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Zeitschrift für christliche Kunst — 20.1907

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Wulff, Oskar: Der Madonnenmeister
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Schmid, Andreas: Ein gotischer Kreuzweg
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https://doi.org/10.11588/diglit.4119#0136

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209

1907. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

210

zügiger, aber zugleich linearer und härter
geworden. Der koloristische Eindruck ist
weniger harmonisch, wenngleich mannigfaltiger.
Das Berliner Bild war im früheren Katalog
einem Nachfolger des Orcagna zugeschrieben.
Damit sind zweifellos einzelne Seiten desselben
richtig bezeichnet. Der rote goldgemusterte
Bodenstreifen ist typisch für eine ganze Reihe
der Nachfolge dieses Künstlers zuzuteilender
Bilder.6) Auch der strengere Gewandstil mit
den scharfen Brechungen hat in letzter Linie
seinen Ursprung in Orcagnas Richtung. Er
beeinflußt freilich auch in hohem Grade Agnolo
Gaddis Gewandbehandlung. Sobald man die
unverkennbaren Beziehungen des Berliner
Altarwerks zu diesem Meister erkannt hat,
könnte man daher fast im Zweifel sein, ob
unser Anonymus sie unmittelbar aus der Schule
des Orcagna oder erst durch Agnolos Ver-
mittlung aufgenommen habe. Doch ist seine
Farbenskala eine lebhaftere, wenngleich auch

6) Vgl. Suida, a. a. O. S. 25 und meine Bemer-
kung dazu in den »Monatsheften der k. wiss. Litt.«
1905, Juli. S. 157.

sie Elemente aus Agnolos Kunst enthält (s. u.),
und erscheint es a priori richtiger, ihre Wurzel
in der farbenfreudigen Richtung jener älteren
Schule zu suchen. Allein nachdem wir un-
seren Meister in seinen übrigen Werken von
ganz anderen Seiten kennen gelernt haben,
— ich meine vor allem jene weiche Intimität
der Empfindung, die Orcagna abgeht, — werden
wir seine Entwicklung aus einem immer stär-
keren Anschluß eines Nachfolgers des Orcagna
an die Gaddischule noch immer nicht be-
friedigend erklären können, geschweige denn
ihn einfach aus der letzteren ableiten dürfen.7)
Fehlt ihm doch wieder die sichere Beherrschung
des Standes der Gestalt, die gerade durch
Orcagna gefördert worden ist. An welchen
seiner Vorgänger ist er denn anzuschließen?
Wenn wir nur auf das bisher betrachtete Bilder-
material angewiesen wären, ließe sich nur sehr
schwer eine Antwort auf diese wichtigste Frage
geben.

Friedenau bei Berlin. Oskar Wulff.

(Schluß folgt.)

7) Wie es neuerdings O. Siren, »Lorenzo Monaco«,
Strasburg 1905, S. 41 versucht hat (s. u.).

Ein

gotischer

Kreuzweg.

O

|s war nicht zufällig, daß
außerhalb der Mauern Jerusalems
gekreuzigt wurde; nach der Lehre
des Hebräerbriefes 13, 11—12 ge-
schah es, weil auch im alten Bunde (Lev. 16, 27)
das Fleisch der Opfertiere, welche am Ver-
söhnungstage für die Sünden des ganzen Volkes
geschlachtet worden waren, außerhalb des
Lagers verbrannt werden mußte. Dieser Be-
richt wird durch die Überlieferung in Jerusalem
bestätigt, ebenso durch die Visionen der Katha-
rina Emmerich. Nach ihren Gesichten zog
Maria bald nach dem Tod ihres Sohnes mit
Johannes in die Nähe von Ephesus, errichtete
dort einen Kreuzweg mit 12 Steinen, ähnlich
dem Schmerzensweg in Jerusalem, und beging
diesen kopierten Kreuzweg oftmals allein oder
mit Frauen betend; sie konnte jedoch den
Golgathaweg in Jerusalem nicht vergessen,
sondern wanderte noch zweimal dahin und
besuchte die heiligen Stätten.1) Mag man über

(Mit Abbildung.)

Christus ) die Visionen der Katharina Emmerich denken,
wie man will; ein merkwürdiger psycholo-
gischer Zug läßt sich darin nicht verkennen.
Wäre es möglich gewesen, daß die Schmerzens-
mutter den Leidensweg ihres Sohnes hätte ver-
gessen können? Sie wollte ihn Tag für Tag
vor Augen sehen und sogar begehen. Einen
ähnlichen mütterlichen Zug der Pietät gegen
ihren unglücklichen Sohn finden wir in der
Neuzeit bei der Exkaiserin Eugenie von Frank-
reich. Als ihr einziger Sohn Louis am 1. Juni
1879 von einem Haufen Zulukaffern mit
17 Stichen ermordet worden war, reiste die
Mutter 1880 bis nach Afrika an die Stelle der
Mordtat. Man darf sich daher nicht wundern,
daß schon die Christen vom IL Jahrh. an
einzelne Leidensszenen des Herrn, z. B. die
Verspottung, bildlich darstellten2) und die
Hauptstellen (Stationen) des Leidens in Jeru-
salem in fester Erinnerung behielten. Sicher-
lich wurde durch die Kreuzzüge der Gedanke

') Schmüger, Leben und Leiden jesu Christi, Regens-
burg 1881, S. 1117.

!) Wilpert, Malereien in Katakomben, Freiburg 1903,
Taf. 18.
 
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