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Zeitschrift für christliche Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3822#0149

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257

1890. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

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Seite des Bauwesens ist keineswegs erfreulich:
man sehe sich in den Städten die uniformirten
Häuserreihen, auf dem Lande das moderne
Bauernhaus an. Ist nicht besonders das Letztere
ein Urbild von Nüchternheit und Geschmack-
losigkeit geworden? Mufs es einem nicht im
Herzen wehe thun, wenn man auf's Land
hinausgeht und jene schönen, malerischen fach-
werkgebauten Giebelhäuser immer mehr ver-
schwinden sieht, welche, jedes eigenartig, ob
reich mit Erkern und Altanen, oder einfach
unter Strohdach, den Landstädten und Dörfern
ein so reizendes Gepräge geben, während an
ihrer Stelle die nüchternsten modernen vier-
eckigen Kasten sich breit machen ? Es ist wirk-
lich ein Jammer um diesen nüchternen Sinn
heutzutage auf dem Lande; wieviel ist demselben
schon zum Opfer gefallen und mufs ihm Tag für
Tag noch erliegen! Die alten Städtchen verlieren
ihren Charakter mehr und mehr, die alten Thürme
und Mauern werden unbarmherzig geschleift, die
altehrwürdigen Fachwerkhäuser niedergerissen
und durch Backsteinkasten ersetzt; fürwahr, die
Zeit liegt nicht mehr fern, wo unter der Herr-
schaft des Backsteines und mit Befolgung des
überall sich breit machenden Stichwortes „Licht
und Luft" Alles nivellirt, Alles: Häuser, Strafsen,
Plätze, viereckig uniformirt sein wird. Dann wird
ein Städtchen dem anderen, ein Dorf dem anderen
gleichen wie ein Ei dem anderen und nur die
Anzahl der Fabrikschlote und ein mehr oder
minder hoher Kirchthurm werden die alleinigen
äufseren Kennzeichen für die Ortschaften ab-
geben! Die Hauptschuld daran trägt, wenn
auch indirekt, der Backstein. Fast allenthalben,
wohin derselbe nicht vorgedrungen ist, hat sich
noch eine gute alte Tradition des Fachwerk-
und Bruchsteinbaues erhalten — leider werden
diese Gegenden immer seltener —, während
da, wo er herrscht, Alles die nüchternste Prosa
athmet. Wieviel schöner und auch monumen-
taler wirkt ein mit Verständnifs ausgeführtes
Bruchstein-Mauerwerk, als die eintönig liniirte
Fläche der Backsteinmauer. Allerdings erfordert
das erstere mehr Fleifs und Sorgfalt, und der
Maurer mufs ganz besonders darauf eingearbeitet
sein; das zu lernen halten die Leute aber dort,
wo der bequemer und leichter zu hantirende
Backstein seinen Einzug gehalten hat, meistens
nicht mehr der Mühe werth. Man wende zu
dessen Gunsten nicht ein, er gebe trockeneres
Mauerwerk, als der Bruchstein, das hängt ganz

von der Beschaffenheit des einen und des anderen
ab: ein poröser Backstein nimmt ebenso sehr
die Feuchtigkeit an, wie ein solcher Bruchstein,
und umgekehrt nimmt ein dichter Bruchstein
ebensowenig Feuchtigkeit an, wie ein gut ge-
brannter dichter Backstein. Man beachte bei
den Bruchsteinen nur, dafs sie zeitig gebrochen
und nicht vermauert werden, solange sie noch
Bergfeuchtigkeit enthalten. Dafs der Bruch-
steinbau dort, wo die Steine zu Hause sind,
ungleich billiger ist, als der Backsteinbau, will
ich nur vorübergehend erwähnen.

Der Stil der vorgeführten Skizzen ist der
gothische vom Anfange des XV. Jahrh. Es ist
nicht nur Vorliebe für diese Stilrichtung, wenn
ich dieselbe für die geeignetste halte, sowohl für
die einfachen Kirchen wie für unsere Kirchen-
bauten überhaupt, es ist vielmehr gewifs, dafs
keine gothische Zeit so mannigfaltig, so leicht
und frei in ihrer Formgebung war, keine Stil-
richtung einen für Deutschland so eigenartig und
prägnant ausgebildeten Charakter trägt, keine
sich unseren Bedürfnissen und Anschauungen
besser anpafst, als die Stilrichtung dieser Zeit.
Leider wird das von den meisten Architekten
verkannt oder übersehen; denn wir haben selbst
unter den deutschen Gothikern nur wenige,
welche in diesem Stile zu Hause sind. Die
meisten haben sich mehr oder weniger von dem
Werke Viollet-le-Duc's beeinflussen lassen und
thun das noch heute. Es bedarf keiner Er-
wähnung, dafs ich dieses vortreffliche und für
die französische Kunstgeschichte so verdienst-
volle Werk nach Gebühr schätze; der neuen
deutschen gothischen Richtung war dasselbe
aber in nicht günstigem Sinne verhängnifsvoll;
denn es entfremdete unsere Architekten dem
vaterländischen Stil und brachte ihnen dafür
die frühfranzösischen Formen, welche in der
Art, wie sie auf unsere Verhältnisse übertragen
werden, selten befriedigen. Diese reizenden Dar-
stellungen der herrlichsten Werke sind nament-
lich für die jüngeren Architekten zu verführerisch,
und es ist bequemer, denselben die Motive für
neue Entwürfe zu entnehmen, als die vater-
ländischen Baudenkmäler von Land zu Land,
von Stadt zu Stadt zu besuchen und zu studiren.
Dafs ich nicht übertreibe, davon habe ich vor
Kurzem wieder einen Beweis in der Ausstellung
von Konkurrenz-Entwürfen zu einer Kirche ge-
sehen, in welcher, obschon der Baustil den Kon-
kurrenten vollkommen freigegeben, nur 3 oder 4
 
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