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Zeitschrift für christliche Kunst — 14.1901

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Schubring, Paul: Die primitiven Italiener im Louvre
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https://doi.org/10.11588/diglit.4055#0233

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357

1901. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

358

1275 und 1285 gemalt sein mag, haben wir
hier das Werk eines etwa Sechzigjährigen vor
uns, der die grofsen Eindrücke in Rom und
Assisi hier verwerthen konnte; er wird wegen
des Neides des von ihm verdrängten capo-
maestro des Pisaner Doms Francesco sicher
die höchste Anspannung versucht haben.

Das Bild, dessen Uebermalung Crowe
Cavalcaselle {DAIiJi)
alzu stark hervorhe-
ben,2) hat zwar seine
Lasuren eingebüfst und
viel Durchbruch der
verde terra erlebt. Die
Gewänder sind über-
malt, Goldgrund und
Heiligenscheine sind

erneuert. Dadurch
wirkt namentlich die
untere Parthie der Jung-
frau und der Stuhl
ziemlich leer. Dage-
gen sind die Engel
sehr gut erhalten; und
hierin liegt gerade die
Bedeutung der Tafel.
Hier sind koloristische
Akkorde des feinsten
Klanges angeschlagen.
Man gehe diese sanft
schimmernden Flügel
durch. Hell- und dun-
kelbraune Deckflügel
schatten über dem
inneren Flaum, der von
weifs ins zarteste Roth
oder Blau übergeht.
Cherubim und Sera-
phim sind ikongra-
phisch korrekt durch
blaue und rothe Klei-
der unterschieden, die
eine breite goldene
Borde umzieht. Die rothen Strümpfe setzen
kräftig gegen die schwarzen Schuhe ab.

Der Thron ist ein Kabinetstück feinster
Schnitzarbeit. Reich gedrechselte, mit feinem
Blattwerk belegte Eckpfosten, eingelegte Felder;
die Lehne geschnitzt und mit goldenem Band
bestickt. Ein doppeltes Podium gibt die Mög-

Zimmermann fertigt es mit

Abb.

Giotto:

2) Auch
Worten ab.

ein paar

lichkeit, das linke Bein der Madonna höher
zu stellen und durch die Figur zu rhythmisiren.
Der Gedanke der Vision ist deutlich genug
ausgedrückt. Die mächtigen sechs Engel ha-
ben thatsächlich den schweren Thron mit der
vornehm schlanken Frau aus dem Himmel
herabgetragen; nun langen sie auf dem Pisaner
Altar an, und harren des Jubels der Menschen-
kinder. Es ist wie
eine Erfüllung der Ver-
heifsung, der Gebete.
Die himmlische Herr-
lichkeit leiht sich der
Sehnsucht der Sterb-
lichen auf Augen -
blicke.

Ein wundervolles
Körperleben enthalten
diese acht Gestalten.
Wie konnte man diese
Prachtengel mit Duc-
cios Knirpsen auf der

Rucellaitafel ver-
wechseln ? Der Ge-
stalten sind weniger als
in der Trinitä- Ma-
donna; aber siegeben
mehr. Sollte Niccolö
Pisanos Figurenkanon
hier auf den gealter-
ten Cimabue noch ein-
gewirkt haben? Frei-
lich waren schon seine
Engel in den Galerien
der Oberkirche in
Assisi von übermensch-
lichem Mafs. Es war
ein ganz einziger Ge-
danke, dort diese En-
gel mit breitgelegten
Flügeln als himmlische
Hüter an die Rück-
wand der Säulengale-
rien zu setzen, in deren Dunkel sie grandios auf-
leuchten. Dasselbe Königsgeschlecht tritt uns
hier entgegen. Wir wissen aus der Kreuzigung
in Assisi, über welches Uebermafs von Leiden-
schaft dieser Künstler verfügte. Hier, am
Ende seiner Tage, scheint alles bezwungen;
aber auch noch in der Ruhe liegt ein Un-
geheueres. Man gebe der Madonna und dem
Bambino im Geist ihre alte Goldherrlichkeit

Die Stigmata des hl. Fl
(Louvre.)
 
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