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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Siebentes Heft
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Blümner, Rudolf: Zur Geschichte des Sturm und des deutschen Journalismus, [10]: Briefe gegen Paul Westheim
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Inhalt
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0168

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beriefen Sie sich denn nicht auf Chagall?
Hatte sich der „Kumpan“ nicht ganz nett
entwickelt seit jenen Bildern, über die Sie
sich in Hohn und Spott tot gelacht haben?
Statt dessen radebrechen Sie was von einer
Entwicklung Kandinskys* Als ob Sie über
seine früheren Bilder geschimpft hät-
ten! Nein, Sie Schwerenöter, — über seine
letzten Bilder, über seine „sogenannten“
absoluten Malereien hatten Sie Ihre
Flüche ausgestossen. Reden Sie sich doch
nicht mit solchen Flausen heraus. Aber
freilich, ich wüsste selbst nichts, gar nichts,
was Sie zu Ihrer Rechtfertigung hätten vor-
bringen dürfen. Und da Sie in Ihrer Ver-
legenheit das Unglück hatten, sich auf
Kandinskys Malereien zu berufen, so muss-
ten Sie ihn obendrein nolens volens, das
heisst auf deutsch: ob Sie wollten oder
nicht, anerkennen oder gar loben. Aber
weil Sie das noch immer nicht verdaut
haben wollen, obgleich ich es Ihnen mit
Öl und mit Essig angemacht hatte, so will
ich es Ihnen noch einmal sagen und so oft
wiederholen, bis Sie es endlich begriffen
haben: Wollten Sie in dem verdrehtesten
Satz, den Sie je gedeichselt haben, Kandins-
ky nicht anerkennen, dann durften Sie
sich auf ihn nicht berufen. Haben Sie es
endlich verstanden? Aber wenn ich Ihre
überzwerchen Sätze auseinandernehme, dann
schreien Sie, ich hätte Gift gebraut. Ihnen
mags bitter schmecken und schlecht be-
kommen. Und natürlich wussten Sie selbst,
dass Ihre Rausredereien mit der Entwicklung
Kandinskys aus der Banalität heraus nichts
als faule Fische waren. Es musste etwas
anderes geschehen, das Sie zwar ebenso
wenig reinwaschen, dafür aber als Rache
genossen werden konnte. „Ich will es

Walden heimzahlen, dass er mir die Maske
des Gärtners vom Gesicht gerissen hat.“
So dachten Sie. Und Leute Ihrer Art waren
in solchen Fällen nie verlegen, wie sie
Rache nehmen werden. Sie setzen sich in
eine Retourkutsche oder behaupten, der an-
dere habe silberne Löffel gestohlen. Sie ent-
schlossen sich zu beidem. Und so schrieben
Sie zunächst einiges, um zu beweisen, dass
auch (auch ist ein lustiges Wort, nicht wahr,
Monsieur?) Walden nicht immer konsequent
gewesen sei. Auch er habe einmal — auch
er habe — hm, was schrieben Sie doch
gleich, Herr Westheim, — ah, eben fällts
mir ein, auch Walden habe einmal des
Abends vergessen, die Uhr aufzuziehen.
Nein, ich irre mich, es war nichts so
Schlimmes. Sie schrieben, er habe —
nun? — schrieben Sie nicht etwas von
einer gezähmten Taube oder von einem —
wie nennt man die Dinger? — dass ich
mich über einem so schlechten Gedächtnis
ertappen muss! Ich werde meine stock-
taube Muhme bitten, mir das Kunstblatt
zurückzugeben. In früheren Jahren las sie
abends vor dem Einschlafen gern eine
Stunde im Kochbuch. Seitdem sie so
schlecht hört, zieht sie es vor, im Kunst-
blatt zu lesen. Mein Wort, ich lasse mir
das Heft zurückgeben und dann sollen Sie
Ihre Antwort haben. Nur müssen Sie mich
nicht treiben. Es wird einen Kampf mit
der Muhme kosten. Und ich werde genötigt
sein, vorher über einiges andere mit Ihnen
abzurechnen. Denn ich erinnere mich sehr
gut, dass hinter der gezähmten Taube etwas
von silbernen Löffeln zu lesen war und
von „Künstlern, die dem Sturm entlaufen
sind“. Ich werde versuchen, es aus dem
Kopf wiederzugeben.
Rudolf Blümner

Inhalt

Rudolf Blümner: Die absolute Dichtung
Rudolf Blümner: Ango laina
Herwarth Walden: Unter den Sinnen / Eine Dichtung zwischen Menschen
Rudolf Blümner: Zur Geschichte des Sturm und des deutschen Journalismus / Briefe gegen
Paul Westheim / Zehnter Brief
Marc Chagall: Zeichnung
Willi Baumeister: Grosse und kleine Figur / Tondruck
Juli 1921

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