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Zeitschrift für christliche Kunst — 14.1901

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Effmann, Wilhelm: Kruzifixus, Christus- und Engelsdarstellungen am Werdener Reliquienkasten
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https://doi.org/10.11588/diglit.4055#0200

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303

1901.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 10.

304

Als König bezeichnet die Inschrift auf dem
Kreuznimbus den Heiland, der mit weit ge-
öffneten Augen dasteht, aber nicht nur diese
Inschrift kennzeichnet ihn als den Herrscher.
Wie der Kriegsknecht anbetend sich demüthig
vor ihm neigt, so erkennt in ihm auch alle
Kreatur den Herrn, die Drachen zu seinen
Füfsen, die Fische zu seinen Seiten, die Greife
zu seinen Häupten. Wenn bei ihrer An-
bringung auch sicher die nordische Art der
ornamentalen Füllung aller leeren Flächen be-
stimmend mitgewirkt hat, so legt sich anderer-
seits aber auch der Gedanke nahe, dafs in
diesen Thiergebilden zugleich die Repräsen-
tanten der am Tode des Herrn theilnehmenden
Elemente, die Personifikationen von Erde,
Meer und Himmel haben dargestellt werden
sollen. "*)

Hinsichtlich einiger weiteren Details kann
es unter Bezugnahme auf die Abbildung an
einem kurzen Hinweis genügen.

Die seit dem Eintritt der gothischen Rich-
tung der bildenden Kunst geläufig gewordene
Uebung, bei der Darstellung des Gekreuzigten
die Füfse übereinanderzulegen und sie mit
einem einzigen Nagel zu durchbohren, ent-
spricht, wie das jetzt als zweifellos angesehen
werden kann, nicht dem wirklichen Hergange.
Es darf vielmehr als sicher erachtet werden,
dafs jeder Fufs mit einem eigenen Nagel be-
festigt war. Dementsprechend zeigen die
älteren Bilder die Füfse des Herrn nebenein-
anderstehend und, wo sie überhaupt die Nagel-
spuren angeben, jeden Fufs mit einem Nagel
durchbohrt, wie dies in der griechischen Kunst
überhaupt die Regel geblieben ist. Das Wer-
dener Bildwerk entspricht diesem Typus. Wie
die Hände so zeigen auch die nebeneinander
gestellten Füfse die Wundmale. Ein Fufsbrett
ist nicht vorhanden; die untere Umrandung
des Kreuzes bildet die Unterlage. Wie in
der ältesten Zeit fast durchweg, so zeigen auch
hier die Arme die wagerechte Haltung. Ein
Inschrifttäfelchen ist nicht vorhanden; seine

14) Kraus a. a. O., 2. Bd., S. 342: „Die am
Leiden des Herrn theilnehmenden Elemente betonen
Venantius (terra, pontus, astra, mundus quo lavantur
flumine) und ein Aachener Reliquienschrein (pontus,
terra, polus mihi subdilus, haec rego omnia). Dem-
gemäfs begegnen wir seit dem karolingischen Zeit-
alter den Personifikationen von Erde, Meer und
Himmel zu Füfsen des Kreuzes." Belege dafür
aufser bei Kraus bei Stockbauer a. a. O. S. 217.

Stelle vertritt der Kreuznimbus mit dem auf
seinen drei Armen eingegrabenen Worte Rex.
Das Kreuz selbst endlich zeigt die Form der
crux immissa, also jene Form, bei der der senk-
rechte Balken den Querbalken überragt.

Von den beiden Begleitfiguren, die auf der
Vorderseite des Kastens angebracht sind, steht
die linksseitige (Fig. 3) in enger Beziehung zu
dem Kreuzigungsbilde. Der Grund, weshalb die
Griechen den sterbenden, die Lateiner den
noch lebenden Christus am Kreuze zur An-
schauung brachten, war, wie dies von Kraus
zum ersten Mal betont ist, „sicher in der in den
beiden Hälften der Christenheit ganz verschie-
denen Auffassung und Praxis hinsichtlich der
Feier des Leidens Christi und seiner Auf-
erstehung gegeben. Den Griechen war der
Charfreitag als Tag der Erlösung die Haupt-
sache; sie feierten daher, indem sie bereits am
Freitag um 3 Uhr, um die Todesstunde
des Herrn, das Fasten aufhoben, ihr reua/a
oiavQtoaipov, und so ist der Charfreitag bei den
Griechen das Hauptfest geblieben. Die La-
teiner legten von jeher auf die Auferstehung,
als den Abschlufs des gottmenschlichen Lei-
dens den Hauptnachdruck; für sie war darum
der Sonntag als ndaxa dvaaidüißov die Haupt-
sache, und ihr Christusbild sollte daher ihrer
Absicht nach selbst in dem Status tiefster Er-
niedrigung des Menschensohnes am Kreuze
doch immer noch die Idee des die Welt und
den Tod überwindenden Siegers darstellen; die
liturgische Absicht hat hier also von vorn-
herein über die historische gesiegt; auch in
den kirchlichen Hymnen des Offiziums ist sie
frühzeitig vertreten. Den sprechendsten Aus-
druck für ihren Gedanken fanden hier die
Abendländer in der in den Sakramentarien der
karolingisch-ottonischen Zeit beliebten, bis
tief in die romanische Zeit an den Stations-
und Prozessionskreuzen sich fortsetzenden Sitte,
dem Bilde des am Kreuze erniedrigten gleich
das Bild des triumphirenden Christus zur Seite
zu stellen".16) Der Werdener Reliquienkasten
bietet einen Beleg für das frühzeitige Vor-
kommen dieser Darstellungsweise in der plasti-
schen Kunst.

Dafs es eine Christusfigur ist, die hier zur

15) Kraus a. a. O., II. Bd. S. 817 f. Springer
»Der Bilderschmuck der Sakramentarien« S. 364 führt
drei Sakramentarien dafür an, davon eins aus dem
IX. Jahrhundert.
 
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