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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Sechstes Heft
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Walden, Herwarth: Unter den Sinnen, [2]: Dichtung zwischen Menschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0134

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Dass ich so mit mir sprechen lassen muss.
Und Deine Schwestern.
Ich habe nichts mehr mit meinen Schwestern
zu tun.
Und wirst Du schweigen.
Ihr habt mich oft genug geschlagen, weil
ich schweige.
Werde ich mich wirklich auf Dich verlassen
können.
Soweit ich mich auf Dich verlassen kann.
Das ist Erpressung.
Wer geschlagen wird, wehrt sich.
Du darfst nicht allzu schlimm von mir
denken, Friedel. Was hat man Dir von
mir erzählt.
Ich weiss nichts mehr.
Wollen wir nicht Deinen Plan noch einmal
vernünftig besprechen.
Wir sind doch einig.
Schliesslich istTänzerin ja nichts Schlimmes.
Tanz ist eben eine Kunst, wie, sagen wir,
Musik.
Nun gehe ich.
Willst Du nicht dabei sein, wenn ich Mutter
meinen Entschluss mitteile.
Ihr werdet Euch am besten allein verstän-
digen.
Sie sind viel zu alt, Tänzerin zu werden.
Ich bin Tänzerin.
Warum kommen Sie denn zu mir. Warum
halten Sie mich auf. Sie stellen sich die
Kunst etwas zu leicht vor, mein Fräulein.
Als ich durch die Strassen zu Ihnen ging,
tanzte ich. Schwebte ich. Ich beugte mich
vor dem Glanz Ihres Namens. Jetzt sitze
ich als armes Mädchen bei einem alten
Mann.
Sie sollten sich schämen. Ich habe mir
mein Leben und meine Kunst verdienen
müssen. Die Stunde kostet dreissig Mark.
Ich kann nicht jeden Backfisch umsonst
ausbilden, der sich zur Kunst berufen fühlt.
Sie hätten zehn Jahre früher kommen
müssen. Sie sind zu alt. Zu alt. Zu alt.
Ich empfehle mich.
Ich bin äusser mir;
Warum bist Du gekommen.
Vater hat den Verstand verloren. Wie kann
er hierzu seine Einwilligung geben. Wie
liederlich Dein Haar aussieht. Pack Deine
Sachen zusammen, wir fahren nach Haus.

Ich bleibe.
Du hast zu gehorchen.
Ich habe die Erlaubnis meines Vaters.
Dein Vater kann Dir keine hundert Mark
monatlich geben. Wir können doch Deinet-
wegen nicht verhungern. Zu Hause kostest
Du nichts. Wo fünf satt werden, kommen
auch sechs durch.
Ich verzichte auf jedes Geld,
Ich kenne Dich besser. Du willst Dich
herumtreiben. Das ist Dein ganzer Plan.
Die Schande will ich nicht überleben.
Ich bin müde, Mutter, lass mich.
Und ich mache bei dem Regen diesen weiten
Weg in die Stadt und Du bist müde.
Ich bin müde.
Ich habe Dein Bett heut neu bezogen. Wir
wollen den letzten Zug nicht versäumen.
Komm mein Kind in Güte.
Mutter, immer weiter soll ich mein Leben
versäumen.
Grossmutter hat Kuchen für Euch gebacken.
Sie warten alle auf Dich.
Mutter, warum kannst Du mich nicht lassen,
Weil Du mein liebes Kind bist, Friedel.
Du fühlst nicht, was ich möchte.
So sag es doch.
Das kann ich nicht sagen.
So denken alle jungen Mädchen in Deinem
Alter.
Nein Mutter.
Du willst immer eine Ausnahme sein.
Vielleicht bin ich zu alt für Dich.
Das ist wieder Deine Überhebung. Ich
werde Deinem hohen Flug nicht folgen
können.
Oder ich bin zu jung für mich, Mutter.
Mit Worten kannst Du mich nicht dumm
machen. Du bist eben nicht mit Güte zu
behandeln. Pack Deine Sachen. Komm.
Geh.
So sprichst Du zu Deiner Mutter.
Geh. Oder ich gehe.
Mir wird ganz dunkel vor den Augen.
Nun hast Du mich auch aus der Fremde
vertrieben.
Wohin gehst Du.
Wohin ich vertrieben werde.
Haben Sie sich verirrt, mein Fräulein.
Ich bin aus der Fremde vertrieben.
Ihre Füsse schweben.
Ich bin eine Tänzerin auf der Strasse.
Sind Sie nicht müde.

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