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Zeitschrift für christliche Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3822#0074

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115

1890.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

HG

haft wirkte. Bemerkenswerthe Leichensteine be-
gegnen uns noch in den Domen von Königs-
berg, Marienwerder, Frauenburg, in Braunsberg
(über dem Grabe des Bischofs Paul von Legen-
dorf), Dirschau, Pr. Stargard u. a. In der St. Ka-
tharinakirche zu Braunsberg fing man erst zu
Anfang des XVII. Jahrh. damit an, den Fufs-
boden mit Steinfliesen zu belegen, und man
wählte dazu die wegen ihrer bläulich-grauen
Färbung und Solidität sehr empfehlenswerthen
schwedischen Fliesen. Um einen acGuraten Belag
anlegen zu können, verpflichtete der Kirchen-
vorstand die Angehörigen der in den Gräbern
oder Grüften ruhenden Todten, die Grabsteine
zu entfernen und durch kleinere Fliesen von
vorgeschriebener Form und ohne Inschriften zu
ersetzen. Es scheint jedoch nicht gelungen zu
sein, diese Anordnung allgemein durchzuführen,
wie denn auch heute noch nicht weniger als
86 Grabsteine, darunter einige mittelalterliche
von ungewöhnlicher Gröfse, den Fufsboden der
Kirche bedecken. In den Landkirchen haben
sich die Ziegelsteine oder -Fliesen bis in unsere
Zeit erhalten.

Das Beigebrachte möge genügen, um uns
ein Bild von dem inneren Aussehen und der
inneren Ausstattung der Kirchen im Nordosten
Deutschlands zu geben. Ergänzt und vervoll-
ständigt mufs aber dieses Bild noch werden
durch eine Betrachtung der Ausstattung der
Altäre und des Reichthums der Sakristeien an
gottesdienstlichen Geräthen und Paramenten.

Wo nicht rohe Bilderstürmerei die mittel-
alterliche Ausstattung der Kirchen zerstörte,
hielt sich dieselbe im deutschen Nordosten noch
das ganze XVI. Jahrh. hindurch bis hinein in
das XVII. Erst zu Anfang des letztern fing
man auch in dem katholisch gebliebenen Erm-
lande an, die „veralteten" Altäre entweder ganz
zu entfernen und durch neue in dem „elegan-
ten" Renaissance-Stil zu ersetzen, oder doch,
unter Benutzung älterer Theile, nach den Ge-
setzen des neuen Stiles umzugestalten, d. h. um
eines oder zwei Stockwerke zu erhöhen und mit
allerlei schnörkelhaftem Schnitzwerk zu umgeben.
Ein sehr merkwürdiges Beispiel hierfür bietet
die Landkirche in Migehnen bei Wormditt, wo
der noch ganz erhaltene mittelalterliche Schnitz-
altar mit zwei Stockwerken im Stile des XVII.
Jahrh. überbaut ist. Man mufs oft scharf zu-

sehen, um an und in den Altären des XVII.
Jahrh. noch Reste mittelalterlicher Altarwerke
zu entdecken. So ist der Haupttheil des Hoch-
altars der Kirche von Stuhm ein alter Altar-
schrein, dessen Figuren verschwunden sind und
dessen Flügelbilder zur Verschalung der Rück-
seite des Altars verwendet wurden, welchem
Zwecke sie heute noch dienen. Solchen Um-
ständen haben wir die Erhaltung vieler gothi-
schen Altarstücke zu verdanken. Andere wur-
den, weil sie für die völlige Vernichtung noch
zu werthvoll erschienen, bei Seite geschoben
und an einer Wand oder irgendwo in einem
Nebenraum einstweilen aufgestellt, wo sie dann
häufig bis auf unsere Tage stehen geblieben sind.
Als bemerkenswerth für die Geschichte der
Altäre möge hier folgende Stelle aus dem Sy-
nodalrezefs des ermländischen Bischofs Simon
Rudnicki für das Kollegiatstift Gutstadt 1610
notiert sein: „So ist Eure Kirche ziemlich ge-
zihret und durch gutter hertze Zuthun die Altar ia
fein angerichtet, aber das grosze Altar (nämlich
ein gothischer Schnitzaltar) ver schöpfet fast allen
Schmuck undt Zierde der ganzen Kirche, dero-
wegen vermahnen wir Euch ganz väterlich, Ihr
wollet imgleichen dahin bedacht sein, wie Ihr
nach dem Exempel vieler anderen Städte dieses
unseres Bischofsthumes dasz Gotteshaus mit
einem neyen Altar möget schmücken und orniren".
Mit der Zerstörung der alten Altarwerke
hielten die Umformung des Kirchenmobilars,
der Fenster und die Antünchung der Wände
gleichen Schritt. Die alten Wandmalereien wur-
den, wo nicht weggehackt, doch mit einer dicken
Mörtelschicht überzogen, unter der sie vieler-
orts immer noch verborgen ruhen. Eine weifse
Kalktiinche machte die Wände heller und glän-
zender (nitidiores) — zur hohen Befriedigung
der modernen Visitatoren. Heller wurden auch
die Fenster, indem sie statt des gefärbten nun-
mehr weifses Glas erhielten. Nun erschien auch
ihre frühere Gröfse zwecklos. Gingen sie ehe-
mals sehr tief hinab, so konnten sie jetzt um
ein Drittel oder Viertel vermauert werden. Die
Chorfenster traf dasselbe Schicksal, da sie ohne-
hin durch die kolossalen Hochaltäre völlig ver-
deckt wurden. Dem neuen oder römischen Stil
wurden auch die Altarbekleidungen und litur-
gischen Gewänder „accommodirt".

Braunsberg. Dr. Di t tri eh.
 
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