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1903. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.
168
gehende zu isoliert in der Erfurter und engeren
Thüringer Metallplastik da. Obwohl es zeit-
lich den Abschlufs der Nordhäuser Plattenreihe
bilden könnte, sind doch keine Beziehungen
vorhanden, sind jene Werke doch zu grob und
primitiv in der Linienführung und Gravier-
technik. Auffallend sind jedoch die Beziehungen
zu den Seitenwandungen der Tumba Fried-
richs des Streitbaren zu Meifsen, der
von 1423—25 dort die Begräbnis-
kapelle am Dom errichtete. Die
gravierten Einzelfiguren (siehe Do-
nadini's Publikation der Meifsener
Grabplatten) verraten ganz ähnliche
Manier und Zeichnung. Doch lie-
gen diese Verwandtschaften wohl
mehr in dem allgemeinen Zeitstil
und erlauben nicht, mit Sicher-
heit die gleiche Werkstatt anzu-
nehmen. Immerhin verdienen die
Nordhausener Platten, die des Prie-
sters Hermann zu Erfurt und die
Tumba zu Meifsen Beachtung als
zersprengte Einzelglieder einer
Kette, die sich erst in der zwei-
ten Hälfte des XV. Jahrh. zu einer
Geschlossenheit entwickelt und zu-
sammenfügt.
Als erstes Erfurter Metall-Grab-
denkmal in Reliefgufs reiht sich
chronologisch an: das des Hein-
rich von Gerbstädt, aufgestellt
in der sich östlich an den Kreuz-
gang anschliefsenden Clemens-Ka-
pelle. Auch ein Werk, das uns
Rätsel aufgibt. (Abb. 2.)
Gerbstädt starb 1451 und stif-
tete die Clementerie, deren Voll-
endung 1455 erfolgte. Als 1472
jedoch die Kapelle abbrannte und neugebaut
werden mufste, hat man anscheinend erst
daran gedacht, dem Stifter ein würdiges Denk-
mal zu setzen. Dessen Reste sind heute auf
einer Holztafel befestigt. Die rechte untere
Ecke des Inschriftrandes fehlt, der die Figur
des Gestor-
benen einst
überragende
spätgotische
Baldachin ist
törichter
Weise über
Abb. 2.
Heinrich von Gerbstädt.
Abb. 3
Vischers Epitaph des Henning Goden befestigt.
Somit wirkt das Denkmal heute nicht einheitlich
und verwahrlost, wird doch die nur 1,34 m hohe
Figur des Gerbstädt in dem 2,52 x 1,68 m
messenden Rahmen in der Wirkung beein-
trächtigt.
In gelassener Ruhe steht der Stifter der
Clementerie auf einer Fufsplatte mit der In-
schrift: fundator huius capelle. Die Linke hält
einen Kelch, die Rechte ist segnend
an dessen Rand gelegt. Das Ge-
sicht ist lebendig durchgearbeitet,
von Runzeln und Falten durch-
furcht. Die Augenhöhlen sind tief
beschattet, der schmale Mund zu-
sammengeprefst, die Ohren stehen
stark ab und sind unorganisch an-
gefügt. Eine sehr unmittelbare
Porträtwirkung ist erreicht; ob sie
beabsichtigt war, ist sehr fraglich.
Denn auffällige Verschiedenheit der
Gesichtshälften, die dem Kopf
den Ausdruck lebendigen, seit-
lichen Schauens geben, sind nur auf
Ungenauigkeiten und Verschiebun-
gen der Gufsform zurückzuführen.
Am klarsten zeigt das auch der
schiefgedrückte Kelch. Der Durch-
modellierung des Gesichts ent-
spricht die der Hände mit hart
gezeichneten, pedantisch wirkenden
Adern und Sehnen. Doch sind
sonst die Hände in ihren Funk-
tionen durchaus organisch und rich-
tig erfafst im Gegensatz zu den
vorangegangenen Denkmalen.
Aber die ganze Figur, so sach-
lich ihre Wiedergabe ist, entbehrt
des künstlerischen Lebens, sie ist
nur eine leidliche Durchschnittsleistung. Un-
beholfen stehen die Füfse in Grätschstel-
lung. Die sonst mit Geschick durchge-
führte Behandlung des Stofflichen versagt in
der Darstellung der sich an den Füfsen stauen-
den Falten. Vollends gibt die an Pedanterie
grenzende,
sehrnaiveArt
der Gewand-
musterung
durch einge-
punzte Stern-
chen undRo-
1903. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.
168
gehende zu isoliert in der Erfurter und engeren
Thüringer Metallplastik da. Obwohl es zeit-
lich den Abschlufs der Nordhäuser Plattenreihe
bilden könnte, sind doch keine Beziehungen
vorhanden, sind jene Werke doch zu grob und
primitiv in der Linienführung und Gravier-
technik. Auffallend sind jedoch die Beziehungen
zu den Seitenwandungen der Tumba Fried-
richs des Streitbaren zu Meifsen, der
von 1423—25 dort die Begräbnis-
kapelle am Dom errichtete. Die
gravierten Einzelfiguren (siehe Do-
nadini's Publikation der Meifsener
Grabplatten) verraten ganz ähnliche
Manier und Zeichnung. Doch lie-
gen diese Verwandtschaften wohl
mehr in dem allgemeinen Zeitstil
und erlauben nicht, mit Sicher-
heit die gleiche Werkstatt anzu-
nehmen. Immerhin verdienen die
Nordhausener Platten, die des Prie-
sters Hermann zu Erfurt und die
Tumba zu Meifsen Beachtung als
zersprengte Einzelglieder einer
Kette, die sich erst in der zwei-
ten Hälfte des XV. Jahrh. zu einer
Geschlossenheit entwickelt und zu-
sammenfügt.
Als erstes Erfurter Metall-Grab-
denkmal in Reliefgufs reiht sich
chronologisch an: das des Hein-
rich von Gerbstädt, aufgestellt
in der sich östlich an den Kreuz-
gang anschliefsenden Clemens-Ka-
pelle. Auch ein Werk, das uns
Rätsel aufgibt. (Abb. 2.)
Gerbstädt starb 1451 und stif-
tete die Clementerie, deren Voll-
endung 1455 erfolgte. Als 1472
jedoch die Kapelle abbrannte und neugebaut
werden mufste, hat man anscheinend erst
daran gedacht, dem Stifter ein würdiges Denk-
mal zu setzen. Dessen Reste sind heute auf
einer Holztafel befestigt. Die rechte untere
Ecke des Inschriftrandes fehlt, der die Figur
des Gestor-
benen einst
überragende
spätgotische
Baldachin ist
törichter
Weise über
Abb. 2.
Heinrich von Gerbstädt.
Abb. 3
Vischers Epitaph des Henning Goden befestigt.
Somit wirkt das Denkmal heute nicht einheitlich
und verwahrlost, wird doch die nur 1,34 m hohe
Figur des Gerbstädt in dem 2,52 x 1,68 m
messenden Rahmen in der Wirkung beein-
trächtigt.
In gelassener Ruhe steht der Stifter der
Clementerie auf einer Fufsplatte mit der In-
schrift: fundator huius capelle. Die Linke hält
einen Kelch, die Rechte ist segnend
an dessen Rand gelegt. Das Ge-
sicht ist lebendig durchgearbeitet,
von Runzeln und Falten durch-
furcht. Die Augenhöhlen sind tief
beschattet, der schmale Mund zu-
sammengeprefst, die Ohren stehen
stark ab und sind unorganisch an-
gefügt. Eine sehr unmittelbare
Porträtwirkung ist erreicht; ob sie
beabsichtigt war, ist sehr fraglich.
Denn auffällige Verschiedenheit der
Gesichtshälften, die dem Kopf
den Ausdruck lebendigen, seit-
lichen Schauens geben, sind nur auf
Ungenauigkeiten und Verschiebun-
gen der Gufsform zurückzuführen.
Am klarsten zeigt das auch der
schiefgedrückte Kelch. Der Durch-
modellierung des Gesichts ent-
spricht die der Hände mit hart
gezeichneten, pedantisch wirkenden
Adern und Sehnen. Doch sind
sonst die Hände in ihren Funk-
tionen durchaus organisch und rich-
tig erfafst im Gegensatz zu den
vorangegangenen Denkmalen.
Aber die ganze Figur, so sach-
lich ihre Wiedergabe ist, entbehrt
des künstlerischen Lebens, sie ist
nur eine leidliche Durchschnittsleistung. Un-
beholfen stehen die Füfse in Grätschstel-
lung. Die sonst mit Geschick durchge-
führte Behandlung des Stofflichen versagt in
der Darstellung der sich an den Füfsen stauen-
den Falten. Vollends gibt die an Pedanterie
grenzende,
sehrnaiveArt
der Gewand-
musterung
durch einge-
punzte Stern-
chen undRo-