jetzt unter dem Schlagwort „Sturmkunst“
der Öffentlichkeit aufzupropagieren ver-
sucht.“
Sie haben sich später so gestellt, als wären
Sie, da Sie still für sich Ihre Förderung der
neuen Kunst betrieben, von Herwarth
Walden „angerempelt“ worden, womit Sie
ausdrücken wollten, Herwarth Walden
habe grundlos Händel mit Ihnen angefangen.
Nun sehen Sie, und andere sehen es auch,
dass Sie derjenige waren, der heraus-
forderte. Herr Behne hatte so etwas wie
eine Art von kleinem Recht, den Sturm
einmal „anzurempeln“. Er war bis dahin
so etwas wie ein Commilitone gewesen.
Er hatte von Anfang an als einer der
Wenigen mitgestritten und ausge-
halten, solange er noch jung war und Lust
hatte. Damals aber hatte ihn der Krieg
und ein erniedrigender militärischer Sub-
alterndienst zu einem grämlichen, ver-
drossenen Mann gemacht. Darum will ich
es nicht versuchen, ihn zu belehren, wie
sehr er sich kritisch täuschte, als er
glaubte, einige jüngere Künstler zu noch
höherem Ruhm einiger allgemein Aner-
kannter herabsetzen zu müssen. Das haben
die Verdrossenen zu allen Zeiten getan.
Er hat sich später einmal darüber lustig
gemacht, dass Der Sturm einige Zeichnungen
des begabten Karlsruher Malers Oskar
Fischer zeigte. Aber er hat später Gründe
gefunden, sich für Oskar Fischer so sehr
ins Zeug zu legen, dass er nun sogar dem
Sturm vorwarf, er nehme sich dieses jungen
Malers nicht genügend an. Herr Behne hat
diesen Wechsel seiner Anschauung vor-
genommen, ohne seinen Irrtum zu gestehen
oder gar zu begründen. Und das beweist,
dass selbst einem Mitstreiter in seiner Ver-
drossenheit so etwas passieren kann. Es
lässt auch vermuten, dass sein Pro und
Kontra locker sitzt. Er ist begeistert von
Kurt Schwitters. Aber auch von Herrn
Golyscheff. Er möchte gern, aber er will
nicht immer. Herr Behne also hat als ein
ehemaliger Commilitone den Sturm „ange-
rempelt“. Und eben weil es eine An-
rempelung war, hat man dieses burschikose
Betragen mit burschikosem Humor sich fürs
erste gefallen lassen. Wenn aber Sie, Herr
Westheim, der kein Mitstreiter, sondern ein
Widersacher war, glaubten, Sie könnten
sich auch einmal eine Anrempelung leisten,
so hatten Sie vergessen, dass Ihnen das
nicht billig ist, was Herrn Behne recht sein
mochte. Denn da hatten Sie sich eine
Kritik angemasst, zu der Sie vor der Öffent-
lichkeit und vor Ihrem Gewissen längst
jedes Recht verloren hatten. Und nun
wiederhole ich Ihnen, dass Walden bis zum
Dezember 1918 mit keinem Wort daran er-
innert hatte, wie aus einem ci-devant-Bock
durch eine mysteriöse Metamorphose ein
Gärtner geworden war. Da kam Ihre
Herausforderung. Der klassische Be-
schimpfer von Chagall, Archipenko, Kan-
dinsky, Klee, Feininger und vielen Anderen
hatte die Entdeckung gemacht, dass alle
diese Schmierfinken, diese Clowns und
Bluffer, diese Attraktionen dritten Grades
bereits ihre Ableger gefunden hätten. Es
war eine Herausforderung. Im Sturm
schändete man Ihre Heroen und Lieblinge,
indem man Künstler wie Muche, Topp,
Molzahn, Fischer und Schwitters ausstellte.
Ihr bewunderter Kandinsky wurde durch
Rudolf Bauer befleckt. Es war eine Heraus-
forderung. Sie glaubten wahrhaftig, Walden
habe vergessen, dass Sie sich vor Jahren ein
Monument kritischer Unfähigkeit gesetzt
hatten. Und so spielten Sie einmal
pompös den grossen expressionistischen
Entdecker und Förderer, so pompös, dass
Walden endlich von Ihrer Entdecker-
und Fördererpose genug gesehen hatte. Da
versetzte er Ihnen den ersten Schlag. Denn
wie sah der Entdecker und Förderer Chagalls
in Wahrheit aus? Wie sah der Mann aus,
der sich heute untersteht, über Kunst zu
urteilen? So, meine Zeitgenossen und
Nachfahren, urteilt
Westheim über Marc Chagall:
Da gebührt seinem Kumpan, dem Marc
Chagall, doch der Vorrang. Er schickt
drei Bilder nach Berlin, die gewidmet
sind: 1. Seiner Braut, 2. Christus, 3. Russ'
land, den Eseln und den Andern. Im
Interesse des guten Geschmackes, der
einer Malersbraut ja ohne weiteres zu
konzedieren ist, wollen wir nicht an'
nehmen, dass die gehörnte Bestie, die
oben zwischen ein paar Schenkeln empor'
taucht, ein Stück Selbsterkenntnis des so
freigebig widmenden Autors ist.
Haben Sie gelesen, Angeklagter, wollte sagen,
Herr Westheim? Geben Sie zu, diese Per-
U4
der Öffentlichkeit aufzupropagieren ver-
sucht.“
Sie haben sich später so gestellt, als wären
Sie, da Sie still für sich Ihre Förderung der
neuen Kunst betrieben, von Herwarth
Walden „angerempelt“ worden, womit Sie
ausdrücken wollten, Herwarth Walden
habe grundlos Händel mit Ihnen angefangen.
Nun sehen Sie, und andere sehen es auch,
dass Sie derjenige waren, der heraus-
forderte. Herr Behne hatte so etwas wie
eine Art von kleinem Recht, den Sturm
einmal „anzurempeln“. Er war bis dahin
so etwas wie ein Commilitone gewesen.
Er hatte von Anfang an als einer der
Wenigen mitgestritten und ausge-
halten, solange er noch jung war und Lust
hatte. Damals aber hatte ihn der Krieg
und ein erniedrigender militärischer Sub-
alterndienst zu einem grämlichen, ver-
drossenen Mann gemacht. Darum will ich
es nicht versuchen, ihn zu belehren, wie
sehr er sich kritisch täuschte, als er
glaubte, einige jüngere Künstler zu noch
höherem Ruhm einiger allgemein Aner-
kannter herabsetzen zu müssen. Das haben
die Verdrossenen zu allen Zeiten getan.
Er hat sich später einmal darüber lustig
gemacht, dass Der Sturm einige Zeichnungen
des begabten Karlsruher Malers Oskar
Fischer zeigte. Aber er hat später Gründe
gefunden, sich für Oskar Fischer so sehr
ins Zeug zu legen, dass er nun sogar dem
Sturm vorwarf, er nehme sich dieses jungen
Malers nicht genügend an. Herr Behne hat
diesen Wechsel seiner Anschauung vor-
genommen, ohne seinen Irrtum zu gestehen
oder gar zu begründen. Und das beweist,
dass selbst einem Mitstreiter in seiner Ver-
drossenheit so etwas passieren kann. Es
lässt auch vermuten, dass sein Pro und
Kontra locker sitzt. Er ist begeistert von
Kurt Schwitters. Aber auch von Herrn
Golyscheff. Er möchte gern, aber er will
nicht immer. Herr Behne also hat als ein
ehemaliger Commilitone den Sturm „ange-
rempelt“. Und eben weil es eine An-
rempelung war, hat man dieses burschikose
Betragen mit burschikosem Humor sich fürs
erste gefallen lassen. Wenn aber Sie, Herr
Westheim, der kein Mitstreiter, sondern ein
Widersacher war, glaubten, Sie könnten
sich auch einmal eine Anrempelung leisten,
so hatten Sie vergessen, dass Ihnen das
nicht billig ist, was Herrn Behne recht sein
mochte. Denn da hatten Sie sich eine
Kritik angemasst, zu der Sie vor der Öffent-
lichkeit und vor Ihrem Gewissen längst
jedes Recht verloren hatten. Und nun
wiederhole ich Ihnen, dass Walden bis zum
Dezember 1918 mit keinem Wort daran er-
innert hatte, wie aus einem ci-devant-Bock
durch eine mysteriöse Metamorphose ein
Gärtner geworden war. Da kam Ihre
Herausforderung. Der klassische Be-
schimpfer von Chagall, Archipenko, Kan-
dinsky, Klee, Feininger und vielen Anderen
hatte die Entdeckung gemacht, dass alle
diese Schmierfinken, diese Clowns und
Bluffer, diese Attraktionen dritten Grades
bereits ihre Ableger gefunden hätten. Es
war eine Herausforderung. Im Sturm
schändete man Ihre Heroen und Lieblinge,
indem man Künstler wie Muche, Topp,
Molzahn, Fischer und Schwitters ausstellte.
Ihr bewunderter Kandinsky wurde durch
Rudolf Bauer befleckt. Es war eine Heraus-
forderung. Sie glaubten wahrhaftig, Walden
habe vergessen, dass Sie sich vor Jahren ein
Monument kritischer Unfähigkeit gesetzt
hatten. Und so spielten Sie einmal
pompös den grossen expressionistischen
Entdecker und Förderer, so pompös, dass
Walden endlich von Ihrer Entdecker-
und Fördererpose genug gesehen hatte. Da
versetzte er Ihnen den ersten Schlag. Denn
wie sah der Entdecker und Förderer Chagalls
in Wahrheit aus? Wie sah der Mann aus,
der sich heute untersteht, über Kunst zu
urteilen? So, meine Zeitgenossen und
Nachfahren, urteilt
Westheim über Marc Chagall:
Da gebührt seinem Kumpan, dem Marc
Chagall, doch der Vorrang. Er schickt
drei Bilder nach Berlin, die gewidmet
sind: 1. Seiner Braut, 2. Christus, 3. Russ'
land, den Eseln und den Andern. Im
Interesse des guten Geschmackes, der
einer Malersbraut ja ohne weiteres zu
konzedieren ist, wollen wir nicht an'
nehmen, dass die gehörnte Bestie, die
oben zwischen ein paar Schenkeln empor'
taucht, ein Stück Selbsterkenntnis des so
freigebig widmenden Autors ist.
Haben Sie gelesen, Angeklagter, wollte sagen,
Herr Westheim? Geben Sie zu, diese Per-
U4