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Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

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Schmarsow, August: Die Biblia Pauperum Weigel-Felix und der Maler Konrad Witz
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https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0091

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131

1907. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

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inzwischen um drei Stücke vermehrt hat.1)
Darnach will ich einen entscheidenden Einblick
in das Spiel der Hände beim Maler wie beim
Zeichner eröffnen, und endlich an den Halb-
figuren der Propheten und einigen ganzen Fi-
guren die Charakteristik der Arbeitsweise und
des Kunstgeschmacks im Zusammenhang mit
den Nachbarn zum Abschluß bringen.

Die „Anbetung der Könige" (D. 1.)
fordert zum Vergleich der nämlichen Szene
heraus, die der Flügel des bezeichneten Genfer
Altars von Konrad Witz darbietet; nur darf
nicht außer acht gelassen werden, daß sie dort
als Gegenstück zu einer feierlichen Verehrung
der Madonna durch den Kardinal Jean de
Brogny mit allem weltlichen Pomp des bur-
gundisch-savoyischen Hofes, schon selbstver-
ständlich einen abweichenden Zuschnitt erhal-
ten und aus dem gewohnten Darstellungskreis
biblischer Bilderzyklen heraustreten mußte. Die
Genfer Tafel (B. XX) ist ein Breitbild mit
lockerer, auseinandergezogener Figuren reihung.
Die Zeichnung der Biblia Pauperum muß
als Zentralkomposition angesprochen werden,
und zwar mit gleichem Recht, wie dies von
der Dornenkrönung (im Katalog R. Weigels),
die ich im Repertorium2) mitgeteilt habe,
gesagt worden ist. Maria sitzt auf der linken
Seite, während sie in Genf auf die rechte ge-
schoben ward; aber wir begegnen dem gleichen
Motiv: sie faßt den Arm des nackten Kindes
mit der Hand. In Genf geschieht dies seltsamer-
weise an der Linken des Sohnes, der doch
damit segnen oder die dargebotene Opfergabe
empfangen soll, — ein Beweis nachträglicher,
nicht ganz überlegter Umdrehung des Ent-
wurfs! In der Zeichnung führt die Mutter
beide Ärmchen ihres Knäbleins zum Kasten,
den der kniende König hinhält, oder lenkt
das lustige Hineingreifen nach sittiger Art in

') Jahrbuch der K. pr. Kunstsammlungen XXVII.
1906: Daniel Burckhardt, „Stadien zur Gesch.
d. altoberrhein. Malerei", und Robert Stiassny,
„Zu Konrat "Witz". Bei letzterm muß S. 289, Z. 11
statt Bayersdorfers freilich mein Name gelesen wer-
den ; denn seit Erkrankung und Tod des verehrten Freun-
des kommt alles auf meine Verantwortung, was da ge-
schehen ist, falls nicht ausdrücklich ein andrer Mit-
arbeiter genannt wird. Im Jahrgang 1903 ist bereits
F. v Reber an die Stelle des Verstorbenen getreten.

2) Bd. XXVIH p. 340. Vgl. meine Abhandlung:
„Die oberrheinische Malerei und ihre Nachbarn um
die Mitte des XV. Jh. (1430—1460)" Leipzig. B G.
Teubner 1903.

die Schranken zurück. So aber wird die Be-
ziehung enger, die Gruppe geschlossener, schon
in diesen Hauptgliedern. Auch die beiden
andern Magier ordnen sich in zweiter Reihe
demgemäß: der bartlose Jüngling hält die Mitte;
der spitzbärtige Zweite, der seine Zinkenkrone
lüftet, bleibt Schulter an Schulter mit beiden
Nebenmännern. Ein nachfolgender Page rechts,
der den Turban des Ersten trägt, und das
Dach der Hütte links geben die Höhepunkte
des Abschlusses hinten. Das Bild ist ein Auf-
bau aus plastisch gerundeten Gestalten mit der
intimen Berührung aller Beteiligten in der
Mitte. Und echte Kinderfreude antwortet dem
ehrfürchtigen Bemühen ringsum; es ist ein
herziger Inhalt in den Huldigungsakt gelegt.
Dieser deutsche Kern bietet uns mehr als die
malerischen Vorzüge der Fürstentracht und die
üppige Zeugmasse der Madonna in Genf.
Dennoch ist die Haltung der Maria durchaus
ähnlich in der Zeichnung, das größere Kind
auf dem Knie ?ogar glücklicher, und die Ge-
wandmotive im Grunde so übereinstimmend,
wie es zwischen einer Federskizze und einem
farbenreich durchgeführten Gemälde möglich
bleibt. Der erste König trägt nicht den langen
pelzgefütterten Kaftan, der den ganzen Körper
verbirgt, sondern einen Rock mit eckig ge-
schnittenem Kragen, tiefsitzendem Gürtel und
geöffnetem Schlitz unten, aus dem das linke
Bein in enger Strumpfhose und weichem Stiefel
in knieender Haltung heraussieht. Desto mehr
fällt der Ärmel wie der des Petrus in der Be-
freiung durch den Engel, und gleicht das
schlanke Bein dem des kleinen Kriegsknechts
i im Vordergrunde dieses Genfer Gemäldes von
Konrad Witz (B. XXIII), wie er in umgekehrter
| Stellung am Boden kniet. Es reicht ebenso
J über den untern Rand der Tafel hinaus, wie
I Fuß und Schleppe des Königs in der Zeichnung.
Ist dies eine Folge nachträglicher Beschnei-
dung des Genfer Flügels, oder wie auf don
Pergamentblättern dieser Biblia Pauperum ein
Überquellen der Gestalten über die vorge-
schriebene Grenze, die Pedanten als persön-
liche Unart hervorheben dürften? Der Kopf
des Magiers muß sich in der geschlossenen
Komposition des Zeichners gegen die beiden
Reisegefährten in Profil abheben. Während der
zweite mit dem Mohren in Genf, der Jüngling
mit dem bartlosen in der Mitte dort verwandt
bleibt, überrascht uns hier vielleicht die etwas
zurückfliehende Stirn, die Einbiegung über der
 
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