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Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

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Tepe, Alfred: Rundschau vom Utrechter Domturm
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https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0076

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107

1907.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

108

Mittelpunkt der Stadt. Die alten Gebäude
darauf sollten benutzt, aber erweitert werden,
zunächst war ein Saalbau geplant, zu dessen
Vertäfelung seine Freunde und Kapitelkollegen
das nötige Eichenholz anschafften. Er selber,
kurz nach Ankauf ins Kardinalkollegium auf-
genommen, weilte nämlich fern von Utrecht,
aber mit seinen Freunden korrespondierte er
eifrig über die neuen Einrichtungen. Sein
Herz war voll davon: Gott selbst habe ihm
diese Besitzung ausgesucht, da wolle er seine
alten Tage zubringen, auch als Kardinal werde
er in seiner trauten Utrechter Behausung resi-
dieren. Er blieb nicht beim Saalbau, nach
Vorschlägen seiner Bauleiter wurde ein ganz
neues Haus dem
alten vorgebaut,
mit der Front an
der Gracht, die Bal-
ken dazu wurden
auf dem Deventer
Markt erworben.
Und dieses neue
stattliche Haus, in
echt niederländi-
scher Art aufge-
führt mit zierlichem
Zackengiebel, ist
noch immer eine
Zierde der Stadt,
und bei alt und
jung unter dem Na-
men „Paushuise"
bekannt. Der Er-
bauer hat es nie-
mals angeschaut; wenn er auch im Scherz
gesagt hatte: selbst wenn er Papst würde,
sein liebes Utrecht würd er nicht verlassen —
als wirklich die Wahl auf ihn fiel, war es vor-
bei mit dem süßen Lieblingswunsch: „Otium
cum dignitate" in der lieben Heimat. Die
Sorgen und Wirren der Zeit, denen er, der
„fromme, sittenreine Gelehrte'' doch nicht ge-
wachsen war, rafften ihn noch innerhalb seines
zweiten Papstjahres dahin. Mannigfache Be-
wohner hat das Haus beherbergt, auch solche
von zweifelhafter oder unzweifelhafter Be-
schaffenheit, namentlich ein adeliges Geschlecht,
dessen männliche und weibliche Glieder, ohne
jegliche Gelehrsamkeit, Frömmigkeit und Sitten-
reinheit, als Übermenschen oder Untermenschen
das Möglichste geleistet haben. Jetzt ist es
der Sitz des Gouverneurs der Provinz Utrecht,

Abbildung 3.

ein großer Flügel rechts daran gebaut, dient
als Regierungsgebäude. Der Utrechter aber,
auch der nicht päpstlich gesinnte, fühlt noch
immer ein historisches Selbstbewußtsein bei
dem Gedanken, daß seine Stadt der Kirche
einen Papst geschenkt und die Erinnerung
an diesen Papst wird täglich erneut und leben-
dig erhalten durch dessen eigenste, liebste
Schöpfung: Paushuise.

Noch manches andere interessante Haus
ließe sich herausfinden; von den uralten Patri-
zierburgen blieb nur eine erhalten, finster,
hoch, mit Türmchen und Zinnen, den wenig
friedlichen Charakter ihrer Bewohner bezeu-
gend : „het huis Oudaen". Aber unser Interesse

wird noch mehr
in Anspruch ge-
nommen durch die
endlose Reihe der
nebeneinander lie-
gendengroßen,klei-
nen und allerklein-
sten Satteldächer,
Zeugnis ablegend
von der mehr als

taus endj ährigen
Bau- und Wohn-
art der nordischen
Völker. Mit der
Schmalseite der
Straße zugekehrt,
mit Giebel oder ab-
gewalmt, hoch oder
niedrig, überall be-
kundet sich das
Einfamilienhaus.

Aber die Gründer, Beherrscher und Be-
wohner moderner Großstädte, sie rufen im
Chor: Fort mit dem alten Krempel, wir
brauchen keine Tradition — die Mietskaserne
ist unser Ideal, alles soll breit sein und groß-
artig, klotzig und protzig. Im schönsten Seelen-
verein wirken die neuen Bau-, Feuer- und gesund-
heitlichen Theorien der alten Praxis entgegen
und erschweren die Ansiedelung des Einzel-
bürgers. Da wird zunächst eine Minimalhaus-
breite von 7 m festgesetzt; für die Balkenlage
darf nicht die kürzeste Dimension zwischen
den Seitenmauern gewählt werden: ein Feuer-
experte hat herausgebracht, daß bei Brand
im Nachbarhaus unsere Balkenköpfe alsdann
verhohlen könnten, wir müssen, wohl oder
übel, die längste Dimension überspannen und
 
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