemsten
fassen lasse.“ Um Himmels Willen, jetzt
nimmt er mich ernst. Jetzt predige ich
sogar. Nämlich: Quatsch keine Opern.
Das kommt alles von dem verfluchten Ex-
pressionismus. Wenn ich wenigstens die
Triebe verneint hätte. Der Bruder Hoffmann
hält Trieb für eine Lebenskonjunktur. Und
er versäumt sie, trotz greifbarem, vorteil-
haftem Angebot, wo doch die Preise steigen.
Und ich Komiker predige, dass man die
Triebe an der Oberfläche verpuffen lassen
solle. Und er beweist mir den verpufften
Trieb wieder durch ein Zitat: „Du siehst
ziemlich schäbig aus, sagt die Dame mit
dem Reiherhut zu dem Leierkastenmann,
aber kein Mann kann mehr als der andere.
Und sie folgt ihm faute de mieux.“ Ja,
wenn sie den Doktor Hoffmann gekannt hätte,
wäre der Leierkastenmann leer abgezogen,
ich hätte das Drama Trieb und der Bruder
Hoffmann faute de mieux keine Kritik
schreiben brauchen. So wird die beste
Lebenskonjunktur verpufft. Faute de mieux,
das Wort steht im Konversationslexikon,
liebe Kinder, vergreift sich der Brüder
Hoffmann weiter: „Walden will die Bour-
geoisie vermöbeln. Nur vergreift er, ein
Macher in Oberfläche, sich dabei, und zerrt
an Dingen, die gebettet sind in der heiligen
Tiefe des Lebensstromes.“ Der Bruder
Hoffmann kann zwar keine Kritiken machen,
aber in Oberfläche zu machen, das wäre

ein Artikel, an dem jede Konjunktur ver-
pufft. Er ist ein Dichter, der Bruder
Hoffmann. Er spricht von gebetteten Dingen
in der heiligen Tiefe des Lebensstromes.
Das klingt poetischer als: quatsch keine
Opern. Und ich vergreife mich an ge-
betteten Dingen und vermöble faute de mieux
die Bourgeoisie. Er ist wirklich ein Macher
in Oberfläche, der Bruder Hoffmann. Ich
hingegen weiss nichts: „Was weiss er in
diesem Stück von Keuschheit und Unbe-
rührtheit? Was weiss er von zwei jungen
Menschen, die, jeder eine Welt in sich,
zittern und mit staunenden Seelen dastehen
vor dem Mysterium des Sichhingebens?“
Das ist nun wirklich komisch. Ich stelle
auch dem Bruder Hoffmann diese beiden
jungen Menschen hin und er fragt mich,
was ich davon weiss. Zwar weiss ich
nicht, ob der Doktor Hoffmann keusch und
unberührt isf, aber ich weiss, dass er Opern
quatscht: „Was weiss er von dem Besten,
das die abendländische Seele hatte, von
ihrer Verhaltenheit, von ihrem heroischen
Entschluss, den Leib daran zu setzen, um
mit dem Geiste die Unendlichkeit zu er-
reichen?“ Der letzte Besitzer dieser abend-
ländischenSeeleistderDoktorHoffmann. Ich
will mich aber nicht an ihr vergreifen, um
so weniger, als sie Kriegsberichterstattung
und Erotik verwechselt. Und glauben Sie
wirklich Herr Doktor Hoffmann, dass Sie mit
ihrem bischen Dresdener Geist der Unend-
lichkeit den Trieb aus Ihren lieben Kindern
entfernen können. Oder können Sie viel-
leicht nicht deutsch? Verwechseln Sie
vielleicht faute de mieux Trieb mit Erotik.
Wenn ich ihnen helfen wollte, könnte ich
vielleicht Trieb in Ihr geliebtes Deutsch
mit Instinkt übersetzen. Man kann sich
niemals nicht gebildet genug ausdrücken.
Sonst verhält sich die abendländische Seele,
von der ich nichts zu wissen brauche: „Er
braucht davon nichts zu wissen. Nein.
Man kann dann erst recht Operetten, Fa-
milienrührslücke und Simplicissimussatiren
schreiben. Man kann die hohle ängstliche
Schale des Bourgeois veralbern.“ Wenn mir
der Doktor Hoffmann verrät, wie man eine
ängstliche Schale veralbert, verpflichte ich
mich Operetten, Familienrührstücke und
Simplicissimussatiren zu schreiben. So bleibt
mir nur übrig, den eingebetteten Doktor Hoff-
mann zu vermöbeln. Hätte ich ihn früher

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