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Zeitschrift für christliche Kunst — 14.1901

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Effmann, Wilhelm: Kruzifixus, Christus- und Engelsdarstellungen am Werdener Reliquienkasten
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https://doi.org/10.11588/diglit.4055#0199

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301

1901.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 10.

302

Kopie des Lanzenträgers beschränken müssen.
Dafs aber auf dem verlorenen Kreuztheile
ein Gegenbild, also der Kriegsknecht mit dem
Schwämme sich befand, kann, auch abge-
sehen von der sich überall dokumentiren-
den, auf das strengste durchgeführten Sym-
metrie, keinem Zweifel unterliegen. Das, was
an Resten auf dem senkrechten Kreuzbal-
ken erhalten geblieben ist, weist auch dar-
auf hin. Wie auf der linken Seite eine Stand-
fläche geschaffen ist, auf der der Kriegsknecht
aufsteht, so zeigt sich auch zur rechten auf
dem Mittelstück die gleiche Anordnung. Ferner
hat sich zu der Lanzenspitze auf der linken
Seite des Mittelbildes hier ein Gegen-
stück erhalten, das nur einer Figur
als Zuthat angehört haben kann:
es ist ein der Lanzenspitze ähn-
liches, nur etwas
spitzer gestaltetes

mag, auf die Darstellung eines Hyssopstengels
beschränkt.

Das Kreuzigungsbild, wie es hier in der
Fig. 4 wiederhergestellt ist, zeigt den angel-
sächsischen Typus, wie er seit dem VI. Jahrh.
sich ausgebildet hat. Gleich dem irischen bil-
det derselbe eine Abart des lateinischen Kreuzi-
gungstypus, der, im Gegensatze zu dem byzanit-
nischen, den Heiland sterbend darstellenden
Stil, diesen lebend an's Kreuz heftet. Als „Fürst
der Menschheit" wird er dargestellt, „derHelden-
jüngling, der Herr, der Allmächtige, der stark-
müthig und ernst die Richtstätte besteigt, er,
der Menschheit Retter." In diesen Worten
des Hochgesangs, den der angelsächsische

V^^JSt^Bt J Dichter in jenem dem Kaedmon zuge-

schriebenen Traumgesicht vom heiligen
Kreuze angestimmt hat,11) ist das Pro-
gramm der Kruzifix-
Darstellung für diese
Zeit und diese Rich-
tung enthalten; „der

Fig. 3. Christus. Fig. 4. Kruzifixus. (Halbe

Gebilde. Mit einem Schwämme hat dasselbe
allerdings keine sonderliche Aehnlichkeit; wir
wissen aber nicht, wie die Fortsetzung auf dem ver-
orenen Kreuzstück gewesen ist. In der Stelle
bei Johannes heifst es bekanntlich, dafs die
Schergen den in Essig getauchten Schwamm
um einen Hyssopstengel herumgelegt haben.10)
Die üblich gewordene Anordnung, wobei der
Schwamm aufgesteckt erscheint, ist von dem
Bildner offenbar nicht gewählt worden; er hat
das Herumlegen entweder in der Weise zur
Darstellung gebracht, dafs der Stock noch über
den Schwamm hervorragte, oder er hat sich,
was allerdings weniger wahrscheinlich sein

natürliche Gröfse.)

Fig. 5. Engel.

10) Johannes 19, 29: Uli autem spongiam plenam
aecto, hyssopo circumponenles, obtulerunt ort ejus.

Typus derselben ist der des idealen sieg-
haften Heldenjünglings, wie ihn die jugendliche
Phantasie der Germanen sich als geistigen
Heerführer vorstellt."12) Diesem Typus ent-
spricht das Werdener Bildwerk, mag seine
Ausführung auch roh sein, wie so manche an-
dere Werke der irisch-angelsächsischen Kunst.18;

n) Vgl. Kraus »Geschichte der christlichen Kunst»
1. Bd., (Freiburg i. B. 1895) S. 614.

12) Kraus a. a. O. 2. Bd. (1897) S. 319.

13) Ein Gebilde besonders abschreckender Art zeigt
die bekannte St. Galler Miniatur. Vielfach abgebildet,
so bei Stockbaur »Kunstgeschichte des Kreuzes«
(Schaffhausen 1870) S. 19«, Rahn »Geschichte der
bildenden Künste in der Schweiz« (Zürich 1876 S.128),
Forrer und Müller, »Kreuz und Kreuzigung Christi
in ihrer Kunstentwicklung« (1894) Taf. IV Fig. 6 und
Kraus a. a. O. 1. Bd., S. 619).
 
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