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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Siebentes Heft
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Blümner, Rudolf: Die absolute Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0153

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DER SrURM
MONATSSCHRIFT / HERAUSGEBER: HERWARTH WALDEN

Die absolute Dichtung
Es war meine Absicht, die Dichtung Ango
la’ina erst dann zu veröffentlichen, wenn ich
durch eine Aufführung ihr künstlerisches Ziel
vollkommen gezeigt hätte. Damit will ich zu
verstehen geben, dass diese Dichtung, ohne
des theatralischen Apparats zu bedürfen,
doch nur in ihrer Verklanglichung voll-
kommen aufgenommen werden kann. Man
irrt sich freilich, wenn man im Gegensatz
hierzu den Abdruck einer Dichtung in un-
serer deutschen Sprache für ein Vollkom-
menes ansieht. Wörter bestehen in Schrift
und Druck aus Buchstaben, und diese sind
ehemalige Bilder, gegenwärtige Zeichen für
Laute und Geräusche, die fast allen Men-
schen gemeinsam sind, von ihnen auf gleiche
Weise gebildet und gehört werden. Frei-
lich fehlt es nicht an Unterschieden, da
weder die Schriftzeichen unserer Sprache
noch anderer, soweit ich sie kenne, genügen,
um die vielfachen Arten in Tönen und Ge-
räuschen des menschlichen Sprechens an-
zudeuten. Gar keine Zeichen aber gibt es
für die menschliche Sprechmelodie, we-
nigstens keine allgemein üblichen und ver-
ständlichen. Jeder Mensch gibt den anein-
andergereihten Worten seine eigene Melodie
und legt sie im Stillen dem Gelesenen unter.
Es gibt kein Wort und keine Verbindung
von Wörtern, die ihre hörbare Melodie
in sich tragen. Wie ich in einer absoluten
Dichtung die Bildung vieler Vokale und
Konsonanten beabsichtige, lässt sich nur
in beschränktem Mass ausdrücken. Ob
ein Vokal kurz oder lang sei, kann ich
freilich durch die allgemein verständlichen
Zeichen erkennen lassen, wie auch die
Silbenbetonung durch die Akzentsetzung.
Beide zusammen scheinen mir ein
optisches Uebermass an Druckzeichen zu
enthalten, wodurch Lesen und Aufnahme

ungewohnter Wörter eher erschwert als
erleichtert würden. Will ich mich aber
beschränken, so wähle ich die Akzent-
setzung, weil die Silbenbetonung immerhin
eine annähernde Vorstellung des Metrums
gibt, das wiederum einer Aufnahme
des Bhythmischen zu Hilfe kommen soll.
Völlig verzichten muss ich jedoch auf irgend-
welche Andeutung des sprech melo-
d i s c h e n Bhythmus. Und man wird be-
greifen, warum dieser Mangel den Abdruck
einer absoluten Dichtung unvollkommener
lässt als den einer Dichtung, die aus be-
kannten Wörtern besteht und doch den
gleichen Mangel hat. Denn meine Dichtung
ist nicht nur zusammen mit der rhyth-
misierten Sprechmelodie entstanden, son-
dern, so merkwürdig das scheinen mag,
nach Entstehung von Sprechmelodie und
klanglichem Bhythmus. Ein Gefühlsinhalt,
der bereits seine Gestaltung durch rhyth-
misierte Sprechmelodie gefunden hatte, ver-
langte die Bereicherung durch die Verschie-
denartigkeit von Geräuschen und Tönen.
Der Gestaltungsprozess war etwa so, wie
wir ihn in August Stramms Dichtung: Die
Menschheit, lesen:
Mäuler
Gähnen
Gähnen klappen
Klappen schnappen
Schnappen
Laute
Laute Laute
Schüttern Ohren
Horchen Horchen
Schärfen Horchen
Schwingen Schreie
Töne Töne
Rufe Rufe
Klappen Klarren
Klirren Klingen

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