155
1890. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST
Nr. 5.
156
der Poesie der orientalischen Völker, nament-
lich der Hindu der Fall ist; aber es ist keine
Nothwendigkeit. In den Vorstellungen, welche
uns bei Cäsarius begegnet sind, liegt etwas Be-
stimmtes, Ruhiges, Klares in den Bildern selbst,
wie in der Art ihrer Mittheilung durch den Er-
zähler. Nicht ganz so verhält es sich mit den
Offenbarungen einer höchst liebenswürdigen und
geistvollen Seherin jener Tage, die für unsern
Zweck von Bedeutung ist. Mechthildis von
Hackeborn liebt es, ihre Symbolik vorzugsweise an
Kunstgegenstände zu knüpfen, aber in der Schil-
derung derselben geht sie häufig in's Phan-
tastische, Uebertriebene, der Wirklichkeit nicht
mehr Entsprechende über. Da treffen wir z. B.
einen Altar mit drei Stufen, einer goldenen
unten, einer blauen in der Mitte und einer
grünen zuoberst; wir lesen von überprächtigen,
mit allem möglichen edeln Gestein verzierten
Krystallthronen Christi und der hl. Jungfrau,
von einer Krone mit Menschenhäuptern daran.
Auch dürfte wohl kein Bild Maria vorhanden
sein, auf welchem diese allein an der rechten
Hand vier kostbare Fingerringe mit Edelsteinen
trägt.6) Anders verhält es sich mit einer Krone
derselben, die als Kranz gebildet ist mit rothen,
weifsen und goldenen Knospen, welche je zu
dreien verbunden sind.7) Die von Mechthild
erwähnten Speere mit goldenem Glöckchen daran,
eine Art der Verzierung, welche Alwin Schultz
»Höfisches Leben« II 23, bezweifelt, werden
durch Ulrich von Liechtenstein bestätigt, in
dessen Frauendienst 209 es heifst:
Er fuorl ein sper in siner hant,
Daz man vil wol gekleidet vant;
Daran vil kleiner Schellen hie
Gestreut vil schöne dort unt hie.
Die Freude der mittelalterlichen vornehmen
Welt an Kling und Klang würde an sich schon für
die Existenz solcher Speerverzierung sprechen.
6) Schwebte der Seherin wohl eine mit Schmuck-
gegensländen verzierte Marienstatue vor?
[Heiligenfiguren mit Fingerringen kommen im
Mittelalter ausnahmsweise vor, besonders in der Ge-
stalt von metallischen Armreliquiaren, deren meistens
in natürlicher Gröfse gebildeten Fingern mehrere kost-
bare Ringe als Schmuck angestreift sind.] D. H.
") In der Vision bei Cäsarius (Dial. VII 35) wird
der hl. Jungfrau eine Corona divtrsorum colortim zuge-
schrieben.
Wer sich die Mühe geben wollte und könnte,
die unendliche Fülle von Offenbarungen und
Visionen, welche uns aus dem Mittelalter er-
halten ist, durchzugehen und auf unseren Ge-
danken zu prüfen, würde auch nach einer andern
Seite hin eine schöne Ernte heimbringen — wir
meinen die kulturgeschichtliche Seite. Der Ein-
sender dieser Zeilen mufste unlängst um eines
andern Zweckes willen einige Bände der Acta
Sanctorum Antv. durchgehen und das Neben-
ergebnifs dieses Studiums war ein hübscher Vor-
rath kulturgeschichtlicher, zum Theil auf das ge-
wöhnliche Leben und Treiben des Volkes be-
züglicher Notizen, die nicht blofs in den Vitis,
sondern auch in Visionen und Offenbarungen
sich vorfanden. 8)
Kommen wir jedoch nach dieser Neben-
bemerkung auf unsern Hauptgegenstand zurück.
Wir stellen unsern Satz vorläufig noch mit
einem Fragezeichen auf; weitere Erörterungen
von Seiten der Sachverständigen, namentlich der
Kunsthistoriker werden ergeben, ob wir jenes
Fragezeichen tilgen und mit Bestimmtheit be-
haupten dürfen: Gesichte und Offenbarungen
können für Kunstgeschichte nutzbar gemacht
werden.
Wertheim. Alex. Kaufmann.
s) Selbst die erhabene Seherin vom Rupertsberg,
die hl. Hildegard, liefert in ihren Offenbarungen Züge
aus dem täglichen und gewöhnlichen Leben ihrer Zeit-
genossen. So schildert sie einmal eingehend die Art
und Weise, wie man es anzustellen hat, wenn man
einen Garten anlegen will, eine Stelle, welche für die
Geschichte des mittelalterlichen Gartenbaues von Be-
deutung ist, und ich bedaure, sie noch nicht gekannt
zu haben, als ich in Pick's »Monatsschrift für die Ge-
schichte etc. Westdeutschlands« Bd. VII (1881) meinen
Vortrag über den Gartenbau im Mittelalter veröffent-
lichte. Bei Schmelzeis »Leben und Wirken der
hl. Hildegardis« findet sich diese Stelle S. 333/3:-«.
Ein anderes Mal spricht sie von jenen thörichten
Ackersleuten, die, wenn sie ihren Pflug von selbst
gerade gehen sehen, ihre Freude daran haben, wenn
er aber tief einschneidet, Verdrufs darüber empfinden,
a. a. O. 240. Mechthildis braucht einmal das Bild
von einem Wirth, der auf die Ankunft eines Gastes
wartet und immer vor der Thüre steht oder zum
Fenster hinausschaut, ob er den ersehnten nicht irgend-
wo erblicken kann. So begegnen uns oft in den er.
habensten Visionen Vorstellungen aus täglichem Thun
und Treiben der nächsten Umgebung. Vereinzelt
sind solche Züge aus dem Leben von keiner
Bedeutung; in Fülle gesammelt würden sie
Bedeutung gewinnen.
1890. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST
Nr. 5.
156
der Poesie der orientalischen Völker, nament-
lich der Hindu der Fall ist; aber es ist keine
Nothwendigkeit. In den Vorstellungen, welche
uns bei Cäsarius begegnet sind, liegt etwas Be-
stimmtes, Ruhiges, Klares in den Bildern selbst,
wie in der Art ihrer Mittheilung durch den Er-
zähler. Nicht ganz so verhält es sich mit den
Offenbarungen einer höchst liebenswürdigen und
geistvollen Seherin jener Tage, die für unsern
Zweck von Bedeutung ist. Mechthildis von
Hackeborn liebt es, ihre Symbolik vorzugsweise an
Kunstgegenstände zu knüpfen, aber in der Schil-
derung derselben geht sie häufig in's Phan-
tastische, Uebertriebene, der Wirklichkeit nicht
mehr Entsprechende über. Da treffen wir z. B.
einen Altar mit drei Stufen, einer goldenen
unten, einer blauen in der Mitte und einer
grünen zuoberst; wir lesen von überprächtigen,
mit allem möglichen edeln Gestein verzierten
Krystallthronen Christi und der hl. Jungfrau,
von einer Krone mit Menschenhäuptern daran.
Auch dürfte wohl kein Bild Maria vorhanden
sein, auf welchem diese allein an der rechten
Hand vier kostbare Fingerringe mit Edelsteinen
trägt.6) Anders verhält es sich mit einer Krone
derselben, die als Kranz gebildet ist mit rothen,
weifsen und goldenen Knospen, welche je zu
dreien verbunden sind.7) Die von Mechthild
erwähnten Speere mit goldenem Glöckchen daran,
eine Art der Verzierung, welche Alwin Schultz
»Höfisches Leben« II 23, bezweifelt, werden
durch Ulrich von Liechtenstein bestätigt, in
dessen Frauendienst 209 es heifst:
Er fuorl ein sper in siner hant,
Daz man vil wol gekleidet vant;
Daran vil kleiner Schellen hie
Gestreut vil schöne dort unt hie.
Die Freude der mittelalterlichen vornehmen
Welt an Kling und Klang würde an sich schon für
die Existenz solcher Speerverzierung sprechen.
6) Schwebte der Seherin wohl eine mit Schmuck-
gegensländen verzierte Marienstatue vor?
[Heiligenfiguren mit Fingerringen kommen im
Mittelalter ausnahmsweise vor, besonders in der Ge-
stalt von metallischen Armreliquiaren, deren meistens
in natürlicher Gröfse gebildeten Fingern mehrere kost-
bare Ringe als Schmuck angestreift sind.] D. H.
") In der Vision bei Cäsarius (Dial. VII 35) wird
der hl. Jungfrau eine Corona divtrsorum colortim zuge-
schrieben.
Wer sich die Mühe geben wollte und könnte,
die unendliche Fülle von Offenbarungen und
Visionen, welche uns aus dem Mittelalter er-
halten ist, durchzugehen und auf unseren Ge-
danken zu prüfen, würde auch nach einer andern
Seite hin eine schöne Ernte heimbringen — wir
meinen die kulturgeschichtliche Seite. Der Ein-
sender dieser Zeilen mufste unlängst um eines
andern Zweckes willen einige Bände der Acta
Sanctorum Antv. durchgehen und das Neben-
ergebnifs dieses Studiums war ein hübscher Vor-
rath kulturgeschichtlicher, zum Theil auf das ge-
wöhnliche Leben und Treiben des Volkes be-
züglicher Notizen, die nicht blofs in den Vitis,
sondern auch in Visionen und Offenbarungen
sich vorfanden. 8)
Kommen wir jedoch nach dieser Neben-
bemerkung auf unsern Hauptgegenstand zurück.
Wir stellen unsern Satz vorläufig noch mit
einem Fragezeichen auf; weitere Erörterungen
von Seiten der Sachverständigen, namentlich der
Kunsthistoriker werden ergeben, ob wir jenes
Fragezeichen tilgen und mit Bestimmtheit be-
haupten dürfen: Gesichte und Offenbarungen
können für Kunstgeschichte nutzbar gemacht
werden.
Wertheim. Alex. Kaufmann.
s) Selbst die erhabene Seherin vom Rupertsberg,
die hl. Hildegard, liefert in ihren Offenbarungen Züge
aus dem täglichen und gewöhnlichen Leben ihrer Zeit-
genossen. So schildert sie einmal eingehend die Art
und Weise, wie man es anzustellen hat, wenn man
einen Garten anlegen will, eine Stelle, welche für die
Geschichte des mittelalterlichen Gartenbaues von Be-
deutung ist, und ich bedaure, sie noch nicht gekannt
zu haben, als ich in Pick's »Monatsschrift für die Ge-
schichte etc. Westdeutschlands« Bd. VII (1881) meinen
Vortrag über den Gartenbau im Mittelalter veröffent-
lichte. Bei Schmelzeis »Leben und Wirken der
hl. Hildegardis« findet sich diese Stelle S. 333/3:-«.
Ein anderes Mal spricht sie von jenen thörichten
Ackersleuten, die, wenn sie ihren Pflug von selbst
gerade gehen sehen, ihre Freude daran haben, wenn
er aber tief einschneidet, Verdrufs darüber empfinden,
a. a. O. 240. Mechthildis braucht einmal das Bild
von einem Wirth, der auf die Ankunft eines Gastes
wartet und immer vor der Thüre steht oder zum
Fenster hinausschaut, ob er den ersehnten nicht irgend-
wo erblicken kann. So begegnen uns oft in den er.
habensten Visionen Vorstellungen aus täglichem Thun
und Treiben der nächsten Umgebung. Vereinzelt
sind solche Züge aus dem Leben von keiner
Bedeutung; in Fülle gesammelt würden sie
Bedeutung gewinnen.