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Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

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Wulff, Oskar: Der Madonnenmeister
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https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0135

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207

1907. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

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Werkstatt zuschreiben wird. Es gehört heute
dem Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin
(Nr. 1039) und stammt aus der 1821 in die
Kgl. Museen eingegangenen Sammlung Solly.
Der Rahmen ist auch hier noch in seinen
Haupteilen der alte. An Qualität und wohl
auch in der Entwicklung des Anonymus nimmt
dieses Altarblatt fraglos die letzte Stelle ein.
Bei aller sogar etwas aufdringlichen Farben-
pracht herrscht darin eine gewisse Leere des
Ausdrucks und es fehlt nicht an einzelnen
Unklarheiten. So läge hier der Schluß, daß
wir es nur mit einer Werkstattarbeit zu tun
haben, vielleicht am nächsten. Allein der
Umstand, daß sich in alledem zugleich ein
ganz bestimmter Einfluß verrät, hält mich von
diesem Schluß zurück. Es ist, um das Fazit
vorweg zu nehmen, eine starke Annäherung
an die Art Agnolo Gaddis und seiner Schule,
was unseren Meister anscheinend verleitet hat,
sich auf die glatte Bahn des Formalismus zu
begeben. Und da schon die Predella des
Triptychons von Antella in den vorgebeugten
Gestalten der Henker eine solche Tendenz
sehr deutlich verriet, — bleibt es doch un-
gleich wahrscheinlicher, daß auch die sich
daraus ergebenden Schwächen des Berliner
Bildes auf seine eigne Rechnung zu setzen
sind. Überhaupt erklären sich eine Reihe von
Abweichungen der Komposition, wenngleich
nicht alle, aus der Aufnahme typischer Formen,
die in Florenz namentlich in der Gaddischule
traditionell fortleben, in den älteren Bildern
des Anonymus hingegen noch fehlen. Dahin
ist gleich der gotische Steinthron der Madonna
zu zählen. Ihm zuliebe sind die schweben-
den Engel von ihren alten Plätzen verbannt.
Das oberste Paar trägt nicht mehr die Krone,
sondern umgibt mit anbetend gekreuzten Hän-
den die mit ihnen zusammen in den Giebel
des Rahmens verwiesene Taube, bewahrt aber
noch dieselbe Gewandung, blaue Mäntel über
chromgelbem Kleide, wie auf dem älteren
Triptychon. Auch die beiden musizierenden
Engelgruppen, die beiderseits vor dem Throne
knieen, stellen in Typen und Farbengebung
mit vorherrschendem Rosa und Grün die
jüngeren Brüder der größeren Engelfiguren
von den Altarbildern in Antella, Perugia und
in den Uffizien dar und haben am meisten
von der früheren Schönheit der Köpfe be-
wahrt. Ihre den Thron im Halbkreis um-
schließende Gruppierung hingegen ist, wie das

Motiv des Musizierens, der Florentiner Malerei
schon seit der ersten Hälfte des Trecento
geläufig, so z. B. auf Taddeo Gaddis Altarwerk
in S. Felicitä und dem großen des Bernardo
Daddi in der Akademie. Die Madonna mit
dem Kinde hat dieselbe Wendung wie in An-
tella, aber sie steht in der Komposition und
Handlung den oben angeführten Darstellungen
der säugenden Mutter näher, nur hockt das
Kind unpassend genug mehr in Vorderansicht,
und während sich auch sein Antlitz ganz dem
Beschauer zuwendet, greift es doch mit der
linken Hand weit hinüber nach der Brust der
Mutter, welche seine Bewegung mit ihrer
Rechten unterstützt. Wenn es wieder mit
seiner Rechten den Daumen dieser Hand um-
klammert und zugleich den Schleier vorzieht,
so ergibt sich daraus zwar eine ganz hübsch
gedachte, aber für die Anschauung zu ver-
wickelte und unklare Aktion. Seine Gesichts-
bildung zeigt einen noch stärkeren Verlust der
früheren Lieblichkeit als das Antlitz Marias,
und eine auffällige Annäherung an den häß-
lichen Kindertypus, wie ihn z. B. das Altar-
blatt der Capella Rinuccini von 1379 hat.5)
Die Heiligenfiguren auf den Flügeln sind ohne
Überschneidung langweilig nebeneinander auf-
gestellt, rechts Bartholomäus mit dem Messer
in der Rechten und Jakobus mit dem Pilger-
stabe, links der Evangelist Johannes mit Buch
und Feder und der Täufer in der Stellung
und Tracht des Akademiebildes, aber mit einem
Gesichtstypus, der der Tafel in S. Ansano
näher steht. Wenn er und die beiden Apostel
des rechten Flügels die typischen Züge dieser
Heiligen tragen, wie sie den Florentiner Trecen-
tisten der zweiten Hälfte des Jahrhunderts
verschiedener Richtung ziemlich gemein sind,
so begegnet uns der charakteristische Greisen-
kopf des Johannes erst in den Werken Agnolo
Gaddis und seiner Schule. Dasselbe gilt auch
von den Halbfiguren des schreibenden und
lesenden Kirchenvaters, die die Dreipässe über
beiden Flüsreln einnehmen. Diese schlaffen
Gesichter sind echte Typen des jüngeren Gaddi.
Gewonnen hat der Meister wenig durch die
Anlehnung an ihn, es sei denn eine größere
Sicherheit der Stellungen der Einzelfiguren,
eine bessere Verkürzung im linken Arm des Täu-
fers u. dgl. Die Faltengebung ist noch groß-

5) Vgl. die Abb. bei W. Suida, »Florentiner Maler«.
Straßburg 1905, Taf. XXXII.
 
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