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Zeitschrift für christliche Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3822#0094

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1890. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

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welches die Schwestern tragen; die Binden, in
welche man ihn gewickelt hatte, waren von grauer
Farbe" (Dial. VIII 3). „Derselben Christina zeigte
sich einmal Christus am Kreuz, und neben ihm
stand ein Greis, der aus einer Büchse, welche
er in der Hand hielt, die Wunden salbte" (Dial.
VIII 15). 3)

Am Feste Maria Himmelfahrt erblickte die-
selbe Christina in einer grofsartigen Vision,
welche sich auf die Glorie des Cisterzienser-
Ordens bezog, einen höchst kunstvollen Kron-
leuchter (Corona), „wie deren in den Kirchen
zu hängen pflegen". „An Stelle der Kugel be-
fand sich ein äufserst kostbarer, überhell leuch-
tender Edelstein, auf welchem geschrieben stand:
„O Clemens, opia, o dulcis Maria!" Von dem
Edelstein gingen drei kleine Arme aus, welche
den Kronleuchter hielten" (Dial. VII 21). Bei
diesem Kunstwerk denkt man unwillkürlich an
den berühmten Kronleuchter im Dom zu Hil-
desheim.

Eine andere begnadigte Jungfrau in Walber-
berg war Ricbmudis, die als Pensionärin dort
lebte. Während einer Verzückung „erblickte sie
den Heiland als Kind, in Tücher gehüllt und
in der Wiege liegend. Um ihn aber schwebte
ähnlich einem Regenbogen ein luftiger Bal-
dachin; zu beiden Seiten standen viele Engel,
welche mit erhobenen Händen das Kind an-
beteten und ihre Augen unverwandt auf dasselbe
gerichtet hielten" (Dial. VIII 7). Als Cäsarius,
welchem Richmudis dieses Gesicht mitgetheilt
hatte, sie frug, wie die Engel ausgesehen hätten,
antwortete sie: „Dieselben besitzen menschliche
Gestalt; ihr Antlitz ist denen von Jungfrauen
ähnlich; ihre Wangen gleichen rothen Rosen;
ihre; anderen Glieder übertreffen den Schnee an
Vv eifse."

„Besagte Richmudis", so hören wir ferner
luial. VIII 9), „gerieth einmal, wie ich glaube
am Tage der Passion, als sie durch Meditiren
über dieselbe höchst erschüttert war in Ver-
dickung und sah sich in ein weites winterliches
Haus versetzt. Darin erblickte sie den Heiland
halb nackt und als Gefangenen, umringt von
einer Menge Juden. Er stand da gesenkten
Blickes blofi in einen Rock gehüllt und ohne
Gürtel, die Hände herabhängend; der Rock aber
hatte eine gelbliche Farbe. In den verschie-
denen Winkeln und Ecken des Hauses standen

8) Joseph von Arimathia?

sie zu je zehn und zwölf wie die Störche4) bei-
sammen und verhandelten miteinander über den
Tod des Heilandes. Es war jenes Haus das
des Hohenpriesters, wo sich nach der Geschichte
das zugetragen hat, was dieser Magd Gottes
geistiger Weise gezeigt worden ist."

Glaubt man nicht bei dieser und den früheren
Visionen altdeutsche oder altitalienische Gemälde
vor sich zu sehen?

Eine ausgeführte Schilderung einer Geburt
Christi begegnet uns auch in der Vision eines
Mönchs der Abtei Himmerode (Dial. VIII 5):
„Siehe da, vor dem Mönch stand eine Frau von
erhabenem Gesichtsausdruck und einer unver-
gleichlichen Schönheit; sie hatte auf dem Arm
ein, wie es schien, eben zur Welt gekommenes
Knäblein, welches in so schlechte, jämmerliche
Windeln gehüllt war, dafs es den Mönch er-
barmte. Hinter ihr aber stand ein Greis in
Mantel und Rock mit einem nicht zugespitzten
Hute6) auf dem Kopf; Alles schien von weifser
und sauberer Wolle zu sein. Das Gesicht des
alten Mannes konnte jedoch der Mönch nicht
sehen, weil es durch den Hut verdeckt war. Er
sah ferner, wie jene Frau an der Seite eine
Spindel mit Faden hängen hatte; dafs er auch
einen Spinnrocken gesehen habe, erinnerte er
sich nicht mehr."

In einem weiteren Gesichte verwandter Art
erscheint die hl. Jungfrau more Judaico vclala
(Dial. VII 35).

Die mitgetheilten Beispiele dürften genügen,
um unseren Satz, Visionen könnten für Kunst-
geschichte nutzbar gmacbt werden, annehmbar
zu machen. Seher und Seherinnen jener wie
früherer und späterer Tage sind meistens dich-
terisch hochbegabt; nur war ihre dichterische
Begeisterung, wenn wir uns dieses etwas zwei-
deutigen Ausdrucks bedienen dürfen, eine höhere,
gesteigertere, als die des weltlichen Poeten: sie
ging in die Ekstase über. Bei Sehern wie bei
Dichtern kann sich die Phantasie verirren und
in's Ungeheuerliche ausschweifen, dem in der
Wirklichkeit nichts mehr entspricht, wie dies in

4) Cäsarius dachte hierbei wohl an die Ralhsver-
sammlungen der Störche vor ihrem Abzug. In meiner
Uebersetzung von Dial. VIII 9 in den niederrh. An-
nalen XLVII, S. 129 sind durch einen Schreibfehler
aus diesen Störchen Schwalben geworden, was zu ver-
bessern gebeten wird.

5) Pileus non acuminalus, also kein spitzer
Judenhut.
 
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