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Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

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Tepe, Alfred: Rundschau vom Utrechter Domturm
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https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0078

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1907. —ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

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des Rheinübergangs? Wo ist er denn hinge-
kommen der alte Rhein, an dessen Ufern
die Legionen ihr Ultrajectum, ihr Lugdunum
Batavorum (Leiden) angelegt und der bei
Katwijk in die Nordsee sich ergoß? Noch
läßt sein altes Bett sich nachweisen — Vetus
Vallis — welches später angefüllt wurde und
ein Stadtviertel aufnahm. Nur noch eine
schmale Rinne, der krumme Rhein fließt
teilweise durch, teilweise um die Stadt. Der
Rhein, der alte römische ist versandet; um
den wenigen Wassern, die noch träge die alte
Bahn verfolgen, einen Abfluß durch die Düne
zu sichern, hat Ludwig Bonaparte in Katwijk
die bekannten Schleusen erbaut. Utrecht, um
nicht von der Schiffahrt ausgeschlossen zu
sein, mußte seine keulsche (kölnische) Vaart
anlegen, ein zwei Stunden langer Kanal, der
bei Vreeswijk in den „Lek" mündet. Wie oft
wird den bösen „Mijnheers" der Vorwurf ge-
macht, daß sie auf ihrem Gebiet dem „deut-
schen Rhein" seinen ehrlichen Namen nicht
gönnen. Der alte Vater Rhein, der doch
übrigens von Geburt ein Schweizer Bua, der
Alpensohn kat exochen ist, stirbt sozusagen,
sobald er die niederländische Grenze über-
schritten, indem er sich in viele Arme spaltet;
diesen seinen Söhnen und Töchtern, die der
Zuider- und Nordsee zustreben, hinterläßt er
sein reiches Wasservermögen. Sein bevor-
zugter, als solcher auch von den Römern an-
erkannter Erbe, der auch seinen Namen trägt,
hat leider seinen Rang und sein Ansehen
durch die Ungunst der Verhältnisse eingebüßt,
und wenn die Mijnheers ihm nicht auch den
Namen aberkannten, so sind sie eben der
alten Überlieferung getreu geblieben; vielleicht
würde auch der Schiffahrt eine Namensände-
rung der vielverzweigten Wasserwege hinder-
lich werden. Im Bunde mit der Maas und
der Scheide haben im Lauf der Jahrhunderte
die vielen Rheinarme die wüsten Sandbänke
mit ihrem Schlamm, der fetten Kleierde, bedeckt
und eines der fruchtbarsten Länder Europas ge-
schaffen. Als Napoleon die Rheinlande ver-
schluckt hatte, annektierte er kurz darauf auch
Holland und Belgien mitdergeistreichenBegrün-
dung, das ganze Land sei doch absolut nichts an-
deres als der Niederschlag französischer Ströme.
Eine Rundschau vom Domturm haben wir
versprochen — wie weit aber soll sich diese
erstrecken?

„Das Auge sucht der Ferne bläulich Weben."
Am meisten lockt das Publikum die Fernschau,
wie die mitgebrachten Operngläser bezeugen,
die auf jedem erhabenen Punkt aufgestellten
Fernrohre, die Kupferplatten, worauf die
Richtung der nahen und fernsten Orte ein-
graviert ist. Im Westen soll bei klarem
Wetter sogar der Turm der Amsterdammer
Westerkirche, der lange Jan, zu erkennen
sein. —■ Uns geziemt aber an dieser Stelle zu-
nächst auf Utrechter Gebiet die Geschwister
unseres Domturms aufzusuchen, die nicht allein
der Form, sondern auch dem Ursprung nach
ihm so nahe stehen. Da entdecken wir im
Osten und Süden die Riesen von Amersfoort
und Rhenen, ebenfalls mit viereckigem Unter-
bau und dito erstem Geschoß, worüber sich
die achteckige Laterne erhebt, mit kleinem
Helm oder geschweiften Mützchen. Das reiche
Utrechter Domkapitel hatte diese drei Türme
als Wahr- und Grenzzeichen seiner Macht
und seiner Gebietsausdehnung in so wuchtigen
Massen hingestellt. Der Amersfoorter steht
da, Cavalier seul, ganz ohne Kirche, diese
wird gleich der von Rhenen, wenn auch nicht
unbedeutend, doch dem Prachtbau des Turmes
nicht ebenbürtig gewesen sein. Die Einrichtung
dieser Turmart zeigt der dreifache Grundriß des
Amersfoorter (Abb. 3); das Treppentürmchen
des oberen Achtecks schließt sich diesem auf
gar reizende Weise an. Das Volk erzählt sich,
es stelle das Jesukindlein auf dem Arm seiner
Mutter dar. In Kunstgeschichten und Lehr-
büchern wird der durchbrochene Helm ais
letzte Konsequenz, als höchstes Wort der
gotischen Bauweise angepriesen, das durch-
brochene, durchsichtige Achteck aber scheint
mir sehr konkurrenzfähig zu sein.

Oud Utrechtsche Vertellingen (Erzäh-
lungen) so heißt ein interessantes Büchlein,
vom ausgezeichneten Utrechter Stadtarchivar
Mr. S. Muller Fz. herausgegeben. Wenn auch
dieser Artikel nicht durch dasselbe veranlaßt
wurde, so soll es doch dankbar erwähnt sein,
weil manches Chronologische und Historische
ihm entnommen ist. Wir empfehlen es den-
jenigen aufsbeste, die der holländischen Sprache
mächtig, mehr von der alten Bischofsstadt er-
fahren möchten, als unsere flüchtige Rundschau
zu bieten imstande war.

Düsseldorf.

Alfred Tepe.
 
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