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Zeitschrift für christliche Kunst — 14.1901

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Semper, Hans: Eine venetianische Holztafel mit Beinreliefs im Kensington-Museum, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4055#0040

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1901. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

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thik zur Renaissance in derselben Weise pro-
filirte Spiralsäulenstämme vor, wie sie unsere
Tafel zeigt, so an dem schon genannten Haupt-
portal von Giovanni e Paolo, sowie am
Portal von S. Maria in Orto,20) ferner als Ein-
fassung der Nischen an der Porta della Carta.

Das Vorkommen ähnlicher spiral-
förmig cannellirter Stämme auf unserer
Relieftafel ist also noch kein Beweis
für deren romanische Entstehungszeit,
sondern kann ebenso gut auf die go-
thische, ja auf di e Uebergangszeit zur
Rennaissance hinweisen.

Ebenso läfst sich auch das Vorkommen
von st rickartiggedrehtenRund Stäben,
wie sie die Archivolten an unserer Relieftafel
einfassen, an italienischen Bauwerken der Spät-
gothik des XV. Jahrh. nachweisen.

Wir begnügen uns mit einigen Beispielen
aus Venedig, indem wir nochmals auf die
Mittelloggia des Palastes Chiaralba21) zu Vene-
dig hinweisen, wo wir am Gesims der Balkon-
brüstung unmittelbar über den Ballustern ein
solches Ornament finden. Ebenso ist das Portal
zum Vorhof von S. Zaccaria sowie das nörd-
liche Seitenportal der Frari, mit einem solchen
Rundstab eingefafst, beide stammen vom An-
fang des XV. Jahrh.

Das Nämliche gilt vom Doppelzahn-
schnitt. So frühe derselbe in Venedig
auch vorkommt, so lange erhält er sich
daselbst als besonders beliebtes Or-
nament der Gothik und des Ueber-
gangsstiles zur Einfassung und Ab-
g renzung.

Wir weisen diesbezüglich auf die bereits an-
geführten Beispiele venetianischer Bauwerke hin,
wie den Palazzo Chiaralba, wo die Fenster-
gruppe der Loggia, ebensowie die Seitenfenster
von aus solchem Doppelzahnschnitt gebildeten
Vierecken umrahmt sind. Dieselben Umrah-
mungen zeigen auch die Loggien und Fenster
des Palazzo Cavalli (Herzog von Bordeaux) so-
wie zahlreiche andere spätgothische Paläste
Vened.gs. Ebenso ist das Hofportal von S Zac-
caria, sowie das Portal von S. Maria dell'orto
umrahmt. An dem spitzbogigen Thoroberlicht
eines Hauses am Campo S. Paolo ist ein die
Archivolte umziehender Thierfries an beiden

2°) Phot Naya 7, 113.
21) Phot.

Rändern von einem solchen Doppelzahnschnitt
eingerahmt.

In derselben Weise sehen wir dieses Orna-
ment auch an unserer Relieftafel angewendet.

Das eben angeführte Oberlicht von Campo
S. Paolo zeigt uns aber auch an dem Thier-
fries ganz ähnlich heraldisch behan-
delte Thiere, wie wir sie in den Medaillons
unserer Tafel sehen. Andererseits sind die
Rundmedaillons, welche mit strickför-
migen Rundstäben eingefafst sind —
wie auf unserer Tafel — ein Lieblingsmotiv
der gothischen Paläste Venedigs, wie
wir an der Ca' d'oro, sowie an dem rechts vom
Palazzo Cavalli befindlichen Palast ersehen
können.

Wenn auch schon in dieser Zeit als Füllungen
solcher Medaillons die farbigen gewölbten Stein-
einlagen aufkommen, welche dann von den
„Lombardi" in Venedig fast zu Tode gehetzt wer-
den, so schliefst dies doch nicht aus, dafs nicht
auch noch in gothischer Zeit (im XIV. und
Anfang des XV. Jahrh.) Reliefdarstellungen, sei
es von Thieren oder anderen Figuren als Fül-
lungen solcher Medaillons in Verwendung
kamen.

Auch die Thiermedaillons an unserer
Tafel können also nicht als unbedingter Be-
weis dafür gelten, dafs unsere Relieftafel aus
der byzantino-romanischen Periode stammen
müsse, da wenigstens die einzelnen Bestand-
theile dieses Motives noch unverändert auch
in der venetianischen Gothik, bis ins XV. Jahrh.
hinein, vorkommen.

Es bleibt also nur noch die rundbogige
Form der Arkaden an unserer Relieftafel
übrig, welche gegen deren Entstehung in der
gothischen Aera zu sprechen scheint.

Allein dagegen ist einzuwenden, dafs der
Rundbogen in Italien auch während der Herr-
schaft des Spitzbogens nie ganz verschwunden
ist, sondern dafs er vielmehr durch eine un-
unterbrochene Ueberlieferung aus der roma-
nischen durch die gothische Periode hindurch
bis zur Renaissance sich forterhalten hat, wenn
auch zeitweise nur vereinzelt und nebenher.

Wenn dies schon in Bezug auf die pisa-
nischen und florentinischen Bildhauer- und Ar-
chitektenschulen des XIII. und |[XIV. Jahrh.,
eine allgemein bekannte Thatsache ist, die
hier keines näheren Nachweises bedarf, so
läfst sich ein verwandtes Verhältnifs auch in
 
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