vorübergehen werde. Nachdem Sie aber
lange geglaubt und gehofft hatten, fingen
Sie an zu bemerken, dass in der europäischen
Malerei eine vollkommene Kunstwende ein-
getreten war. Ob diese Beobachtung Sie
veranlasst hat, ein Kunstblatt herauszugeben,
das sich besonders der neuen Kunst an-
nehmen sollte, ob Herr Kiepenheuer vor
Ihnen auf diesen Gedanken kam, das weiss
ich nicht. Was aber Herrn Kiepenheuer
veranlasst hat, für seinen Zier- und Gemüse-
garten einen Bock anzustellen, das weiss
auch der allwissende Gott nicht. Oder
wollen Sie mir sagen, woher es der All-
wissende wissen konnte, dass sich der Bock
in einen Gärtner verwandeln werde? In
einen schlechten Gärtner zwar, der Rosen
vom gemeinen Unkraut nicht unterscheiden
kann und den Mist mit Früchten verwechselt.
Aber mag es nun zugegangen sein, wie
immer, Sie trauten sich die Fähigkeit zu,
fortan für dieselbe Kunst einzutreten, gegen
die Sie vorher mit den abscheulichsten
Ausdrücken geschrieben hatten. Ich habe
in einem meiner früheren Briefe Ihnen be-
greiflich zu machen versucht, warum ein
Schriftsteller verpflichtet ist, es öffentlich
zu bekennen und zu begründen, wenn er
sich zu einem Wechsel seiner ebenso öffent-
lich geäusserten Ansichten getrieben sieht.
Dieses Bekenntnis und die Begründung sind
die Ehre des Schriftstellers und ganz be-
sonders des Kritikers. Sie haben den
Wechsel Ihres Urteils nicht bekannt und
nicht begründet und damit bewiesen, dass
Sie keine künstlerischen Gründe
hatten, für die neue Kunst einzutreten, wie
Sie früher auch keine Gründe, sondern nur
Spott gegen sie vorzubringen wussten.
Sie zogen es vor, den Anschein zu erwecken,
als wären Sie seit Beginn der neuen Kunst-
bewegung ihr anerkennender Kritiker, ihr
warmer Freund und Förderer gewesen.
Sie liessen es auch ruhig geschehen, dass
einige Einfaltspinsel Sie für alles das hielten.
Diese Lächerlichkeit konnte man sich grade
noch gefallen lassen. Es lag in dem ganzen
Vorgang etwas Natürliches. Die gesamte
deutsche Presse und insbesondere die Kunst-
kritik war seit Jahren darin einig, dass alle
Kunstwerke, die Der Sturm ausstellte, alle
Dichtungen, die Der Sturm veröffentlichte,
zwar nicht getadelt, aber verrissen
werden müssen. Nicht wahr, Herr West-
heim, darin wart Ihr alle einig, und es
hatte nicht einmal einer Vereinbarung be-
durft. Man war aus Instinkt einig, aus
Instinkt gegen das Neue und Grosse. Aber
das Neue hörte eines Tages auf, so ganz
neu zu sein, und da es gross und gewaltig
war, so errang es den Sieg über die
Menschen. Diesem Sieg mussten sich
schliesslich auch die Kunstrichter beugen.
Und was geschah nun? Gingen die alten
Sünder hin und bekannten, dass sie sich
in Herwarth Walden, dem Sturm, seiner
Kunst und seinen Künstlern fürchterlich
geirrt hatten? Nein, mein Herr, das taten
sie nicht. Sie haftens auch sozusagen nicht
mehr nötig. Es gab so viele Ausstellungen,
in denen dieses und jenes Stück von der
neuen Kunst zu sehen war, so viele Kunst-
handlungen, in denen Werke des Sturm
wie aus dem Schlamm auftauchten, dass
man sich zur neuen Kunst bekehren oder
wenigstens bekennen konnte, ohne über
Herwarth Walden und den Sturm ein
lobendes oder bereuendes Wort zu sagen.
Und dann gab es auch ein Kunstblatt. Und
weil es nicht im Verlag des Sturm erschien,
weil nicht Herwarth Walden derjenige war,
der all das verrückte Zeug abbildete, so
konnte man diese nickelnagelneue Kunst,
die da Herr Westheim mit feinem Spürsinn
entdeckt hatte, endlich mit Gottes Hilfe
loben. Wie ich Ihnen sagte, es war ein
höchst natürlicher unnatürlicher Vorgang.
Vielleicht dachten jene Narren, die Sie für
den Erfinder der neuen Kunst ausgaben,
es müssten doch wohl grosse Kunstwerke
sein, wenn ihr grimmigster Feind sich zu
ihnen bekehrt habe. Vielleicht dachten sie
auch gar nichts. Vielleicht wollten nur die
Krähen einer andern Krähe die Augen nicht
aushacken Es war so natürlich, dass man
über Sie sowohl wie über die Einfaltspinsel,
die Sie für den Entdecker des Kubismus
hielten, lächeln konnte. Und es war keine
Dreistigkeit, sondern etwas weniger, keine
Dummheit, sondern Ihr Verhängnis, dass
Sie rim Jahre 1918 im Dezemberheft des
Kunstblatts dieses schrieben:
„Das Erscheinen eines Buches Kunstwende
(im Verlag Der Sturm) gibt Adolf Beline
Anlass, sich in den Sozialistischen Monats-
heften auseinanderzusetzen mit den kleinen
Ablegern der Marc, Chagall, Archipenko,
Kandinsky, Klee, Feininger, dem, was man
133
lange geglaubt und gehofft hatten, fingen
Sie an zu bemerken, dass in der europäischen
Malerei eine vollkommene Kunstwende ein-
getreten war. Ob diese Beobachtung Sie
veranlasst hat, ein Kunstblatt herauszugeben,
das sich besonders der neuen Kunst an-
nehmen sollte, ob Herr Kiepenheuer vor
Ihnen auf diesen Gedanken kam, das weiss
ich nicht. Was aber Herrn Kiepenheuer
veranlasst hat, für seinen Zier- und Gemüse-
garten einen Bock anzustellen, das weiss
auch der allwissende Gott nicht. Oder
wollen Sie mir sagen, woher es der All-
wissende wissen konnte, dass sich der Bock
in einen Gärtner verwandeln werde? In
einen schlechten Gärtner zwar, der Rosen
vom gemeinen Unkraut nicht unterscheiden
kann und den Mist mit Früchten verwechselt.
Aber mag es nun zugegangen sein, wie
immer, Sie trauten sich die Fähigkeit zu,
fortan für dieselbe Kunst einzutreten, gegen
die Sie vorher mit den abscheulichsten
Ausdrücken geschrieben hatten. Ich habe
in einem meiner früheren Briefe Ihnen be-
greiflich zu machen versucht, warum ein
Schriftsteller verpflichtet ist, es öffentlich
zu bekennen und zu begründen, wenn er
sich zu einem Wechsel seiner ebenso öffent-
lich geäusserten Ansichten getrieben sieht.
Dieses Bekenntnis und die Begründung sind
die Ehre des Schriftstellers und ganz be-
sonders des Kritikers. Sie haben den
Wechsel Ihres Urteils nicht bekannt und
nicht begründet und damit bewiesen, dass
Sie keine künstlerischen Gründe
hatten, für die neue Kunst einzutreten, wie
Sie früher auch keine Gründe, sondern nur
Spott gegen sie vorzubringen wussten.
Sie zogen es vor, den Anschein zu erwecken,
als wären Sie seit Beginn der neuen Kunst-
bewegung ihr anerkennender Kritiker, ihr
warmer Freund und Förderer gewesen.
Sie liessen es auch ruhig geschehen, dass
einige Einfaltspinsel Sie für alles das hielten.
Diese Lächerlichkeit konnte man sich grade
noch gefallen lassen. Es lag in dem ganzen
Vorgang etwas Natürliches. Die gesamte
deutsche Presse und insbesondere die Kunst-
kritik war seit Jahren darin einig, dass alle
Kunstwerke, die Der Sturm ausstellte, alle
Dichtungen, die Der Sturm veröffentlichte,
zwar nicht getadelt, aber verrissen
werden müssen. Nicht wahr, Herr West-
heim, darin wart Ihr alle einig, und es
hatte nicht einmal einer Vereinbarung be-
durft. Man war aus Instinkt einig, aus
Instinkt gegen das Neue und Grosse. Aber
das Neue hörte eines Tages auf, so ganz
neu zu sein, und da es gross und gewaltig
war, so errang es den Sieg über die
Menschen. Diesem Sieg mussten sich
schliesslich auch die Kunstrichter beugen.
Und was geschah nun? Gingen die alten
Sünder hin und bekannten, dass sie sich
in Herwarth Walden, dem Sturm, seiner
Kunst und seinen Künstlern fürchterlich
geirrt hatten? Nein, mein Herr, das taten
sie nicht. Sie haftens auch sozusagen nicht
mehr nötig. Es gab so viele Ausstellungen,
in denen dieses und jenes Stück von der
neuen Kunst zu sehen war, so viele Kunst-
handlungen, in denen Werke des Sturm
wie aus dem Schlamm auftauchten, dass
man sich zur neuen Kunst bekehren oder
wenigstens bekennen konnte, ohne über
Herwarth Walden und den Sturm ein
lobendes oder bereuendes Wort zu sagen.
Und dann gab es auch ein Kunstblatt. Und
weil es nicht im Verlag des Sturm erschien,
weil nicht Herwarth Walden derjenige war,
der all das verrückte Zeug abbildete, so
konnte man diese nickelnagelneue Kunst,
die da Herr Westheim mit feinem Spürsinn
entdeckt hatte, endlich mit Gottes Hilfe
loben. Wie ich Ihnen sagte, es war ein
höchst natürlicher unnatürlicher Vorgang.
Vielleicht dachten jene Narren, die Sie für
den Erfinder der neuen Kunst ausgaben,
es müssten doch wohl grosse Kunstwerke
sein, wenn ihr grimmigster Feind sich zu
ihnen bekehrt habe. Vielleicht dachten sie
auch gar nichts. Vielleicht wollten nur die
Krähen einer andern Krähe die Augen nicht
aushacken Es war so natürlich, dass man
über Sie sowohl wie über die Einfaltspinsel,
die Sie für den Entdecker des Kubismus
hielten, lächeln konnte. Und es war keine
Dreistigkeit, sondern etwas weniger, keine
Dummheit, sondern Ihr Verhängnis, dass
Sie rim Jahre 1918 im Dezemberheft des
Kunstblatts dieses schrieben:
„Das Erscheinen eines Buches Kunstwende
(im Verlag Der Sturm) gibt Adolf Beline
Anlass, sich in den Sozialistischen Monats-
heften auseinanderzusetzen mit den kleinen
Ablegern der Marc, Chagall, Archipenko,
Kandinsky, Klee, Feininger, dem, was man
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